Salzburg, Wien, Österreich (Weltexpress). Salzburg, diese wunderschöne Stadt im Herzen Österreichs, Touristenmagnet, in dem Mozart in allen nur erdenklich Varianten verkitscht und zugleich mit hochkarätigen Konzerten und Opernaufführungen gehuldigt wird, alljährlich Schauplatz des kulturellen Highlights der Nation, den Salzburger Festspielen, zu denen die betuchten Besuchern in schweren Limousinen, angetan mit Luxus-Dirndln und Designer-Lederhosen pilgern, erhebliche Eintrittspreise zahlen um sich als kulturbeflissene Pilger zum Mekka der österreichischen Hochkultur zu bewähren. Doch es gibt, wie so oft in Österreich, eine andere, düstere Seite – eine böse Zunge, es muss sich um den Satiriker Karl Kraus gehandelt haben, sagte einst über Salzburg, dass es dort mehr Antisemiten als Einwohner geben.
Österreichs wichtigste Festspiele – von zwei Juden gegründet
Das war natürlich eine grobe Übertreibung, hatte aber (und hat vermutlich immer noch) doch einen wahren Kern. Tastsächlich – obwohl die jüdische Gemeinschaft in der Zwischenkriegszeit nur 300 Seelen zählte und jüdische Salzburger unter Einsatz ihres Lebens für Kaiser und Vaterland gekämpft hatten – pöbelte der „Salzburger Volksbote“ kurz nach Zusammenbruch der Monarchie 1918: „Christliches Volk: Erkenne die Gefahr! Jag‘ die Juden fort und ihre Helfershelfer!“ Das war keine vereinzelte Stimme sondern offenbar der Trend. Dass zwei der drei Gründer der prestigeträchtigen Salzburger Festspiele vor mehr als 90 Jahren jüdische Ursprünge hatten – Max Reinhardt und Hugo von Hofmansthal – dürfte den meisten Salzburgern (und Österreichern) durchaus unbekannt sein, trotz der kürzlich im Jüdischen Museum Wien durchgeführten Ausstellung zu diesem Thema. 1963 hatten die Salzburger mit absurdem Verweis auf die „hohen Kosten“ es abgehlehnt die Urne von Max Reinhardt nach Salzburg zu überführen und dort zu bestatten, wie es seinem Wunsch entsprochen hätte. Das Schloss von Hugo von Hofmannsthal in Zell am See, das seiner Witwe gehörte, wurde „arisiert“, also gestohlen und nie zurückerstattet.
Jedenfalls – Salzburg hat in Sachen Antisemitismus einiges aufzuholen, und dieser Prozess ist noch lange nicht beendet. Sollte man meinen. Aber die Signale sind wenig ermutigend – ganz im Gegenteil: Anders als in Wien, wo auf konsequentes Drängen der in der Bundeshauptstadt starken Grünen inzwischen die Namen von Strassen und Plätzen, die an Nazis erinnerten, konsequent gegen unverfängliche Bezeichnungen ausgetauscht wurden, ist Salzburg noch lange nicht so weit. Aus durchschaubaren Gründen: Der Salzburger Bürgermeister Harald Preuner gehört der regierenden rechtsbürgerlichen Volkspartei (ÖVP) an und diese schielt nach jenen Wählerstimmen, die sie den extrem rechtsgerichteten Freiheitlichen (FPÖ) nach dem Ibiza-Skandal abgenommen hatte – und die erneut an die FPÖ zu verlieren eine ständige Bedrohung für die ÖVP darstellt.
„Diktatur des Betroffenheitskults“
In Salzburg gibt es eine „Josef-Thorak-Straße“ – und nicht nur diese, die an Hitlers Lieblingsbildhauer erinnert. In der seit Jahren ergebnislos geführten Debatten, wie die Stadt Salzburg mit Strassennamen umgehen solle, die selbst Jahrzehnte nach Kriegsende an ehemalige SA- und SS-Angehörige erinnern ist jetzt ein (allerdings unerfreulicher) Wendepunkt erreicht: Eine knappe politische Mehrheit hat sich gegen derartige Umbenennungen, wie sie in Wien längst erfolgt sind, ausgesprochen. Lediglich in vier Fällen sollen zu den weiterhin geltenden Strassentafeln wenigsten Erläuterungen über Leben und politische Verstrickung der jeweiligen Person mit dem NS-Regime angebracht werden – obwohl 13 Ex-Nazis ein gravierendes Verhältnis zum Nazi-Regime hatten. Dieses Ergebnis erbrachte ein nicht weniger als 1100 Seiten umfassenden Abschlussberichts eines Historiker-Fachbeirats. Dieser hatte die Hintergründe von 66 entsprechend belastete Strassennamen penibel aufgearbeitet. In jenen 13 Fällen bestehe „Diskussions- und Handlungsbedarf“ lautete der Befund. Zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus ist es dennoch nicht gekommen. Bürgermeister Preuner machte von Anfang an klar, keine Strassen umbenennen zu wollen. Stattdessen beauftragte er einen Historiker namens Kriechbaumer (der jener Kommission nicht angehört hatte) mit der Angelegenheit.
Dieser äusserte sich gewunden: Nachgeborene Historiker würden sich auf ein schwieriges und gefährliches Terrain begeben, da sie zugleich als Wissenschaftler und Richter agierten. Der vom Bürgermeister eingesetzte Historiker entblödete sich nicht, von einer „Diktatur des Betroffenheitskults“ zu sprechen – und fasste damit die jahrzehntelange Weigerung der Österreicher, sich mit ihrer (deutlich überproportionalen) Beteiligung an NS-Verbrechen – Massenmord und Massendiebstahl – auseinanderzusetzen in eine griffige Formel. Preuner sagte dazu, er halte nichts davon, „Namen aus der Geschichte zu streichen“. Dabei gibt es bereits einen gegenteiligen Beschluss – nämlich bereits Strassennamen mit weit weniger belasteten Nazis umzubenennen. Und pointierterweise fiel dieser Beschluss mit Zustimmung von Bürgermeister Preuner. Dazu sagt dieser eher schnoddrig: „Der Beschluss von damals ist mir egal.“ Eine Haltung des Bürgermeisters, die in scharfem Kontrast mit dem seit Jahrzehnten gepflegten Image der edlen Kulturstadt Salzburg steht. Erst kürzlich ist der ehemalige Vorsitzende der winzigen jüdischen Gemeinschaft Salzburg, Marko Feingold, der als unermüdlicher Mahner und prominenter Zeitzeuge mehrere Konzentrationslager überlebt hatte, in hohem Alter verstorben. Man kann sich ausmalen, was dieser zu den Äusserungen und Unterlassungen des Bürgermeisters seiner Stadt gesagt hätte.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag wurde in „Tachles“ (Schweiz) am 24.9.2021 erstveröffentlicht.