Schäreninseln und Seenlandschaften – Reisebegegnungen im schwedischen Smaland

© Foto: Dr. Bernd Kregel

Aalglatt winden sie sich auf dem glitschigen Boden. Gerade befreit aus dem Gefängnis ihrer Reusenkammer, suchen sie in bizarren Windungen und ruckartigen Krümmungen ihr Heil in der Flucht. Doch ihr zappelnder Aktionismus endet stets neu an den hölzernen Seitenplanken des kleinen Fischerbootes, das sich für die fünf armdicken Aale sogleich als ein neues Gefängnis erweist. So mögen sie sich auch für eine Zeitlang mit der abweisenden Glätte ihres schlangengleichen Körpers jedem direkten Zugriff entziehen. Schließlich landen sie doch allesamt in einer mit Meerwasser gefüllten Tonne, in der sie nun ihrem Schicksal als Leckerbissen auf Feinschmecker-Tellern entgegen dämmern.

Bootsführer Tomas Liew ist einer der letzten Fischer im Labyrinth des Schärengartens von Västervik. Hier in der kargen Felslandschaft Smalands, die einst von den Eismassen der Eiszeit glatt gehobelt wurde bis auf den Grund. Mit einer Intensität, durch die die unzähligen Felsbuckel der kleinen Schäreninseln noch heute kaum die Wasseroberfläche erreichen. In diesem beliebten Tummelplatz von Hering, Scholle und Aal bedarf der erfolgreiche Umgang mit Netz und Reuse einer großen Fingerfertigkeit, über die Tomas zweifellos verfügt. Es ist ein Vergnügen, ihm in seiner sperrigen Ölkleidung zuzuschauen oder beim Einholen der Netze selber mit Hand anzulegen. Stets in der Ungewissheit eines Lotteriespiels, bei dem niemand an Bord genau vorauszusagen weiß, ob ihn im nächsten Augenblick ein Hauptgewinn oder lediglich eine Niete erwartet.    

Tücken der Schärenfischerei

© Foto: Dr. Bernd KregelDrei Feinde der Schärenfischerei zählt Tomas augenzwinkernd auf: die gefräßigen Kormorane, die räuberischen Seehunde und als Hauptfeind die theorielastige Bürokratie in Stockholm und Brüssel, die mit immer neuen Vorschriften und Gesetzen störend in die bewährten Arbeitsabläufe eingreift. In absehbarer Zeit, so Tomas, wird es hier wohl niemand mehr geben, der diese harte Arbeit bei Wind und Wetter noch ausüben will. Die Zahlen sprechen für sich. Denn von den einst zwanzig Fischern in der Umgebung seiner kleinen Schäreninsel Sladö gibt es gegenwärtig nur noch sechs.
 
Dabei ist Tomas nicht einmal einer der alten Hasen in diesem Handwerk. Früher, so berichtet er nicht ohne Stolz, war er als Rot-Kreuz-Manager unterwegs in den Krisengebieten Afrikas und Asiens. Doch dann sei er mit seiner Frau Carina in deren einstige Heimat zurück gezogen, wo ihm sein Schwiegervater die Schärenfischerei von der Pike auf beibrachte. Täglichen Beistand erfährt er nun von seiner aufgeweckten und drahtigen Hündin Sissi, die das Geschehen an Bord des kleinen Holzbootes für alle Anwesenden allein durch ihre muntere und einfühlsame Präsenz bereichert.

Scherenbewaffnete Minihummer

© Foto: Dr. Bernd KregelEtwa zwanzig Kilometer weiter südlich leben in gepflegter Zurückgezogenheit Lena und Peter Göransson.
Auch Ihnen kam das Eis zu Hilfe, das ihnen mit seiner Hobelwirkung unweit ihrer  Haustür einen spiegelglatten See bescherte. Eine Naturidylle zwischen hochgewachsenen Bäumen, die sich von kleinen gemütlichen Wohn-Blockhäusern aus besonders intensiv genießen lässt. Dabei lässt Peter es sich nicht nehmen, bei einer gemeinsamen Kahnpartie kleine Krebse in Gestalt scherenbewaffneter Minihummer aus den im Schilf ausgelegten Reusen herauszuholen. Bis schließlich der Eimer fast gefüllt ist und die Tierchen sogleich zum Abendessen zubereitet werden. Wie auch sonst vielerorts im spätsommerlichen Schweden, wenn an den Seeufern in geselliger Runde fröhliche Krebspartys zelebriert werden.

