“Respekt! Kein Platz für Vertuschung Herr Röttgermann” – Nachdenken und Aufklären ist besser – Spurensicherung durch Staatsanwaltschaft sinnvoller

© IG Metall / Respekt TV

Mediales Nachspiel in Sachen Rassismus

Ganz aktuell: das Gipfeltreffen der Frauenbundesliga zwischen VfL Wolfsburg und Turbine Potsdam erlebt zwei Tage nach der Partie ein mediales Nachspiel. Anstoß hatte am Sonntag nachmittag wohl der VfL durch einen Artikel auf der Homepage der VfL-Frauen durch seinen Geschäftsführer Thomas Röttgermann. Nachdem die afrikanische Fußballerin Genoveva Anonma von einer noch nicht bewiesenen Rassismus-Attacke aus der Richtung der Wolfsburger Trainerbank berichtete, Potsdams Trainer Bernd Schröder ihr Gehör schenkte und in kurzer öffentlicher Sequenz andeutete, dass etwas nicht koscher gewesen sei bei der Verbalattacken von Seiten der Wolfsburger Trainerbank, wittert der VfL-Boss Gefahr und geht als Vorgesetzter der Wolfsburger Trainerriege sehr früh in den medialen Grabenkrieg. Wozu fragen sich jetzt viele?

Was war passiert in der 16. Minute des Top-Spiels in Wolfsburg?

“Kicker”-Redakteur Nickel schrieb im traditionellen Leitorgan des Deutschen Fußballs: „Zunächst hatte Anonma Abwehrspielerin Noelle Maritz gefoult. Dann, so hat die Stürmerin laut Turbine-Trainer Bernd Schröder erklärt, sei sie von der Wolfsburger Bank aufgrund ihrer Hautfarbe beleidigt worden. Als Reaktion habe sie den Mittelfinger gezeigt und wurde dann von Schiedsrichterin Marija Kurtes nach einem Hinweis von Linienrichterin Katrin Rafalski vom Platz gestellt. Auf dem Weg in die Kabine trat die Stürmerin noch gegen ein Hütchen, das VfL-Trainer Ralf Kellermann traf. "Es hat eine diskriminierende Bemerkung von der Bank gegeben, deshalb hat sie den Finger gezeigt. Wir werden das prüfen. Wenn das wirklich so gewesen ist, haben wir ein Problem", meinte Schröder, der der Pressekonferenz nach dem Spiel fern blieb.

Vorsicht! – Kein Platz für Vertuschung Herr Röttgermann

Zum Thema Rassismus kann die Spielerin Genoveva Anonma sicher mehr berichten. Anno 2010 wurde sie Opfer einer internationalen Medienkampagne. Nicht auf Grund ihrer ethnischen Herkunft, sondern wegen ihres Geschlechtes. In einer menschenverachtenden Kolportage wurde Anonma verdächtigt, ein Mann zu sein. Die Sportredaktion der „Bild“-Zeitung vergab für die Story  ungewöhnlich viel Platz. Die sonst karge Berichterstattung über Frauenfußball wurde getopt. Eine ganze 2/3 Seite wurde vorrangig nur die Sex-Frage von Genoveva Anonma behandelt. Die fette Überschrift lautete: „1. Skandal vor unserer Frauen-WM –  Sind diese Spielerinnen Männer?“

Vorsicht! – die Afrikanerin wurde schon einmal sehr beleidigt

Ex-Jena Geschäftsführer Etzel wußte damals gegenüber Weltexpress zu berichten: “Anonma  wußte gar nicht, wie ihr geschieht. Wir waren mehr als froh, dass wir sie vor dem wichtigen Spiel in Essen nach ihrem erfolgreichen Afrika-Cup wieder bei uns begrüßen durften. Und anstatt Fragen zur sensationellen WM-Qualifikation gestellt zu bekommen, kommen plötzlich absurde Fragen nach ihrem Geschlecht. Es ist schon befremdlich, wenn man in Essen gewinnt und direkt nach dem Schlusspfiff rennt ein Team des WDR auf das Feld um Großaufnahmen von ihr zu bekommen. Zu unserem eminent wichtigen Auswärtssieg wollte niemand etwas wissen. Wir nahmen dann Anonma zu uns und haben sie abgeschirmt.” Die damals 21-Jährige unterzog sich danach noch mehrmals einem für eine Frau entwürdigen Sex-Test.

Vorsicht! – Anonma ist ein gebranntes Kind

Nach Jahren witzelt eine ehemalige Potsdamerin in VfL-Diensten nur noch darüber mit den Worten: “Ja, ja – unsere Ivi Hartmann hat schon damals gemeinsam geduscht mit Anonma und hat sich von deren  Frausein überzeugen können.” Übrigens diesen Spruch hörte ich vor drei Tagen nach dem Freitag-Spiel mit dem Eklat um Anonma. Aufgepasst, so ein mediales Kesseltreiben wie vor knapp fünf Jahren anno 2010 nennt man wohl eine rassistische Beleidigung. Herr Röttgermann, fragen sie mal den weiblichen Witzbold unter ihrem VfL-Logo, nach deren Anonma-Witz,  bevor sie sich zum Sittenwächter erheben. Ich, der Autor dieser Zeilen, kann ihnen den Namen der Frau nennen. Übrigens das Bonmot von Wolfsburgs Cheftrainer Ralf Reckermann im “Kicker” gilt es zu hinterfragen: “Anonma hatte einen Blackout. Sie muss sich im Griff haben.” Hatte sich auch Reckermann und sein Trainerteam beim höchst emotionalen Gipfeltreffen im Griff ?

