Schneeweiß und pechschwarz – Serie: Bregenzer Festspiele (Teil 3/5): „Schnee. Rohstoff der Kunst“ im Vorarlberger Landesmuseum Bregenz, erster Durchgang

Peter Fischli und David Weiss: In den Bergen, 1979

Sicher, ganz neu ist das Thema nicht, denn die sich aus den mittelalterlichen religiösen Bildern emanzipierende Landschaft hat dann als eigenes Genre auch die Berge entdeckt und gerade dem schneebedeckten Gebirge gerne etwas Heroisches und Erhabenes untergemalt und auch die vereisten Meere taugten für solche Gefühle. Aber, sich dann doch nur auf den Schnee zu konzentrieren, ist eine interessante Erfahrung, die in einer Landschaft wie Vorarlberg, was ja heißt ’vor dem Arlberg’, also vor und in dem weltberühmten Skigebiet erst recht passend ist. Auch im Sommer oder besser: gerade dann, dann nämlich ist die Reflexionsfähigkeit des Betrachters in der Ausstellung sicherer, als wenn er sich Gedanken machten müßte, wie er im winterlichen Schneematsch wieder nach Hause findet. Und so genießt er die gekühlten Räume und Schneelandschaften bei über 30 Grad Hitze draußen am See.

Es empfängt einen ein ca. 6 m x 3 m großes Naturstück. Blauer Himmel mit Schlieren voller Wolken, die scharfen Kanten und Risse der Granitfelsen sanft geglättet durch den darüber gefallen Schnee, in dessen Kuhlen man sich bei dem Sommersonnenwetter glatt ausstrecken möchte. Die Ruine eines Baums, der mal eine Birke gewesen ist, bringt diesen Ausdruck von Vergänglichkeit, aber auch Trotz der Natur, nicht vollends unterzugehen, ins Bild und die rosafarbenen Blumenkissen zeigen uns, ja wir sind willkommen auf diesem, den geweißten Schroffheiten gegenüberliegendem Plateau. Und wollen uns gerade links im Bild am weißen Blumenkissen niederlassen, so verführerisch echt schien uns alles, als wir – dicht davor – jäh wahrnehmen: gelogen, alles unwahr, nicht mal ein getünchtes Gemälde hängt an der Wand, sondern gleich eine Computersimulation, die hier ein Naturstück schafft, das es nie gegeben hat. Inkjet-Print auf Fotopapier heißt so etwas, was Monica Studer und Christoph van den Berg – nomen ist omen – hier augentäuschend vorführen. Nachher ist man immer schlauer. Denn gerade aus der Nähe sieht man das Gemachte an dieser Natur ganz deutlich, aber beim Hereinkommen suggeriert uns das Bild erst einmal, was uns Schneebergwelten im kulturellen und psychoanalytischen kollektiven Gedächtnis bewahren: unberührte Natur. Unschuld. Ewigkeit. Eine weiche weiße Masse, die dem Menschen Schutz genauso gibt, wie sie ihm das Leben nehmen kann.

Diese Ambivalenz: das Grandiose und den zugefügten menschlichen Schrecken durchzieht die gesamte Ausstellung und es ist verständlich, daß sich Künstler lieber mit den grandiosen Naturspektakeln befassen als mit dem Abgründigen, das heute gerne Filmen und den Horrorspektakeln überlassen wird. Die Ausstellung zeigt auch Arbeitsgeräte wie dies Feldmessgerät von 1837, eine wunderbare Holzarbeit, als noch mit der Hand solches Arbeitswerkzeug geschaffen wurde, die uns heute durch ihre Materialbeherrschung und Schönheit Kunst werden und später dann einige Ski der Vorfahren und eine winterliche Bergausrüstung auch, die uns Heutigen mit den wattierten Anzügen schon beim Anblick frieren läßt.

Historisch ist die Beschäftigung mit den Bergen wie auch dem Schnee jung und entspringt dem Wissensdrang der Menschen, die sich schon vor der Aufklärung mit der Schöpfungsgeschichte allein nicht zufrieden geben wollten. Die Kunst der Zeit reflektiert dann das, was Wissenschaften, auch die Bergwissenschaften erkunden. Ein Anonymus malte allerliebst die vier Kinder der Familie Greuter im wohlbürgerlichen Musikzimmer um 1820, drei Mädchen und einen Buben, wo über dem Spinett gerahmte Winterlandschaften den Eindruck von Fensterausgucken eingeben, so wie schon die Renaissance mit den Ausblicken spielte. Aber Winter? Schnee? Das ist neu. Caspar Wolf aus der Schweiz war einer derer, die die Berge und den Schnee, die Gletscher und die Schneeschmelze zu ihrem Thema machten. Alpenbilder waren en vogue und es war einerseits ein naturkundliches Interesse, mit dem unberührte weiße Landschaften gemalt wurden, aber es war auch der Ausdruck von Verfügungsgewalt des Menschen über sie, die diese Bilder, die immer wieder auch Menschen in der Natur zeigen, ausstrahlen. Zwar sind die Menschlein klein, aber sie sind nicht verloren in dieser Natur, sondern erobern sie: mit den Schneeschuhen, den Skiern und mit dem Pinsel.

