An einem April-Wochenende warten die beiden Kapitäne und Schiffseigner in Berlin-Spandau an der Charlottenbrücke auf ihre Gäste. Ein kühler Wind raut die Havel auf und verpasst ihnen Schaumköpfe. MS „Liberté“ zerrt ungeduldig an seinen Leinen.
Später, beim Sektempfang, kommt man sich näher. Ideal das Verhältnis Besatzung-Crew: eins zu eins. Die vierköpfige Crew steht nur vier Gästen gegenüber. Alle stoßen gemeinsam auf eine gute Reise an. Die steht, verrät Johann Magner, unter einem ganz besonderen Stern: Zum ersten Mal soll es via Oder und Warthe die Netze aufwärts gehen. Kein Kreuzfahrtschiff vom 38-Meter-Kaliber der „Liberté“ hat sich jemals in dieses exotische Fahrtgebiet gewagt. Erst kurz vor Beginn der Reise haben die Magners von den polnischen Behörden „grünes Licht“ für diese Unternehmung bekommen.
Schicksalsweg
Das Rentner-Ehepaar Gudrun und Harold Pust aus Bad Zwischenahn, sie Westpreußin, er Hinterpommer aus Stargard, freuen sich, dass sie dabei sein dürfen. „In Bromberg habe ich meine Kindheit verbracht“, sagt Gudrun Pust, die als Zwölfjährige im Januar 1945 mit ihrer Verwandtschaft in den Westen fliehen musste – „immer an der Netze und Warthe entlang, schließlich über die Oder“. Ein Schicksalsweg für sie und viele andere Vertriebene. „Die schlimmen Erlebnisse von damals können wir nicht vergessen“, sagt sie und er ergänzt: „Jetzt interessieren uns als Naturfreunde Landschaft und Tierwelt der Flussregion“. Dietmar Szimke, gebürtiger Königsberger aus Hannover, hingegen „sammelt“ Binnenkreuzfahrt-Strecken. „Die hier fehlt mir noch“, erklärt er sein Faible. Mit 25 Liberté-Reisen und tausenden von Flusskilometern hält er außerdem einen seltenen Rekord.
Satt und Selig
Koch Rudolf aus der Tschechischen Republik und Stewardess Ida aus Slowenien bekommen an diesem Abend Nichts zu tun. Die Küche bleibt kalt, denn die kleine Runde beschließt, in der Spandauer Altstadt zu Abend zu essen. Gegenüber der Nikolaikirche wird man fündig. „Satt und Selig“ verheißt das Schild über dem rustikalen Fachwerkbau. Satt und selig nach Bauernfrühstück und Berliner Bier steuern die „Liberté“-Fahrer wieder ihr gemütliches Wasser-Zuhause an. Leise gegen die Bordwand plätschernde Havelwellen gluckern alle in einen wohligen Schlaf.
In der Metropole Berlin – man glaubt es kaum – veranstaltet eine Schar Meisen das Weckkonzert. Nicht umsonst sind die Spandauer stolz auf ihre distanzierte Lage: „bei Berlin“.
Nach einem opulenten Frühstück mit frischen Berliner Schrippen bereitet man sich aufs Ablegen vor.
Mount-Everest-Erfahrung
High noon: Der Scania-Diesel springt bullernd an. Um 12.30 lösen Ida und Rudolf, jetzt in ihrer zweiten Funktion als Matrosen, die Leinen. Die Spandauer Altstadt-Kulisse gleitet an Backbord vorüber, an Steuerbord die Spree-Mündung. Voraus grünes Licht: Einfahrt frei in die Spandauer Schleuse. Gleich links dahinter bietet die einzige Hauptstadt-Fischerei fangfrischen Havel-Zander an. „Der kommt doch bestimmt aus Mecklenburg“, meint Dietmar skeptisch, „so viel gibt ´s doch hier gar nicht mehr“. Rudolf, nur kurz Rudi genannt, werkelt derweil in seiner Kombüse mit Wasseroberflächen-Blick an Rouladen, Rotkraut und Kartoffeln. Der nordböhmische Allrounder mit Mount-Everest-Erfahrung und deutschen Wurzeln liebt es deftig- kräftig. Über ein Küchen-Schwätzchen freut er sich immer und lässt dabei auch gern Töpfegucken zu. Rezepte zum Mitschreiben zu „verraten“, das sei kein Problem für ihn.