Lena hingegen setzt mit ihren „Café Tofvehult“ einen anderen Schwerpunkt. Schon kurz nach vier, so gesteht sie, steht sie morgens auf, um all die Kuchen zu backen, die dann nachmittags von mehreren hundert Gästen verspeist werden. Für sie ist es ein Traum, auf diese kulinarisch stilvolle Art aktiv zu sein. Und zugleich bedeutet ihre Tätigkeit für sie die Fortführung eines Vermächtnisses, das ihr die Großmutter einst mit einer reichhaltigen Sammlung typisch schwedischer Kuchenrezepte hinterließ.

„Bella figura“ vor der Kamera

© Foto: Dr. Bernd KregelDabei war ihr diese berufliche Ausrichtung nicht einmal in die Wiege gelegt. Denn zwölf Jahre lang war sie als Model weltweit unterwegs, um für Titelbilder und Modemagazine in die Kameras zu lächeln. Darunter auch in bekannten deutsche Frauenzeitschriften und Katalogen, für die sie stets „bella figura“ zu machen hatte. Was ihr auch vorzüglich gelang, wie eine in ihrem Café ausgestellte kleine Bildersammlung aus ihrem vorherigen  Leben beweist.

Doch eines Tages wollte sie nicht mehr. So zog sie für immer hierher zurück an den Ort ihrer Kindheit, an dem auch die gemeinsamen Kinder aufwuchsen. Neben der beruflichen Anspannung entstanden jedoch noch weitere  persönliche „Kinder“ in Gestalt von fünf Backbüchern, eines davon sogar in deutscher Sprache. So wurde Lena in der ganzen Umgebung zu einer Legende, vor deren Gartentor sich nachmittags bereits eine Stunde vor  Öffnungsbeginn die Liebhaber feinster schwedischer Kuchen und Torten einfinden. Nur um sicherzugehen, von den köstlichen Backwaren nach Großmutters Rezept noch ein angemessenes Stück zu erhaschen. In der wunderbaren Atmosphäre des Cafégartens mit seinen weit ausladenden Laubbäumen.

Exklusivität im schwedischen Sylt

© Foto: Dr. Bernd KregelAuf der Feinschmecker-Route Smalands von Västervik aus in Richtung Süden gelangt jeder Besucher mit Sicherheit auf die dem Festland vorgelagerte Insel Öland. In ihrer Exklusivität das Sylt Schwedens und zugleich die Insel der Leuchttürme und Windmühlen, der Hinkelsteine und der Naturreservate. Eine sechs Kilometer lange Stahlbrücke spannt sich schon seit mehreren Jahrzehnten von der Stadt Kalmar aus über die Meeresenge hinüber zu der schlanken Insel, auf der sogar die schwedische Königsfamilie in der stattlichen Sommerresidenz „Solliden“ dem Ruf Ölands als „Sonneninsel“ folgt.      

Unweit des Schlosses, so ist zu erfahren, liegt in dem schmucken Städtchen Borgholm eine weitere Pilgerstätte des guten Geschmacks. Es ist das Hotel Borgholm im Zentrum der Altstadt, in der, wie es heißt, allabendlich vom Feinsten aufgetragen wird. Es ist das Restaurant der Karin Fransson, einer deutschen Sterneköchin aus Baden Württemberg. Der Nachname macht stutzig. Doch schnell bringt der gepflegt gekleidete Herr am Empfang des Gourmetrestaurants Licht ins Dunkel: „Der Name ist von mir, Karin ist meine Frau“, stellt er ohne Umschweife fest und kostet dabei ein wenig die Überraschung in den Gesichtern seiner Gesprächspartner aus.

Bodenständigkeit statt Firlefanz

© Foto: Dr. Bernd KregelSo erübrigt sich die Frage nach dem Grund für die Übersiedlung von Deutschland nach Schweden. Stattdessen geht es in dem sympathisch offenen Gespräch um die ersten Erfolge der kulinarischen Begabung Karins, um die wunderbar illustrierten Kochbuch-Veröffentlichungen sowie die langjährigen Fernsehauftritte, die sie zur Kulinarik-Legende in ganz Schweden machten. „Gerade ist Karin wieder in Stockholm zu neuen Aufzeichnungen“, fügt Owe Fransson abschließend nicht ohne Bedauern hinzu.

