Romane von heute laufen immer – Serie: Zum Jahresübergang die alten und neuen Bücher aus vielen Bereichen (Teil 1/20)

Erika Fischer hat mit „Mein Erzengel“ aus dem Berlin Verlag einen komplexen Liebesroman geschrieben. Komplex schon deshalb, weil es für die Erzählerin, „lebenslustig, sinnlich und politisch aktiv“, ein Blick zurück ist, auf den Mann, von dem sie längst geschieden ist, aber einst verfallen war und von dem sie nun Stück für Stück mitbekommt, daß er ein anderer ist, als sie ihn einschätzte und erlebte. Was tun? Auf jeden Fall seinen eigenen Gefühlen folgen, und die führen Ruth erst einmal zu sich selbst, nämlich zu einer Rückschau und Analyse ihres eigenen Lebens”¦Die 1943 im englischen Exil der österreichischen Eltern Geborene ist bekannt geworden durch ihre dokumentarische Erzählung „Aimée & Jaguar“ und auch für diesen Roman gilt, daß er menschliche Schicksale zuspitzt.

Dein oder mein“ von Adam Davies, erschienen im Verlag Diogenes, setzt Herkömmliches erst einmal außer Kraft, in dem dieser Roman grundsätzlich vom Dualismus ausgeht und behauptet, es ist nur die Sichtweise und Perspektive, ob aus dem Engelchen ein Bengelchen wird oder umgekehrt. Auf jeden Fall ist Otto Stark der Superheld, eigentlich, der Spezialist für die Abhaltung von Dieben wertvoller Kunstwerke, denn er kennt alle Schliche der Branche. Aber das sieht der andere, „Ratte“ genannt und zum Superschurken erklärt ganz anders. Denn er klaut nur die Kunstgegenstände, die zuvor selber auf diesem Wege ihrem Besitzer verlustig gingen, und gibt sie anschließend dem rechtmäßigen Eigner zurück.

Ja, wer ist denn jetzt der Übeltäter? Ratte auf jeden Fall hat schon dreimalzugeschlagen, als wir zum Lesen zugelassen werden. Man kann versprechen, daß das ein Lesevergnügen der besonderen Art wird: rasant, spannend, ziemlich heftig-deftig und dann auch noch mit Überraschungen“ Lesen!

Der französische Autor Cyril Massarotto schwebt mit „Der Allmächtige und ich“ aus dem List Verlag auf einer ganz anderen Wolke. Man müßte sagen: er läßt schweben, denn seine zentrale Figur stößt auf der Wolke auf Gott, der ihn von da an begleitet. Ob er will oder nicht. Nachdem der Nichtgläubige Respekt vor diesem Gott gewinnt, der ihm auf seine drängenden Fragen Antworten gibt, kommt es noch doller. Gott ist auch ein Kuppler, noch dazu ein erfolgreicher. Es folgt die Ehe mit Alice, es kommt der Sohn, und dann inmitten des Glücks und des perfekten Lebens passiert es, das Grauenvolle, das das Glück auslöscht. Gott versucht nun dem Unglücklichen klar zu machen, daß beides zusammengehört im Weben der Menschenschicksale durch diesen Gott. Da mußten wir stark an den Dualismus des vorigen Buches denken.

Von anderem Gewicht ist „Ein freies Leben“ von Ha Jin, vom Verlag Ullstein. Der Chinese, der 1985 in die USA studienhalber ging und dann blieb, schreibt auf Englisch und hat schon mehrere sehr beachtete Romane veröffentlicht. In Berlin als Stipendiat der American Academy war er im Herbst 2008. Wenn die Widmung ausdrückt: „Für Lisha und Wen, die diesen Roman gelebt haben“, möchte man gleich mehr darüber wissen. Aber dem Buch merkt man an, daß hier nicht ein Tagebuch Speck ansetzt und auch nicht eine Art Dokumentation erstellt wird, sondern daß romanhaft und wie im Gleichnis von Menschen geschrieben wird, die ihre Heimat verließen und diese dennoch in ihren Seelen mitnehmen, aber den Blick kritisch auf die Ereignisse im Heimatland – hier China –richten müssen, was weh tut und gefährlich ist es auch.

So erleben wir die Skrupel des Familienvorstandes Nan Wu, der sich verantwortlich fühlt, sowohl dafür, daß er der Ehefrau Pingping in seinen Gedanken und Gefühlen die Jugendliebe dauernd vor die Nase setzt und dazu noch nicht einmal ein gutes Familieneinkommen sicher stellen kann. Aber er fühlt sich auch für die Heimat verantwortlich, die in den Schlagzeilen seiner neuen Heimat schlecht weg kommt. Man taucht tief ein in ein Emigrantenschicksal, das seine Würze auch dadurch erhält, daß Nan eigentlich ein Künstler ist, aber hier doch für seinen Sohn verantwortlich sein muß. So viele Widersprüche, so viele Lebensansätze, so viele Gesellschaftsmodelle.

Die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb hat mit „Der japanische Verlobte“, erschienen im Diogenes Verlag, eine kleinen feinen Roman aufs Parkett gelegt. „Französisch zu unterrichten schien mir der beste Weg, um Japanisch zu lernen“. Na ja, fragt man sich, weiß aber im Nu, daß die Icherzählerin schon in Japan lebte, wo sie in Tokio eine entsprechende Kleinanzeige im Supermarkt anbringt und prompt den ersten Anruf erhält. Die Geschichte, die Liebesgeschichte beginnt. Wenn man zuvor den Klappentext gelesen hat, weiß man, daß die Autorin hier ihre eigene Liebesgeschichte in Japan verarbeitet. Dann wundert man sich schon. Auch wenn man hier der Fiktion die Fiktion glaubt, nimmt das überhand, daß immer mehr ein gelebtes Leben als Vorlage dient. Allerdings sind einfach die Kulturvergleiche Asien-Europa berückend und so geht dieses kleine Buch unter die Haut.

Na gut, hören wir mit Lisa Lutz auf. „Die Spy Girls. Familie Spellman ermittelt“, heißt die neueste Variante aus dem Verlag Kiepenheuer. Diese Familie hatten wir in „Little Miss Undercover“ schon kennengelernt, denn sie sind ein Familienunternehmen im durchaus seltenen Familiengewerbe: Privatdetektei. So regelrecht komisch ist das, was da zwischen Alltag und Hausarbeiten und den kleinen grauen Gehirnzellen hin und her sich bewegt. Denn es gilt aufzuklären, was es mit dem Nachbarn auf sich hat, sehr verdächtig. Aber das ist nicht alles, auch die eigene Familie ist für die Privatdetektivin Isabel schon zum Fall geworden. Eine Mutter, die Reifen aufsticht, eine Schwester, die „aus Versehen“ den neuen besten Freund überfährt, Inspektor Henry Stone. Doch, was eine rechte Ermittlerin ist, die bringt das gerade erst in Fahrt. Liest sich angenehm. Fortsetzung folgt.

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Die Bücher:

Erika Fischer, Mein Erzengel, Berlin Verlag 2010

Adam Davies, Dein oder mein, Diogenes Verlag 2010

Amélie Nothomb, Der japanische Verlobte, Diogenes Verlag 2010

Cyril Massarotto, Der Allmächtige und ich, List Verlag 2009

Ha Jin, Ein freies Leben, Verlag Ullstein 2008

Lisa Lutz , Die Spy Girls. Familie Spellman ermittelt, Kiepenheuer Verlag 2009

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