Der Vierer-Runde schmeckt ´s, während an Steuerbord der Tegeler See vorübergleitet, Ida Wein nachschenkt und dann das Eis-Dessert serviert.
Großschifffahrtsverbindung
Bei Niederneuendorf kommt als DDR-Relikt ein Wachtturm in Sicht. Neben der Einfahrt in den Oder-Havel-Kanal bei Hennigsdorf rotten versenkte Schleppkähne vor sich hin; auf einigen sprießt schon frisches Grün. Das westliche Ufer des Niederneuendorfer Sees, in der Nachbarschaft des Berliner Stadtteils Heiligensee, war bis 1989 „Staatsgrenze“ und scharf bewacht. Heute ein bevorzugtes Wohngebiet im „Speckgürtel“ Berlins.
Immer wieder informieren die Magners ihre Gäste aus erster Hand: "Wie Sie sicher schon bemerkt haben: Nur wenige Weltstädte haben ein so ausgedehntes wasserreiches Netz von Seen, Flüssen und Kanälen wie Berlin. Die Havel ist nach der Spree der zweitwichtigste natürliche Wasserlauf der Stadt. Wegen ihrer zahlreichen seenartigen Erweiterungen nannte man den Fluss altnorddeutsch ´Haf`, was so viel wie ´See` bedeutet." Wir hören weiter, dass der von 1909 bis 1914 gebaute 56 Kilometer lange Oder-Havel-Kanal, in den wir einlaufen, früher die wichtigste Großschifffahrtsverbindung zwischen Berlin und Stettin war.
Lieschen und Louise
Hennigsdorf glänzt mit Bahntechnik: nagelneue knallrote Triebwagen aus der traditionsreichen Lokomotivschmiede, dem heutigen Bombardier-Werk, warten neben dem Kanal auf ihren Einsatz. Über die Brücken des Berliner Autobahnrings brettern Blechkolonnen. "Die kriegen nun wirklich gar nichts mit!", meint Dietmar Szimke kopfschüttelnd und lobt die beschauliche Langsamkeit „seiner“ „Liberté“. Wenig später passiert sie Blech anderer Art: zu Paketen gepresste Schrottautos, die auf ihren letzten Gang in den Hochofen warten.
Nach 22 Kilometern auf der Havel-Oder-Wasserstraße biegt das Schiff in die zwei Kilometer lange Oranienburger Havel ein. Um kurz vor 18 Uhr ist Feierabend. „Liberté“ macht am neuen Anleger der alten brandenburgischen Residenzstadt fest und hat ihn ganz für sich. Dass man hier im Einflussbereich der „Märkischen Streusandbüchse“ lebt, unterstreicht ein Sandsturm mit dunstig-gelben Wolken.
Erster Landgang: Kapitän Johann Magner lädt zum Dinner – „natürlich“ im Schloss bei „Lieschen und Louise“. Für Gäste und Crew steht eine Frage im Mittelpunkt: Was erwartet sie in den nächsten Tagen? Schließlich soll Neuland befahren werden.
Havel-Taufe
Als hätten sie sich verabredet, Amsel, Fink und Star, so schmettern sie am nächsten Morgen. Schon um sechs Uhr dreißig schüttelt ein sanftes Grummeln die „Liberté“. Los geht ´s, aber die Gäste schlafen weiter. Bis zur Einfahrt in die Schleuse Oranienburg-Lehnitz. Es tropft vom hochgezogenen Tor: „Das ist unsere Taufe mit Havel-Wasser“, freut sich Harold Pust über diese Dusche. Bald vergoldet die Morgensonne den viele Kilometer schnurgerade verlaufenden Kanal, der sich am Horizont zu einem Silberstrahl verengt. Würziger Kiefernduft strömt in die Lunge. Vom Oberdeck genießen die Pusts den Blick über den Deich in das tiefer liegende, dünn besiedelte Land nördöstlich von Berlin.
Johann Magner wird nicht müde, seinen Gästen Erklärungen zu liefern. So auch, dass die in der Schleuse um sechs Meter angehobene „Liberté“ bis elf Uhr am Sammelplatz bei Marienwerder sein müsse. Weil einige Kanalabschnitte noch nicht erweitert worden seien, habe man einen Richtungsverkehr für die Berufsschifffahrt eingerichtet.