Im Biedermeier ist es immer wieder Ferdinand Georg Waldmüller, der uns immer wieder den Dachstein mit seinen Gletschern als Schmuckstück der Natur vorführt, am liebsten vom Hinteren Gosausee aus, denn nur der liegt so verlassen, wie Waldmüller es 1834 malt, während der Vordere Gosausee noch stärker die sich spiegelnden Schneefelder reflektiert. Das „immer wieder“ müssen wir vielleicht zurücknehmen, denn das Bild ist aus dem Leopoldmuseum Wien und vielleicht so oft ausgeliehen, daß wir es ständig neu sehen. Thomas Ender und Hubert Sattler malen 1830 und 1866 Eis und Gletscher wie surreal. Das muß in der Materie stecken, daß viele der hier gezeigten Schnee- und Eisbilder so modern wirken, sowohl in den cezann’schen Formen wie auch der bläulich überhauchten Farbgebung.

Das folgende Triptychon von Gottfried Bechtold allerdings ist modern! Der „Watzmann im 9. Februar 2009“ zeigt auf den Seitentafeln die Unglücke in grellen Signalfarben, die Begegnungen mit Bergen für Flugzeuge und Fahrzeuge als Gefahr bedeuten, rechts lassen sie ein Fahrzeug zertrümmern und links steigt das Bergbrandopfer schon orangelodernd zum Himmel. Aber in der Mitte ruht der ewige Berg im Hintergrund und weiß von nichts und nichts von den Steinschlägen, die die Felsen im Vordergrund produzieren. Eine Reminiszenz an das unschuldige Bild des C.D. Friedrich vom Watzmann. Schnee übrigens gibt es nicht nur auf den Leinwänden, sondern auch die Ausstellungsarchitektur ahmt diese durchschnittenen scharfkantigen Schneemassen nach, mit witzigen Nebenwirkungen, so daß Bilder auf einmal schräg hängen. Wie am Abhang also. Scharfkantig sind auch die steilen Abbrüche des Großglockner, die Markus Pernhart um 1860 malt und wo auf vorgelagerten Felsstücken winzige kleine Menschen im Blick auf die Erhabenheit der Natur diese grüßen.

Und da notwendigerweise das Wort Erhabenheit gefallen ist, kommt einem erneut C.D. Friedrich in den Sinn, dessen „Eismeer“ wohl nicht zu haben war, der aber spiritus rector einer Naturauffassung ist, die die Größe der Natur der Kleinheit des Menschen gegenüberstellt und seine Einsamkeit in ihr. Statt dieser Großen überrascht die Ausstellung mit einer Reihe von uns zuvor unbekannten Malern, und vor allem mit dem Einbezug von regionalen Künstlern aller Zeiten. Das finden wir ausdrücklich gut, auch deshalb, weil sich sowohl der erwähnte Bechtold wie auch andere Werke, herausgehoben Herbert von Reyl-Hanisch mit einem 24teiligen Werkzyklus „Land der Seele“ von 1928/29, hier gut behaupten.

Bei Jakob Alt und seiner Lithografie aus der Albertina Wien, fällt erneut auf, daß der Dachstein, hier von der Hallstätterseite aus, bevorzugtes Schnee- und Bergobjekt im 19. Jahrhundert war. Ein Modeberg. Peter Fischli/David Weiss dagegen gestalten 1979 ihre Bergwelten „In den Bergen“ mit Eis und Schnee in den eigenen Betten. Zum Nachmachen. Die weiß bezogenen Kissen richtig stapeln, einen blauen Teller hineinsetzen in die Mulde, die der Bettdecke leicht einzukerben ist, und nun zum Gebirgssee wird, kleine Holzklötzchen als Berghütten, einen Lift gibt es mittels einer Schnur, die um die oberste Kissenecke gebunden ist und nach untern Richtung See führt. Und da wir merken, daß die Ausstellung noch einmal von vorne anfängt, machen wir Pause und setzen fort.

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Ausstellung: bis zum 4. Oktober 2009

Katalog: Schnee. Rohstoff der Kunst, hrsg. von Tobias G. Natter, Vorarlberger Landesmuseum, HatjeCantz 2009. Das Besondere am Katalog ist, daß er nicht nur, was ja Katalogpflicht ist, die Exponate aufführt und dazu Bildbeschreibungen und Kommentierungen liefert, sondern daß in einer Kür auch noch auf hundert Seiten Essays verschiedene Aspekte beleuchten, wie Schnee-Kulturen als Vorüberlegungen zu einer Anthropologie des Schnees in populären Bildwelten, aber auch einen historischen Abriß über die Entwicklung von Skisport und Skitourismus, was zur Folge hat ein Thema wie: Wintertourismuswerbung und Schneeplakate, die geradezu ein sozilogisches und ästhetisches Übungsfeld sind.

Wir hatten uns auch die folgenden Ausstellungen angeschaut und empfehlen die zugehörigen Katalog denen, die nicht vorbeikommen und denen, die die Ausstellungen sehen, erst recht.

Katalog: Ali & Achmed im Landesmuseum. Die Kunstankäufe des Landes Vorarlberg

Katalog: Bevor die Römer kamen. Späte Kelten am Bodensee, hrsg. von Tobias G. Natter u.a., Bregenz u.a. 2008

www.vlm.at

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