Zu dumm, dass die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben. Die Fischer von Palomino können ein Lied davon singen. Im Wettlauf mit der untergehenden Sonne ziehen sie in zwei langen Reihen ihr weit gespanntes Netz die Uferböschung hinauf. Und sogleich ergießt sich der silbrige Fang zappelnd über den Strand. „Rovalos, Rayes, Curbinatas“ hört man es ringsum aufgeregt rufen. Zwar nur ein mittelgroßer Fang, wie Fischer Aldemar immer noch schweißgebadet mit Kennerblick feststellt. Doch ein ansehnlicher Rovalo an seinem ausgestreckten Arm scheint ihn über höher gesteckten Erwartungen hinweg zu trösten.
Freudige Stimmung auch dann noch, als der westliche Horizont damit beginnt, pastellfarbene Rot- und Blautöne am Abendhimmel hervorzuzaubern. Wie anders doch als in den zurück liegenden traumatischen Jahren der Unberechenbarkeit, als sich stets Furcht und Misstrauen in die öffentliche Stimmung einschlichen. Nun hingegen der unübersehbare Anflug von Heiterkeit im Gesicht von Aldemar, als er sich mit seinem doch noch respektablen Anteil des Fangs auf den Heimweg begibt.
Pure Lebensfreude
Aufatmen und Lebensfreude bis hinein in den tropischen Regenurwald. In jenen Jahren der Gewalttätigkeit und inneren Zerrissenheit ein bevorzugter Aufenthaltsort der Guerilleros. Heute hingegen in weiten Teilen ein Anziehungsort für alle jene, die auf Schusters Rappen das Abenteuer der Natureinsamkeit suchen. So im Tayrona Nationalpark, der Wanderpfade unterschiedlicher Länge und Schwierigkeitsgrade bereit hält. Einer von ihnen ist der Kogui Trail. Unauffällig führt er zunächst durch die unterschiedlichen Grüntöne des üppigen Baumbestandes.
Und dann wieder entlang weißen Sandstränden, an denen sich mit Wucht die donnernde Brandung bricht. Bis hin zu „La Piscina“, einer geschützten Lagunenlandschaft, eingebettet in rund geschliffene und doch charaktervolle Granitformationen. Ein Ambiente bestens dazu geeignet, bei den erschöpften Wanderern umgehend die pure Lebensfreude hervorzuzaubern.
Koloniales Erbe
Genau das Richtige für Blanche aus Frankreich. Von Abenteuerlust beflügelt hat sie nach einer mehrmonatigen Trekkingreise durch Lateinamerika nun endlich auch Kolumbien für sich entdeckt. Nun bereits wieder auf dem Rückweg nach Tananga, dem Ausgangspunkt des Kogui Trails, schwärmt sie von den atemberaubenden Landschaften am Fuße der Sierra Nevada. Dazu von den zumeist freundlichen und aufgeschlossenen Menschen, denen sie hier am nördlichsten Ende Südamerikas immer wieder begegnet ist.
Und dazu ist sie begeistert von dem architektonischen kolonialen Erbe des Landes, das über die Jahrhunderte hinweg viele sichtbare Spuren hinterlassen hat. Nicht nur in Cartagena, dem absoluten Star aller kolumbianischen Kolonialstädte. Sondern auch in Santa Marta, der zweifellos ältesten von ihnen. Fast fünfhundert Jahre alt und über lange Phasen der Stadtgeschichte hinweg auch die begehrteste. Und warum?
Morbider Charme
Stadtführerin Diva weiß die Erklärung. Hatten es doch die Piraten wegen der hier eingelagerten Goldschätze immer wieder auf die Stadt abgesehen. Ein guter Grund für die Spanier, mit starken Befestigungsanlagen das Schlimmste zu verhindern, doch nur mit mäßigem Erfolg. So verloren sie schließlich ihr Interesse, und die dermaßen vom Schicksal gebeutelte Stadt verlor in der Folgezeit auch noch einen Teil ihrer kolonialen Bausubstanz. Eine Lücke, die sich, wie Diva beteuert, seit geraumer Zeit durch gezielte Restaurierung wieder schließt.
Besonders die Plätze der Altstadt sind es, die die Renovierungswelle zuerst erfasst hat: der Kathedralen-Vorplatz sowie die Plätze San Francisco, Simon Bolivar und Santander. Besonders letzterer bekannt als Sammelpunkt für abendliche Gäste, die in Restaurants wie dem „Ouzo“ die sommerlich angenehmen Temperaturen genießen. Das tröstet Diva zuweilen darüber hinweg, dass die Renovierung einiger ausgefallener Hausfassaden immer noch auf sich warten lässt. Aber ist es nicht gerade deren morbider Charme, der einen großen Teil der urbanen Seele von Santa Marta ausstrahlt?
Zauberhafte Boutique Hotels
Eher versteckte Höhepunkte im Stadtbild sind die zauberhaften Boutique Hotels, die hier mit viel Fantasie in die alte Bausubstanz eingeflochten wurden. Herausragend in seiner Art das „Don Pepe“, das bereits, wie man hier gern zum Besten gibt, ein saudi-arabisches Prinzenpaar für sich entdeckt hat. Besonders die Dachterrasse gibt einen wunderbaren Blick frei über die Monumente der Altstadt wie die Basilika Santa Marta sowie die architektonisch verschnörkelte Fassade des Stadthauses.
