Frankfurt am Main (Weltexpress). Für WELTEXPRESS führte Bernd Paschel das Gespräch mit Larissa Hartkopf, die sich in ihrem Buch „Was sie über Reitpferde und Turniersport wissen sollten“ über den Pferdesport kritisch äußert.
Paschel: Frau Hartkopf, ich freue mich besonders auf dieses Gespräch, da Sie eine der wenigen jungen Reiterinnen sind, die nach meiner Kenntnis den Mut haben, sich offen gegen die Reiterliche Vereinigung FN zu stellen und dabei nicht nur diese kritisieren, sondern auch selbstkritisch eigene Irrwege zugeben.
Sie sind wie viele Spitzenreiter praktisch von Geburt an mit Pferden groß geworden und haben eine typische Sozialisation im Sportreiten erfahren.
Jetzt schreiben Sie in Ihrem Buch (S.18): „Aus der Sicht der Sportpferde ist die Sportreiterei ein dümmliches Verhalten des Menschen.“ Pferdesprachlich gesehen setzen sie sich da auf ein sehr hohes Ross!
Eine solche Erkenntnis kommt ja nicht plötzlich. Ich sehe oft Kinder, die sich deutlich, wahrscheinlich instinktiv, gegen den unnötig grausamen Umgang mit dem Pferd wehren, manchmal mit Trotz, weil sie keine anderen Mittel haben gegen die Mutter oder den Trainer. In welchem Alter haben Sie bewusst angefangen, den Reitsport kritisch zu hinterfragen?
Hartkopf: Bewusst angefangen den Reitsport zu kritisieren habe ich erst vor wenigen Jahren, also im Alter von Ende 20. Natürlich habe ich auch als Kind vieles hinterfragt, aber eben nur für kurze Momente. Das Vorleben der Erwachsenen wirkt auf lange Sicht stärker auf ein abhängiges Kind ein, als seine eigene, noch vorhandene Unverdorbenheit.
Ich erinnere mich gut daran, wie ich als kleines Mädchen nicht verstand, warum Eisengebisse zum Reiten verwendet werden. Wenn ich mein Pony selber trensen sollte, hat es die Zähne zusammengebissen und ich schaffte es mit meinen kleinen Händen noch nicht, das Maul zu öffnen, um das Gebiss einzulegen.
Es gibt unzählige solcher Beispiele; ob es sich um den Einsatz von Sporen und Gerte handelt oder das in Kinderreitstunden so beliebte Überschlagen der Steigbügel, die einem Pferd jeden Schritt gegen die Schultern schlagen. Die Sensibilität eines Kindes, das mit den Umgangsformen des Reitsports aufwächst, nimmt sehr schnell ab. Bereits im Jugendalter werden die üblichen Kommandos, wie dem Pferd in die Rippen zu treten oder ihm mit der Trense den Zahn zu ziehen, aus eigner Motivation angewendet. So war es bei mir und so habe ich es auch bei allen anderen beobachtet, die in diesen Sport hineingewachsen sind.
Paschel: Woher nehmen Sie die Kraft, 20 oder mehr Jahre ihres Lebens in Frage zu stellen?
Hartkopf: Ich war mit meinen Kräften am Ende. Nur deswegen konnte ich mich und den Reitsport derart hinterfragen. Sie müssen bedenken, dass ich nicht nur ehrgeizige Turnierreiterin war, die viele Male an Deutschen Jugendmeisterschaften teilgenommen hat und im Alter von 17 Jahren S- Dressuren gewann. Ich habe später auch andere Rollen im Reitsportgewerbe eingenommen. So arbeitete ich in den letzten Jahren als einfache Pferdepflegerin und habe fast den ganzen Tag auf einer großen Reitsportanlage Pferde von A nach B gebracht. Ich konnte meinen eigenen, so stark anerzogenen Ehrgeiz nicht mehr ausleben und hatte dadurch die Möglichkeit den Reitsport aus einer anderen Position heraus zu betrachten. Ich habe mich mit entsprechender Literatur beschäftigt und über das Internet neue Freundschaften und Bekanntschaften aus Kreisen der Pferderechtsbewegung geschlossen. Ich habe sozusagen das Boot gewechselt.