Schiffshebewerk
Der Gedanke, Havel und Oder über das Urstromtal zu verbinden, erfährt man weiter, entstand bereits um 1540. Am 21. Oktober 1603 begann man mit dem Bau eines Kanals samt elf Schleusen, in den das damals wirtschaftlich wichtige Flüsschen Finow einbezogen wurde. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde er zerstört und versandete.
Friedrich der Große ließ auf Bitten der Eberswalder durch seine Soldaten einen zweiten Kanal graben, der 1746 in Betrieb genommen wurde. Mit Hilfe von 20 Schleusen, zwölf sind heute immer noch intakt, wurde die Talwasserscheide überwunden. Dank der Eröffnung des von 1908 bis 1913 gegrabenen modernen Oder-Havel-Kanals verlor der Finow-Kanal an Bedeutung.
Hinter der frisch ausgebauten Kanalstrecke bei Eberswalde, die von der Bahnstrecke Berlin-Stralsund unterquert wird, kommt ein graues Gerüst in Sicht: das Schiffshebewerk Niederfinow. Sachte schiebt sich die „Liberté“ in den 85 Meter langen Trog, der zusammen mit dem Wasser 4300 Tonnen wiegt. Früher übernahmen die Treidelarbeit kleine Elektroloks, an die noch ein museales Restexemplar am Ufer erinnert. Man ist umzingelt von Stahlträgern, Rädern und Seilen, und das Schiff scheint über den Baumwipfeln zu schweben. In einer Info-Blatt heißt es: "Wir befinden uns jetzt im zweitgrößten, aber interessantesten Schiffshebewerk der Welt. Es wurde am 21. März 1934 nach siebenjähriger Bauzeit eingeweiht. Dadurch konnte viel Zeit eingespart werden und die nebenan gelegene vierstufige Schleusentreppe wurde überflüssig“.
Physik-Geheimnis
Staunend vernehmen die Gäste aus Johann Magners Mund noch zwei Superlative: Höhe des Hebewerks 60 Meter, Gesamtgewicht der verarbeiteten Bauteile 14.000 Tonnen. "Wenn ein Schiff hier einläuft, wird der Trog nicht etwa schwerer", lüftet Thomas Magner das Geheimnis, "sondern es wird so viel Wasser an den Kanal abgegeben, wie das Schiff verdrängt." Das Gewicht des wassergefüllten Trogs bleibt immer gleich, ob nun mit oder ohne Schiff. Um ihn ohne viel Kraftaufwand zu heben, ist eine ebenso große Gegenmenge notwendig, wird man an frühere Physikstunden erinnert. Für Ausgleich sorgen 560 Betonblöcke zu je sieben Tonnen, die durch 256 Drahtseile gehalten werden. Daher genügen auch vier 75 PS-Elektromotoren, um den Trog zu bewegen. Ab 2014 wird ein noch leistungsfähigeres Hebewerk mehr, vor allem größere Schiffe noch schneller auf und ab bewegen.
Nach rund einer halben Stunde ist das Spektakel gelaufen, wovon die eigentliche 36-Meter-Fahrstuhlfahrt auf Odertal-Niveau nur fünf Minuten dauert.
Deichmarkierungen
Am alten Städtchen Oderberg vorbei – bekannt durch sein Binnenschifffahrts-Museum und den aufgebockten Elbe-Raddampfer „Riesa“ vor der Tür – steuert die „Liberté“ Hohensaaten an. Nach rund zwei Stunden, wobei „Liberté“ in der Ostschleuse nicht etwa abgesenkt, sondern angehoben worden ist, dreht das Schiff hart nach Steuerbord und hat nun die bewegte Oder unterm Kiel. Am Ufer zeigt eine Tafel den Flusskilometer 665 an. Mit nur noch acht „Sachen“ pro Stunde stemmt sich die „Liberté“ gegen den Hochwasser führenden deutsch-polnischen Schicksalsstrom. Auf dem rechten Deich markieren schwarz-rot-golden gestreifte Betonpfähle deutsches, links rot-weiße polnisches Grenzgebiet. Von beiden Ufern winken die Menschen freundlich dem einsam dahinziehenden Kreuzfahrtschiff zu.