Seinen Ursprung, so ist hier zu erfahren, hat das „Don Pepe“ in dem Wohnhaus von Pepe und Rosita, einem legendären Ehepaar, das hier seine acht Kinder großzog. Jedes von ihnen in einem eigenen Zimmer. Wegen seiner künstlerischen Begabung erhielt der Nachwuchs in fortgeschrittenem Alter den Auftrag, jeweils das eigene Kinderzimmer individuell als Hotelzimmer umzugestalten. Ein Experiment, das bestens gelang und dazu mit dem Umbau der Wohnung von Pepe und Rosita zu einer Präsidentensuite noch eine Überhöhung erfuhr.
Dankbarkeit einer Nation
Den größten Anziehungspunkt von Santa Marta jedoch bildet die Quinta de San Pedro Alejandrino. Jene Hacienda, in der der Freiheitskämpfer Simon Bolivar, angeschlagen von den Strapazen des Freiheitskrieges gegen die Spanier, seine letzten Tage verbrachte. Heute ein wundervoll gepflegter Park mit uraltem Baumbestand, in dessen weit ausladenden Kronen sich flinke Leguane tummeln. Insgesamt ein Anwesen, das Würde ausstrahlt und damit zweifellos dem Andenken des großen Freiheitskämpfers gerecht wird.
Das werden auch die Räumlichkeiten, in denen Simon Bolivar zuletzt lebte und verstarb. Ergänzt durch eine Ehrenhalle, die den Freiheitskämpfer mit einer einzigen Statue in drei verschiedenen Altersphasen zeigt, je nachdem von welcher Seite man sich ihr nähert. Eine Gedächtnishalle, die besonders in der zurück liegenden aufgewühlten Zeit Erinnerungen freisetzte. Und in der sich bis heute die Dankbarkeit einer Nation widerspiegelt, die einst durch ihn ihre Freiheit gewann.
Eldorado des Kaffees
Der Ruhm von Santa Marta liegt jedoch nicht zuletzt begründet in der exponierten Lage der Stadt am Fuße der Sierra Nevada. Dort findet sich, angeschmiegt an eine Bergflanke, die Hacienda „La Victoria“, eines der Herzstücke des kolumbianischen Kaffeeanbaus. Von dem verschlafenen Örtchen Minca aus bemüht sich Guillermo, sein vierradgetriebenes Fahrzeug über den vom Regen ausgewaschenen Zufahrtswege hinweg zu manövrieren. Doch die Knüffe auf der harten Hinterbank sind leicht zu verschmerzen angesichts der landschaftlichen Weite, die sich hier droben von den Hängen der Sierra Nevada herab immer weiter auftut.
Und dann stößt man plötzlich in luftiger Höhe auf das Reich von Claudia und Nicky, die hier in der Bergeinsamkeit eine der bekanntesten Kaffeeplantagen betreiben. Ein Familienunternehmen mit deutschen Wurzeln seit 120 Jahren, wie Nicky stolz berichtet, seit Ende des 19. Jahrhunderts alle Gerätschaften für die Errichtung dieser Kaffeeplantage auf dem Rücken von Maultieren in diese abgelegene Bergwelt hinauf transportiert wurden. Und das Erstaunlichste: Nichts musste seither ausgewechselt werden. Bis auf 5600 Schrauben, deren Gewinde in einer Trockentrommel festgerostet war.
Positive politische Wende
Nach Einführung in die Geheimnisse der heimischen Kaffeeproduktion durch Claudia wartet natürlich jeder darauf, das Produkt des Hauses auch zu verkosten. Hundertprozentiger Arabica-Kaffee, der aufgrund seines wunderbar sanften Geschmacks keine Konkurrenz auf den Märkten zu fürchten braucht. Als einzige Herausforderung für „La Victoria“ erweist sich vielmehr das Wetter. Und nie wird Claudia es vergessen, als die 120 Pflücker zurück kehrten mit der Botschaft, dass sechzig Hektar der Anbaufläche wegen des ausgebliebenen Regens verloren waren, vierzig Prozent der gesamten Jahresernte. Ein Schicksalsschlag, mit dem man hier offenbar alljährlich rechnen muss.
Unberechenbar auch die Ereignisse am Höhepunkt der politischen Wirren, als eine Gruppe von Guerilleros die gesamten Räumlichkeiten besetzte und sie zu ihrem Unterschlupf umfunktionierte. Der Anfang vom Ende? „Gott sei Dank ist das vorbei!“, entfährt es Claudia, die sich damals mit ihrem Mann genötigt sah, ihr eigenes Anwesen umgehend zu verlassen. Und niemand zögert auch nur einen Augenblick, ihr die echte Freude über die irgendwann dann doch einsetzende politische Wende abzunehmen.
Wandel der Wahrnehmung
Nichts spricht also heute mehr dagegen, vor der Abreise aus Kolumbien in die Bucht von Santa Marta hinaus zu fahren, um dort an einem der Strände Sonne und Meer zu tanken. Und sich zu wundern über den offensichtlichen Wahrnehmungswandel im eigenen Bewusstsein.
Reiseinformationen “Kolumbien”:
Anreise: Direktflüge täglich von Frankfurt nach Bogota mit Lufthansa, www.lufthansa.com; weiter nach Riohacha oder Santa Marta mit Avianca, www.avianca.com
Einreise: Mit mindestens 6 Monate gültigem Reisepass; kein Visum ist erforderlich.
Reisezeit: Beste Reisezeit ist November – Januar. Auch April – Juni bzw. September – November mit wenig Regen.