Paschel: Dr. Heuschmann hat als Dressurreiter und Leiter der Veterinärabteilung der FN auch zugegeben, dass er Fehler begangen habe. Für mich war das eine Aussage, die ich in Reiterkreisen ganz selten höre, im Gegenteil, die kleinste Kritik führt oft zu teilweise übersteigerten emotionalen Reaktionen bis hin zu hasserfüllter Abwehr, anstatt zu einer sachlichen Diskussion.
Sie als „Nestbeschmutzerin“ erfahren das wahrscheinlich häufig?
Hartkopf: Zunächst einmal empfinde ich es als sehr befreiend, im alltäglichen Leben nicht mehr von Sportreitern umgeben zu sein. Ich bin diesen Kreisen glücklicherweise nicht mehr ausgesetzt.
Vor einigen Monaten hat mich eine Reitsportzeitschrift in einem Artikel über „Selbsternannte Experten im Reitsport“ lächerlich gemacht. Das darf man natürliche alles nicht so ernst und persönlich nehmen. Wenn mir damals, als erfolgreiche und ehrgeizige Juniorin, jemand erzählt hätte, dass ich meinen Pferden schade und durch das Ausüben dieses Sportes Tierquälerei betreibe, hätte ich höchstwahrscheinlich ebenfalls herablassend oder aggressiv auf solche Kritiker reagiert. Es handelt sich bei solchen Reaktionen um einen Selbstschutz und das starke Zugehörigkeitsgefühl zum Reitsport.
Paschel: Könnte es sein, dass für viele Reiter das Pferd wegen der intimen Beziehung eine Projektionsfläche bietet, die es erlaubt oder besser verhindert, sich mit dem Widersprüchen im eigenen Selbst auseinander zu setzen?
Hartkopf: Ja, das denke ich. Das Pferd gilt als Sportpartner des Menschen, doch nur der Mensch ist daran interessiert, Schleifen und Punkte zu gewinnen, nicht das Pferd.
Es ist üblich, dass die Fehler für Misserfolge auf Turnieren hauptsächlich beim Pferd gesucht werden. Pferde werden als Folge dessen verkauft und ausgetauscht.
Jeder echte Sportler aber sucht die Gründe für Misserfolge bei sich selbst. Der Tennisspieler erkennt, dass seine Aufschläge im Match nicht gut genug waren, der Skispringer erkennt, dass sein Absprung vom Schanzentisch schlecht war. Der Reiter aber erzählt in Interviews, dass sein Pferd diese oder jene Lektion schlecht ausgeführt hat (Dressursport), bzw. den Absprung zum Hindernis falsch abgepasst hat (Springsport).
Menschlicher Ehrgeiz sollte nicht auf Pferde projiziert werden. Reiten ist kein Sport.
Paschel: Sie schreiben weitergehend (S. 84): „Der Reitsport ist ein Produkt niederer menschlicher Entwicklungsschritte“.
Ist das so gemeint, wie Horst Stern und Prof. Heinz Meyer es ausdrücken, als ein Ausleben von barbarischen Anteilen, die im Menschen evolutionär vorhanden sind?
Hartkopf: Ja, so habe ich es gemeint. Es geht um die niederen Eigenschaften, andere Individuen unterdrücken und beherrschen zu wollen: Es gibt Kriege, es gibt die Ausbeutung der Menschen in den 3. Weltländern, es gibt die Klassengesellschaft und es gibt den Reitsport (Nutztierhaltung allgemein).
Paschel: Die Klassengesellschaft in Ausbildungsställen, wo die Stallarbeiter (oft Ausländer) von den Besitzern nicht nur ausgebeutet werden, sondern von den Reitern häufig auch unwürdig behandelt werden, beschreiben Sie auch in Ihrem Buch.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht bekanntlich in allen Ländern, besonders in den armen immer weiter auseinander.
