Harald Meller, Herausgeber des vorliegenden Kataloges und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle an der Saale, stellt und beantwortet diese Frage gleich eingangs. Meller ist spätestens seit dem Coup um die Himmelsscheibe von Nebra („Tatort Himmelsscheibe“ Mitteldt. Verlag 2008) international bekannt geworden. Er holte die geraubte Scheibe heim in sein Landesmuseum nach Halle, baute das ganze Museum und rustikale Sehgewohnheiten um, neue Museen (Arche Nebra) auf und verhalf einer ganzen Region Mitteldeutschlands zu touristisch kulturellem Aufschwung. Wenn dieser Mann als Herausgeber zeichnet, spricht alles dafür, sich den Katalog anzuschaffen und noch bis Mitte Mai diesen Jahres die gleichnamige Ausstellung in Halle zu besuchen.
Grund für die Auseinandersetzung mit der Kultur von 3300 vor unserer Zeit sind die Ausgrabungsfunde von Salzmünde. Sieben Kilometer westlich von Halle wurden in den Jahren 2005-2008 mit dem Neubau der BAB 143 ältere Ausgrabungen großflächig erweitert und intensiviert. Ein Doppelgrabenwerk auf umwehrten Höhenplateau konnte als besonders imposantes Bauwerk des mittelneolithischen Europa freigelegt werden! Hier wurden vor über 5000 Jahren Rituale gepflegt, die uns heute bizarr erscheinen. Schädel und Knochen Verstorbener aus den zwei Umgrenzungsgräben der Anlage, die unter dicken Schichten zerschlagener Keramik niedergelegt worden waren, ergänzen die rätselhafte Fundstelle. Seit 2007 ergründet ein interdisziplinäres Team von Forschern mit modernsten Untersuchungsmethoden und kriminologischem Geschick die Geschehnisse um die massiv manipulierten Skelette von Salzmünde. Der Fundort ist aufgrund seiner immensen Ausdehnung und der hervorragenden Erhaltungsbedingungen seiner Überreste für die Erforschung der Steinzeit ein Glücksfall.
Vor allem eine erstaunliche Neunfachbestattung, die Bestattung von vier Frauen und fünf Kindern, die, jeweils in Paaren einander zugewandt, in einer Grabgrube lagen, sorgten europaweit für Schlagzeilen und bildet das Highlight der Ausstellung in Halle.
Zum Katalog, der schwere und reich bebilderte Band nimmt sofort durch seine ungewöhnliche und dramatische Gestaltung gefangen. Auf schwarzem Hintergrund präsentiert sich uns nicht nur der rätselhafte Schädel der Cover-Illustration, auch die meisten der wertvollen Fundstücke innerhalb der vier Kapitel-Komplexe sind schwarz hinterlegt. Das wirkt mystisch und überhöht, so geheimnisvoll wie die wahre Bedeutung vieler Alltags- und Kultgegenstände 3300 BC. Auffällig sind ebenfalls die wunderbaren textbegleitenden Zeichnungen von Karol Schauer und die frisch wirkenden, weil mehrfarbig dargestellten Grafiken und Geländeskizzen.
Im Katalog gelangen wir erst auf Seite 290 zu den Scherbengräbern von Salzmünde und den berühmten „neun Individuen“. Doch das ist gut so. Ohne den komplexen Aufbau der Textsammlung bliebe das Verständnis für singulär geschilderte Funde rudimentär. Die farbig markierten Kapitel-Komplexe "Einführung", "Kulturgeschichte vor 6000 Jahren", "Salzmünder Befunde am eponymen Fundort" und "Ahnenkult und Totenritual: die Welt hinter den Befunden" untersuchen in detaillierten Einzelbeiträgen knapp 50 verschiedener wissenschaftlicher Autoren Aspekte wie "Laktoseunverträglichkeit", "Bioarchäologie", "Megalithik", „Erdwerke“ und "Menschenopfer". Von der Erfindung der Traktion über die Geschichte unserer Infektionskrankheiten gelangen wir über die Megalithbauten Europas, Opferrituale, Ötzi, Menhire, Erdwerke und eine Waffenkunde zur Salzmünder Kultur, der allein fünfzig Seiten gewidmet sind. Bemerkenswert sind die abschließenden Vergleiche mit bestehenden Kulturen unserer Erde (Melanesien, Papua Neuguinea) im Kapitel-Komplex Ahnenkult und Totenritual, die sehr erhellend und zeitlos wirken.
Fazit: Großartiges Standardwerk zum Forschungsstand-Steinzeit, wertvoll und preiswert!
3300 BC, Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt, Hrsg. Harald Meller, 384 Seiten, 376 Abbildungen, Nünnerich-Asmus-Verlag, Mainz, Dez. 2013, ISBN: 978-3-943904-33-8, € 29,90 (D) / sFr 40,90 / € 30,80 (A)