Fluss-Meer-Safari
Ständiger Begleiter ist ab sofort nur noch Natur pur. Die überschwemmten Aue-Wiesen sind ein Paradies für alle Arten von Wasservögeln: Möwen, Schwäne, Silberreiher, Graureiher, Gänse, Kormorane erfüllen mit ihrem Geschnatter die klare Luft. Auf dem Oberdeck fühlen sich die Gäste wie auf Safari. Als sie per Fernglas dann auch noch die ersten Störche und sogar ein Seeadler-Paar sichten, ist die Begeisterung nicht mehr zu bremsen. Im letzten Büchsenlicht voraus plötzlich – inmitten des grün-blauen Flussmeeres – eine rote Figur auf der Halbinsel bei Zollbrücke. Johann Magner klärt sachkundig auf: „Das ist ein Denkmal für den Alten Fritz. Zwischen 1735 und 1762 hat er das Oderbruch trockenlegen lassen. Ohne ihn gäbe es hinterm Deich noch heute Sumpf statt Gemüseanbau“.
Als die Sonne den Himmel im Westen erröten lässt und die Weidenbüsche zu Scherenschnitten geraten, steuert Thomas Magner zum Übernachten den kleinen Hafen von Groß Neuendorf in der Uckermark an. Im ehemaligen Silo sind jetzt Ferienwohnungen mit Oderblick eingerichtet worden, ebenso in den restaurierten Güterwaggons auf dem Kai. Zum Dinner wird im „Maschinenhaus“ eingekehrt, inzwischen umfunktioniert zum Restaurant, Hotel und zu einer Galerie. Zwar weit ab „vom Schuss“, sozusagen „in the middle of nowhere“, aber vielleicht gerade deshalb bei Berlinern so beliebt, wie man vom Ober erfährt.
Kombüsen-Gänseschreie
Sonntagsfrühstück mit Oderwellen, die von der Morgensonne vergoldet werden. Bei Kilometer 616 wird es enger. Hier biegt „Liberté“ links ab in die Warthe, lässt Kostrzyn – das frühere, im Zweiten Weltkrieg total zerstörte Küstrin – mit seiner Neubau- und Industriekulisse an Backbord liegen. In der an Steuerbord versteckt liegenden preußischen Festung wurde 1730 auf Anweisung des Soldatenkönigs Leutnant Hans Hermann von Katte enthauptet. Vor den Augen seines entsetzten Freundes Friedrich II, dem er zur Flucht vor dem gewalttätigen Vater verholfen hatte.
Gewalt hat auch das letzte Hochwasser den Deichen angetan. Notdürftig sind die Löcher und Spalten in ihren Flanken mit hässlichen Plastiksäcken geflickt. „Sieht von weitem aus wie letzte Schneereste“, findet Dietmar, der sich auch über die Massen von Kormoranen wundert, die vor der „Liberté“ flüchten. Als Schnattergeräusche zu vernehmen sind, glaubt Johann Magner Gänse zu hören und macht seine Gäste darauf aufmerksam. Thomas Magner, der das Ruder führt, kann nur grinsen: „Vadder, das ist doch nur der Mixer von Rudi in der Kombüse!“ Alles lacht über den Witz des Tages! Aufregung erfasst Magner Junior, als er verkündet: „Mehrere Seeadler an Steuerbord!“ Majestätisch steigen sie vor dem Steven in den blauen Himmel.
Dietmars Straßenbahn
„Landsberg war zu deutscher Zeit ein architektonisches Juwel“, sagt der Besitzer des Restaurants, zu dem er einen Bogen des Eisenbahnviadukts der Warthe-Stadt Gorzow Wielkopolski ausbauen ließ, „fast so schön wie Krakau“. Die erste polnische „Liberté“-Übernachtungsstadt sah schon bessere Zeiten, wie nach einem Rundgang festgestellt wird. An früher erinnert, zur Freude von Eisenbahnfan Dietmar, auch das Touristenbüro. Es residiert in einem Original-Straßenbahnwagen von 1890, der deutsch beschriftet ist. Mit der Vergangenheit hat man hier offenbar keine Probleme. Anscheinend aber mit der Gegenwart. Kreuz, Kerzen und Fotos in einer Nische der backsteinernen Marienkirche aus dem 13. Jahrhundert. Das tragische Flugzeugunglück von 2010 nahe Smolensk ist in Polen zu einem politisch-religiösen Streitthema geworden.