In der kritischen Sportpädagogik sagt man, dass der Sport ein Abbild der Gesellschaft ist.
Hartkopf: Ja, das ist leider noch die Realität.
Wenn Stallbetreiber und Pferdebesitzer, die für 100 000 Euro Pferde ersteigern, erzählen, dass sie es sich nicht leisten können einen Pferdepfleger zu einem menschenwürdigen Lohn einzustellen, ist das alles andere als ein Zeichen von hoher Klasse und Anstand.
2015 ist in Deutschland der Mindestlohn von 8.50 Euro pro Stunde eingeführt worden. Daran muss sich jeder Arbeitgeber halten. Ich vermute, dass im Reitsportgewerbe weiterhin gepfuscht und ausgetrickst wird. Doch jeder um seinen Lohn betrogene Arbeitnehmer hat nun die Möglichkeiten gegen solche Zustände vorzugehen.
Ich kann allgemein nur jedem raten, nicht für den Reitsport zu arbeiten- aus Gründen des Pferdeschutzes und zum Schutze seiner selbst.
Paschel: Können Sie konkret einige Grausamkeiten nennen, die aktuell sind und Sie besonders berühren?
Hartkopf: Mich persönlich erschüttert besonders die Tatsache, dass Pferde in Massen auf Erfolg gezüchtet werden. Auf Auktionen werden viele dieser Zuchtexemplare für großes Geld versteigert. Die jungen Bewegungskünstler gelten als Wertanlage, in die investiert wird. Das alt und untauglich gewordene Pferd ist jedoch wertlos. Es wird versucht solche, durch den eigenen Sportgebrauch verschlissene Pferde, für wenig Geld an weniger ambitionierte Reiter zu verkaufen. Schwierig wird es für viele Sportreiter dann, wenn das Pferd gar nicht mehr brauchbar und verkaufbar ist. Es gibt keine staatlich finanzierten „Altersheime“ für Pferde. Ein Pferd macht viel Arbeit und verursacht monatlich hohe Kosten, ob jung oder alt. Pferdeschutzhöfe sind überfüllt und auch nicht dafür gedacht, ihre Spendengelder für die ausrangierten Sportpferde wohlhabender Reiter einzusetzen.
Paschel: Sie unterstützen die Tierschutzpartei. Haben sie den Glauben verloren, dass der Tierschutz von den Grünen und den anderen Parteien nicht mehr genug vertreten wird?
Hartkopf: Nein, den Glauben habe ich nicht verloren, den sollte man nie verlieren.
Die Tierschutzpartei macht gute Arbeite und erreicht eine Menge.
Jeder Tier- und Menschenfreund ist gut beraten, dieser Partei seine Stimme zu geben.
Paschel: Sie kennen wahrscheinlich unsere Eingabe an den Petitionsausschuss und die Fraktionen im Bundestag mit den Konkreten Vorschlägen:
Materialeinsatz: Verbot des Gebisses beim jungen Pferd bis zum 4. Lebensjahr. Grundsätzliches Verbot von Kandare, Sperrriemen, Sporen und Hilfszügeln, die das Pferd in seiner Balance behindern. Hufbeschlag sollte nur noch bei ärztlicher Indikation erlaubt sein.
Umgang: Verbot der Hyperflexion, des Barrens oder Touchierens, wie es verharmlosend genannt wird, Elektroschocks sowie andere Trainingsmethoden, die geeignet sind das Pferd über Schmerz gefügig zu machen und die Gesundheit gefährden.
Haltung: Minimalanforderungen wie z. B. der Laufstall müssten als verbindlich vorgeschrieben werden.
Veranstaltungen: Verbot von Veranstaltungen, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wie z. B. das Mächtigkeitsspringen und entsprechende private Spektakelveranstaltungen.
Haben Sie noch Ergänzungen?