Doch ihre Gourmet-Visitenkarte hat sie zurückgelassen. In Form einer Speisekarte, in der ihre einzelnen Gerichte zu mehrgängigen Menüs zusammengestellt sind. Kein Firlefanz. Dafür bodenständige Kulinarik-Variationen, die – hervorragend aufeinander abgestimmt – das Speisen zu einem abwechslungsreichen Erlebnis machen. Zu einem genussvollen Streifzug durch die Schärengärten, Seen und Wälder von Smaland, das Karin Jansson  offenbar zur einer zweiten Heimat geworden ist.

Aufdeckung des Unfugs

© Foto: Dr. Bernd KregelDie bekannteste Persönlichkeit Smalands indes entstammt dem abseits der Küste gelegene Städtchen Vimmerby. Natürlich niemand anders als Astrid Lindgren, die weltweit gefeierte Kinderbuchautorin. Ein Besuch ihres Geburtshauses Näs gehört daher zum Pflichtprogramm bei jedem Smaland-Besuch.
Jeder Winkel und jeder Gegenstand in den Innenräumen, soviel wird bei der Führung deutlich, ist von biografischer Bedeutung. Hier tollte die junge Astrid herum und sammelte spielerisch all die Erfahrungen, die sie irgendwo in ihren Büchern einer der handelnden Personen zuordnet. Zuallererst Ida und Michel, hinter denen sich offensichtlich Astrid selbst und ihr Bruder Gunnar verbergen.

Genau fünfzig Jahre sind es nun her, seit ihr erstes Buch erschien und ihre beispiellose Karriere als Kinderbuchautorin begründete. Damit befasst sich gegenwärtig im Astrid-Lindgren-Kulturzentrum eine anschaulich gestaltete Dokumentation. Gleich daneben die Ausstellung „Astrid Lindgren für die ganze Welt“. Sie zeigt in einer äußerst kurzweilig gestalteten Präsentation den Lebensweg dieser starken Frau, deren Kritik sogar die Politiker des Landes erzittern ließ. Als sie beispielsweise breitenwirksam vorrechnete, dass sie  eine Steuerschuld von 102 Prozent auf ihre Einnahmen zu zahlen hätte. Durch ungeschminkte Aufdeckung dieses Unfugs zwang sie die schwedische Regierung schließlich zum Handeln.

Knorriger Charakterkopf

© Foto: Dr. Bernd KregelNicht ganz so ernst geht es zu in „Astrid Lindgrens Welt“, einem Eldorado für Kinder und solche, die sich ihre Jugendlichkeit bewahrt haben. In diesem typisch schwedischen Astrid-Lindgren-Dorf treten alle ihre Figuren aus den Buchdeckeln heraus und spielen vor entsprechender Kulisse ihre jeweilige Geschichte. Spritzig, humorvoll und belebend.

Damit erweist sich Astrid Lindgren als eine ungemein widersprüchliche Persönlichkeit. Einfühlsam und zu Tränen rührend einerseits und zugleich einer der knorrigsten und durchsetzungsfähigsten Charakterköpfe Schwedens. So gehört sie in der Auseinandersetzung mit ihrem hier für die Öffentlichkeit aufbereiteten Lebenswerk zu den Menschen, die selbst über den Tod hinaus auf wohltuende Weise Kante zeigen und Profil erkennen lassen. Und damit stellvertretend auch der Begegnung mit Smalands Persönlichkeiten eine prickelnde Würze verleihen.

Reiseinformationen „Südschweden/Smaland“

© Foto: Dr. Bernd KregelAnreise

Per Flugzeug über Stockholm-Arlanda, weiter mit dem Auto nach Västervik; ab Winter 2013/14 ab Berlin Flüge nach Kalmar.
Per Auto über die Öresund-Brücke oder mit den Fähren Rostock-Trelleborg oder Travemünde-Trelleborg

Einreise

Schweden ist Schengen-Gebiet; es genügen zur Einreise der Personalausweis oder der Reisepass.

Reisezeit

Neben der Sommersaison von Mai bis September bieten auch die Wintermonate die typischen skandinavischen Wintersportarten und Kulturereignisse.

Unterkunft

Västervik: www.stadshotellet.nu; www.tofwehult.se; Öland: www.hotellborgholm.com; Kalmar: www.firsthotels.se/witt; Vimmerby: www.bjorkbacken.se

Auskunft

Västerwik: www.vastervik.com; Öland: www.oland.se; Kalmar: www.kalmar.com; Vimmerby: www.alv.se; www.astridlindgrensnas.se

Reiseführer

Marco Polo „Südschweden, Stockholm“, 5. Aufl. 2013, mit Landkarte, ISBN 978-3-8297-2621-4, Euro 11,99, www.marcopolo.de

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