Abends an der Bord-Bar geht der Stoff nicht aus: Ost und West, Vor- und Nachkriegszeit – eine bunte Themenpalette, die von Bier und Wein beflügelt wird. Angetan sind alle von dem Restaurant-Kellner, der die vergessene Kapitäns-Kamera hinterher bringt. Vorurteile? Sind ab sofort vergessen.
Fahrwassereigenheiten
Bei Santok (Zantoch), einer frühmittelalterlichen polnischen Festung gegen Landsberg, verlässt „Liberté“ am nächsten Vormittag die Warthe und steuert in die noch schmalere Netze ein. Historische Ortsnamen wie Birkbruch, Rohrwiesendamm, Breitenwerder oder Louisenaue weisen auf die Trockenlegung durch deutsche Kolonisatoren hin. Doch auch hier hat sich das Hochwasser zwischen den Deichen breit gemacht. Einzelne Gehöfte – ihre Bewohner klettern zum Betrachten des seltenen Schiffsbesuchs auf die Deichkrone – ragen wie Inseln aus dem Netze-Meer mit seinem klaren Wasser. „Wo geht ´s hier wohl lang?“, fragen die Pusts beim Blick über die Seenkette. Die Kapitäne Johann und Thomas Magner notieren Fahrwassereigenheiten wie Strömung, Sandbänke und Wassertiefen, messen mit der selbst gebastelten Peilstange nach, aber haben zwischendurch immer wieder auch ein Auge für die strotzende Natur: „Backbord ein Biberbau, Steuerbord Kraniche, über uns ein Seeadler und eine Gruppe tanzender Kiebitze!“ Man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. „Wie Mangrovewald, nur schöner und belebter“, ist Dietmar begeistert. Thomas Magner findet gar, dass diese Premierenreise exotischer sei als eine Orinoco-Fahrt. „Wer ist denn hier schon mal langgefahren?“
Zu Kaffee und Kuchen an Oberdeck wird am Nachmittag Tierisches satt geboten: Ungerührt wühlt eine Rotte Schwarzwild schmatzend im Sumpf und schaut nicht einmal auf. Das Ereignis wird nur noch getoppt durch „fünf Rehe an Backbord!“ Thomas Magner muss sogar mit der Fahrt heruntergehen, um das Rudel nicht über den Haufen zu fahren. „Unglaublich!“, sind sich alle einig.
Widrigkeiten
Dann eine rot-weiß-rote Tafel voraus: Einfahrt gesperrt! Stopp vor der ersten von 22 Schleusen. Position: südlich von Kreuz (Krzyz). Gemütlich paffend steigt der Schleusenwärter aus seinem Angelkahn und dreht die Tafel um: Sie zeigt jetzt grün-weiß-grün: also Einfahrt frei! „Liberté“ scheint willkommen zu sein. Der Pole zückt sein Handy und telefoniert lange. Ein gutes oder schlechtes Zeichen? Alle sind gespannt. Doch dann seine bittere Mitteilung: Weiterfahrt nicht möglich wegen des Hochwassers; außerdem seien Schleusen und Wehre noch nicht auf Fahrbetrieb eingerichtet, so erfahren die Magners. Schluss mit Netze und der Weiterfahrt via Bromberg nach Danzig, übers Frische Haff und die Nogat nach Elbing.
Noch eine Woche zuvor ist ihnen die Genehmigung erteilt worden. „Andernfalls“, so Johann, „wären wir gar nicht erst hierher gefahren“. Die Logik ist auf seiner Seite. Widrigkeiten eines nahen, fernen Landes. Der gebürtige Oberschlesier will nicht aufgeben, sondern beim nächsten Anlauf das Gespräch mit der Behördenchefin in Bromberg suchen.
Pläne
Kreuz wird als Wendepunkt zum Kreuz, doch die beiden Kapitäne haben Pläne: nicht nur A, sondern auch B und C, wie die „Krisensitzung“ zeigt. Erst mal wird – Plan A – der Grill angeworfen, und Kapitän Thomas Magner mutiert zum Grillmaster. Als zusätzliches Schmankerl bieten die Eigner für den kommenden Tag eine Rundfahrt an – per PKW, den „Liberté“ wie ein Beiboot achtern an Deck mitführt.