Hartkopf: Das Ziel sollte es sein, den Pferdesport gänzlich aus der Welt zu schaffen. Solange Pferde als Erfolgsmaterial für den menschlichen Ehrgeiz dienen müssen, wird das Milliardengeschäft auf Kosten der Pferde weiter genährt. Denn jeder so genannter Spitzenreiter möchte schließlich auch Spitzenreiter bleiben. Das bedeutet, es wird weiterhin gezüchtet, Pferdehandel betrieben und es wird versucht das Beste aus den Pferden herauszuholen, um auf Turnieren und Meisterschaften zu gewinnen.
Die oben genannten Punkte sind der erste Schritt, das Rad anzuhalten. Hinzufügen würde ich hierbei noch die konkrete Forderung, den Reitsport als olympische Disziplin zu streichen.
Paschel: Da sprechen Sie etwas an, das mich als Diplomsportlehrer und Olympiatrainer natürlich herausfordert.
Aus dem Programm der Olympischen Spiele kann es leider nur vom IOC genommen werden, solange es keine verbindlichen Tierrechte bei der UN in Anlehnung an die Menschrechte gibt.
Das Reiten ist nicht vereinbar ist mit den Idealen der olympischen Bewegung, nicht nur weil Pferde aus Erfolgsstreben missbraucht werden, sondern auch weil Fair Play und Chancengleichheit tangiert sind, wie Sie trefflich beschreiben (S. 18):
„Reiter sind keine Sportler! Einige würden nicht einmal das Sportabzeichen bestehen. Nur mit Hilfe der Pferde haben sie die Möglichkeit, sich sportlichen Ruhm zu erschwindeln.“
Nicht grundlos ignoriert Thomas Bach unsere Briefe.
Der Begriff „Sport“ kommt bekanntlich aus England. Ein wesentliches Merkmal ist der Wettkampfgedanke. So konnten auch die Schachspieler und der Deutsche Alpenverein Mitglieder im Deutschen Sportbund werden.
Wenn man den Gesundheitsgedanken im Sport als wesentlich erachtet, wäre es für die Reiter sicher gesünder, wenn sie die Distanzen, die das Pferd zurücklegt, mit eigenen Füssen bewältigen würden.
Ich komme deshalb noch einmal auf Ihr Zitat zurück:
„Aus der Sicht der Sportpferde ist die Sportreiterei ein dümmliches Verhalten des Menschen.“
Das ist für mich eine treffliche Metapher, die ich noch ergänzen würde mit: ein dümmliches und „grausames“ Verhalten.
Hartkopf: Da kann ich zustimmen. Was die Pferde letztlich wahrnehmen, denken oder fühlen, können wir nur vermuten oder mit einer übersinnlichen Empathie erspüren, insofern wir dazu in der Lage sind.
Paschel: Eine übersinnliche Empathie ist mir leider noch nicht begegnet, aber die neuzeitlichen Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung und Neurologie besagen, dass sich Säugetiere in ihrem Fühlen sehr ähnlich sind.
Hartkopf: Man ist sich sogar sicher, dass bestimmte Säugetiere Trauer oder Freude ausdrücken können.
In meinem Buch habe ich dem Thema ein Kapitel gewidmet.
Wenn man wirklich die Gefühle, Schmerzen, Freuden und Leiden seiner Tiere erleben und kennen lernen möchte, empfiehlt es sich, die eigene Feinfühligkeit zu schulen und an sich selbst zu arbeiten.
Paschel: Wie das praktisch aussehen kann, beschreiben Sie in
Ihrem Buch.
Ich danke Ihnen für das anregende Gespräch und kann nicht nur Eltern von Kindern, die sich für Sportreiten interessieren, empfehlen, Ihr Buch zu lesen, damit ihnen klar gemacht wird, welche pädagogischen Probleme neben den finanziellen auf sie zukommen und dass sie sich von Illusionen verabschieden können. Es gelingt Ihnen, mit klaren und deutlichen Worten sowie mannigfaltigen Beispielen aus der Praxis ihre Position überzeugend darzulegen ohne sich um pseudowissenschaftliche Untersuchungen zu bemühen, die in der Regel nur der Selbstdarstellung dienen.