Vorsicht! – Was bedeutet die Rhetorik von Kellermann

Das “Kicker” Sportmagazin meldete weiter zum Ablauf der Pressekonferenz, wo bekanntlich Potsdams Cheftrainer Bernd Schröder fehlte: “Die Behauptung der 26-Jährigen aus Äquatorial-Guinea wies Ralf Kellermann von sich und seiner Mannschaft. "Wir haben uns über Anonma geärgert", gibt der Wolfsburg-Coach zu, "es gab aber keine Beleidigung gegen sie. Solange ich hier Trainer bin, würde ich denjenigen nach Hause schicken, sobald ich etwas in dieser Richtung höre. Die Linienrichterin stand dabei, wenn sie so etwas gehört hätte, hätte sie auch reagiert."  Klingt ziemlich wasserdicht und plausibel. Nur was passiert Herr Röttgermann, wenn Tonaufzeichungen auftauchen, die etwas anderes aussagen. Töne von den Richtmikrofonen der TV-Leute und die Bildspeicher im Ü-Wagen des Senders sagen sicher mehr aus, als Schiedsrichterinnenformulare, die uns allen erklären wie furchtbar ein “Stinkefinger” ist, einer Spielerin, die wohlmöglich provoziert wurde.

Vorsicht! – Was bedeutet eine Stellungnahme von Röttgermann bevor eine Beweisaufnahme stattgefunden hat

Anonma ist beim Toreschießen wohl unberechenbar. – Genoveva Anonma ist eine absolute Weltklassespielerin und eine wunderbare heitere Frau. Vielleicht läßt etwas anderes vermuten, als Wolfsburgs Trainer Kellermann mit gesenktem Haupt vor vielen Zeugen im VfL-Presseraum seine Version vortrug. Man sagt ja: 70% der Kommunikation ist der Gestik zuzuordnen  und nur 30% der Sprache. Was viele Leser vielleicht nicht wissen: vor der Pressekonferenz gab es im Hof vor den Spielerinnenkabinen ein angeregte Diskussion zwischen Bernd Schröder und Ralf Kellermann. Sie dauerte etwa 15 Minuten, ein gewisser Herr Schmidt aus Potsdam und VfL-Pressefrau Oppermann standen dabei. Ich war anwesend. Mir kam die folgende Pressekonferenz vor, wie ein Gespräch nach einem Verkehrsunfall, wo meist nicht klar gesagt werden kann, was wirklich war. Ich habe mir mit Kollegen den Spielverlauf im DFB-TV mehrmals angesehen.

Vorsicht – Falls sich der Hinweis von der Potsdamer Spielerin erhärtet, haben sie als Geschäftsführer des VfL Wolfsburg ein Problem, was nicht nur den DFB zu interessieren hat.

Der TV-Bericht zeigt ganz klar: als die Hauptschiedsrichterin Marija Kurtes der Afrikanerin die Rote Karte zeigte, deutete Anonma auf ihre Haut – mehrere Male. Sie versuchte darüber zu reden. Nichts geschah von Seiten der Hauptschiedsrichterin. Keine Sekunde fand Anonma Gehör. War die DFB-Schiedsrichterin überfordert? Kannte Kurtes nicht den Eklat von 2010, als die Afrikanerin mit damals 21 Jahren rassistisch über mehrere Monate von internationalen Bloggern und Boulevard Zeitungen vorgeführt wurde. Fast jeder “sex belesene” deutsche Bild-Zeitungsleser bekam es doch damals mit. Wo war die damalige Stellungnahme vom DFB ? Ist da nicht jetzt ein genaues Zuhören und ein Abstimmen mit den Trainern notwendiger denn je als der Zirkus und Popanz mit den Fußball-Regeln von Linienrichterin Karin Rafalski.

Vorsicht – es geht doch nicht um drei Punkte, es geht um Aufklärung

Übrigens Rafalski muss doch auch das zugegebene Meckern von Cheftrainer Kellermann an gegnerischen Spielerinnen gehört haben. Ehemalige Rassismusopfer wie Anonma verdienen es nach fünf Jahren ernster genommen zu werden. Traumata dauern lange. Übrigens ich habe damals wie alle geschwiegen. Es gab keine Erklärung des DFB oder WM-2011 OK zum Spießrutenlauf der Afrikanerin.  Das WM-2011 OK schien es nicht zu bemerken. War das nicht feige?  Nachdenken und Aufklären ist diesmal angesagt. Es geht nicht um das Ergebnis, es geht um viel mehr. Ich kann gut verstehen, dass der Mensch und Cheftrainer Schröder versucht seine Spielerin ernst zu nehmen. Es gehört zu seiner Fürsorgepflicht.

Vorsicht! – Was treibt sie dazu Herr Röttgermann Stimmung zu verbreiten und den Empörten zu spielen?

Herr Röttgermann, es geht um viel mehr. Warten sie bitte die Anhörung der Spielerin ab. Ich rate,  wieder etwas runter zu kommen und auf das Urteil des DFB-Sportgerichtes zu warten. Natürlich muss dieser Vorwurf aufgeklärt werden. Fast direkt neben der Trainerbank hatte DFB-TV ein Mikro aufgebaut. Ich denke, dass es für Turbine Potsdam möglich sein sollte, diese Aufnahmen anzufordern. Wenn dort also eine rassistische Äußerung zu hören sein sollte, besteht ein intensives öffentliches Interesse zur weiteren Aufklärung.

Quellen: Kicker Sportmagazin, Weltexpress Archiv, FF USV Jena Schriftverkehr mit GF Etzel, http://www.respekt.tv/initiative/initiatoren, IG Metall

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