Nach spektakulärem Sonnenuntergang schiebt sich ein lächelnder Neumond an den Abendhimmel. „Grillen und Übernachten in einer Schleuse – eine weitere Premiere! So was hab ´ ich auch noch nicht erlebt!“ Wie zur Bestätigung von Johanns Worten kräht ein Fasanenhahn aus dem Unterholz.
Am nächsten Morgen untersagt das polnische Wasserstraßenamt auch Plan B, die Fahrt auf der Warthe nach Posen (Poznan), trotz günstiger Wasserstände. Plan C schließlich sieht Stettin (Szczecin) oder Frankfurt/Oder vor. Die Gäste entscheiden sich für Letzteres und freuen sich, nicht nur Pioniere gewesen zu sein, sondern auch an einer Expeditionsreise teilgenommen zu haben.
Infos
MS „Liberté“
Technische Daten: Baujahr 1935 als Binnenfrachter; Bauwerft: Th. Kempers & Zoon, Alphen, Niederlande; Länge: 37,66 m, Breite: 5,05 m, Tiefgang: 1,22 m; Verdrängung: 151 Tonnen; Antriebsleistung: 256 kW/333 PS; Rufzeichen: DC 3660; Schiffsnummer: 4305260; Heimathafen: Neckargemünd; Flagge: deutsch;
Bis 1975 als Frachtschiff im Einsatz, 1975 Umbau zum Passagierschiff, 1985 und 1998 komplett überholt (2004: Verlängerung um 4 m) – eine „charmante, alte Lady in neuem Glanz“;
Ausstattung: 6 komfortable Doppelkabinen (insgesamt 12 Personen; bei Tagesfahrten bis zu 50 Personen) mit neben- und auseinander stehenden Betten, Bad mit Dusche, WC; 2 Salons; 1 großes Sonnendeck; 1 Whirlpool unter freiem Himmel; Fahrräder für alle Gäste; 1 Bar; offene Brücke; Fernseher: darauf ist bewusst verzichtet worden (niemand hat den bisher vermisst; die Abende werden in eigener Regie gestaltet, sehr gern auch bei Unterhaltung und Spiel oder einer Ortserkundung); Motto: individuelle Kreuzfahrt in kleinstem Kreis; geboten wird Halbpension (ausgiebiges Frühstück und Mittagessen; Abendessen in eigener Regie an Land). Das Weinangebot ist erlesen (und auch den durchfahrenen Regionen angepasst).
Zur Verfügung stehen auch alle technischen Mittel für Seminare und Tagungen. Vollcharter des Schiffes auf Anfrage.
Anfragen, Buchung: LIBERTÉ-REISEN, Kapitäne Johann & Thomas Magner; Telefon: + 49-172 87 22 796; E-Mail: t.magner@gmx.de; Internet: www.liberte-reisen.de; www.charter-flusskreuzfahrten.de
Reisepläne
Im Programm zwischen März und Oktober sind immer wieder neue Reisestrecken ausgewiesen, z.B. Berlin-Rundreise, Märkische Seenplatte, Schlesien, Böhmen, Saale, Loire; geplant sind auch Reisen nach Masuren.
Reiseführer
Polyglott POLEN, ISBN 978-3-8268-1947-6; Kartenmaterial (1 : 200.000) mit deutsch-polnischen Ortsnamen: Höfer-Verlag( www.hoeferverlag.de): alles in der reichhaltigen Bord-Bibliothek vorhanden.
Der Oder-Havel-Kanal ist zusammen mit der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße und der Schwedter Querfahrt ein Teil der Havel-Oder-Wasserstraße.
Er verbindet die Havel vom Niederneuendorfer See bei Hennigsdorf mit der Oder bei Hohensaaten.
Mehrere technische Meisterleistungen sind mit dem Bau des Kanals verbunden. Dazu zählt vor allem das Schiffshebewerk Niederfinow (erbaut 1927 bis 1934) und die 1910 errichtete wasserführende Kanalbrücke bei Eberswalde über die Eisenbahnstrecke Berlin-Stettin (heute: Stralsund).
Die Oder (poln. Odra) entspringt in Tschechien, fließt durch Polen und ist Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland bildet. Sie mündet durch das Stettiner Haff und um die Inseln Usedom und Wolin herum in die Ostsee. Sie ist 866 km lang (898 km bis Swinemünde/ÅšwinoujÅ›cie).
Die Warthe (poln. Warta) ist ein rechter Nebenfluss (Länge: 808 km, zur Hälfte schiffbar) der Oder in Polen. 2001 wurde an ihrer Mündung der Nationalpark Warthemündung eröffnet. Der Fluss ist Namensgeber für das jüngere Stadium der Saaleeiszeit.
Die Warthe, größter Nebenfluss der Oder, entspringt im Krakau-Tschenstochauer Jura in Schlesien östlich der Stadt Zawiercie (Warthenau) und südlich von CzÄ™stochowa (Tschenstochau). Sie durchfließt die Ebene Großpolens (Wiekopolski) und mündet bei Küstrin (poln. Kostrzyn nad OdrÄ…) in die Oder und ist wasserärmer als die Oder, denn ihr Einzugsgebiet ist das relativ trockene polnische Tiefland.
Die Netze (polnisch Notec) ist mit 366 km Länge wichtigster Nebenfluss der Warthe und folgt dem Thorn-Eberswalder-Urstromtal mit einer moorigen Bruchlandschaft, dem Netzebruch (vom 12. Bis 14. Jhdt. Fand die deutsche Kolonisation statt, erst Anfang des 18. Jhdts. begann man den Bruch trockenzulegen). Die Netze entspringt in Großpolen zwischen Kolo (Kolo) und Wloclawek (Leslau), durchquert den Goplosee sowie die Stadt Inowroclaw im Zentrum Polens und fließt südlich an Pila (Schneidemühl) vorbei und mündet bei Santok (Zantoch) in die Warthe. Eine Kanalverbindung (Bromberger Kanal, Kanal Bydgoski, erbaut 1772 bis 1774) besteht über Bydgoszcz (Bromberg) zur Weichsel (Wisla).
Vorgesehen für die Pionierreise BERLIN-BROMBERG (BYDGOSZCZ) vom 8. bis 15. April 2011 war folgendes Fahrtprogramm
1. Tag: Freitag
MS LIBERTÉ liegt in Berlin-Spandau ab 11.00 Uhr bereit. Nach der Begrüßung legen wir ab und fahren auf der Havel flussaufwärts. Bei der Spandauer Zitadelle passieren wir die erste Schleuse. Im Stadtgebiet von Berlin gibt es unzählige Wochenendhäuser und Bootsanleger, Berlin von seiner schönsten Seite. Bei Hennigsdorf passieren wir die ehemalige Grenze. Alle Anlagen sind bereits entfernt, nur ein einsamer Wachturm erinnert an eine Zeit, in der unsere Fahrt so nicht möglich gewesen wäre. Am frühen Abend legen wir in Oranienburg an.
Tegeler See 2,5 km; Havel/Havel-Oder-Wasserstraße(HOW) 2 km; Oranienburger Havel 1,8 km
2. Tag: Samstag
Heute müssen wir früh ablegen. Bereits um 06.30 Uhr fahren wir ein Stück auf der Oranienburger Havel zurück, bis wir die HOW wieder erreicht haben. Früher wurde diese Wasserstraße Großschifffahrtsweg Berlin-Stettin genannt. Da einige Kanalabschnitte noch aus dieser Zeit stammen, wurde ein Richtungsverkehr für große Schiffe eingerichtet. So werden an engen Stellen Begegnungen vermieden und der Kanal geschont. Aus diesem Grund müssen wird 4 Stunden auf die nächste Abfahrt warten. Zum „Wachwerden“ kurz nach dem Ablegen die erste Schleuse in Lehnitz. Ca. 6 Meter werden wir hier angehoben. Nach dem Mittagessen wird es spannend. Im Schiffshebewerk Niederfinow, einem gigantischen Schiffsfahrstuhl, werden wir um 36 Meter auf das Niveau der Oderniederung abgesenkt. Eine Schleuse noch und wir erreichen den Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland. Am Abend legen wir an der deutschen Seite in Groß Neuendorf an.
Oranienburger Havel 1,8 km, Havel-Oder-Wasserstraße 68 km, 2 Schleusen, 1 Hebewerk; Oder 32 km
3. Tag: Sonntag
Um 08.00 Uhr legen wir ab. Im Morgendunst wirkt die Oder besonders schön. Eine artenreiche Tierwelt erwartet uns. Vor allem Vögel sind um diese Jahreszeit sehr aktiv. Seeadler, Fischadler und Kraniche sind hier zu Hause. Und riesige Schwärme von Zugvögeln. Nach 2 Stunden erreichen wir bei Küstrin (Kostrzyn) die Mündung der Warthe (Warta).
Eine Premiere für Sie und die LIBERTÉ.
Unsere erste Übernachtung in Polen wird in Gorzow Wielkopolski, dem alten Landsberg, stattfinden.
Oder (Odra) 18 km; Warthe (Warta) 55 km
4. Tag: Montag
Wieder um 08.00 Uhr heißt es „Leinen los!“. Einige Zeit später kommen wir an die Mündung der Netze (Notec) in die Warthe. Würden wir auf der Warthe bleiben, könnten wir nach etwa ca. 175 Kilometern die Stadt Posen (Poznan) erreichen. Vielleicht ein anderes Mal? In der Saison 2012 ist diese Reise im Plan der LIBERTÉ.
Wir bleiben auf Ostkurs.
1. Schleuse: in Krzyz (Kreuz).
Die Stadt Wielen mit ihrer Burg werden wir gegen 19.00 Uhr erreichen. Die Wasserstraße wird immer schmaler. Ein schönes Revier für unser Schiff. Andere Schiffe werden uns wohl nicht begegnen. An manchen Orten werden wir sicher Aufsehen erregen.
An den Schleusen kann es auch manchmal etwas länger dauern. Nicht alle sind in einem guten Zustand.
Warthe (Warta) 12 km; Netze (Notec) 65 km, 3 Schleusen
5. Tag: Dienstag
Nach dem Ablegen in Wielen um 08.00 Uhr liegt ein Abschnitt mit vielen Schleusen vor uns. Einige werden noch von Hand bedient. Einige müssen wieder von Hand betrieben werden, weil die Technik nicht mehr funktioniert. Ein abwechslungsreicher Tag! In Ujscie verbringen wir die Nacht. Das kleine Flüsschen Gwda mündet hier in die Notec.
Flussaufwärts liegt die Stadt Schneidemühl. Das heutige Pila ist einen Besuch wert. Gerne organisieren wir für Sie einen Ausflug. Zwischen Ujsce und Pila liegen nur etwa 12 Kilometer. Leider ist die Gwda (Küddow) nicht schiffbar.
Netze (Notec) 55 km, 8 Schleusen
6. Tag: Mittwoch
Ablegen um 07.00 Uhr. Ein großes Stück der Strecke heute ist nicht kanalisiert. Über 30 Kilometer freie Fahrt. Genießen Sie an Deck den fast vergessenen Wasserweg. Leider vernachlässigt die polnische Regierung die Wasserstraßen. Wir mit der LIBERTÉ tragen ein wenig dazu bei, die Verantwortlichen anzustoßen. Vielleicht ein Anfang zur Wiederbelebung dieser Strecke? Und Sie sind mit dabei!
Bei der größeren Stadt Naklo legen wir am Abend für die Nacht an.
Netze (Notec) 68 km, 3 Schleusen
7. Tag: Donnerstag
„Leinen los!“ um 08.00 Uhr. Noch am Vormittag erreichen wir den Bromberger Kanal (Kanal Bydgoszcz). Er verbindet die Netze mit dem Fluss Brda, der dann weiter bis zur Weisel fließt und bei Bromberg in diese mündet. 4 Schleusen in kurzer Folge helfen, den Höhenunterschied zu bewältigen. Auf der kanalisierten Brda fahren wir dann bis zum Ziel unserer Reise. Die Großstadt Bromberg (Bydgoszcz) können Sie am Nachmittag noch ein wenig kennenlernen. Wir planen, ca. 16.00 Uhr dort einzutreffen.
Netze (Notec) 15 km, 1 Schleuse; Bromberger Kanal 9 km, 4 Schleusen,
Brda 10 km
8. Tag: Freitag
Leider ist schon Ausschiffungstag. Nach einem ausgiebigen Frühstück findet die Abreise bis gegen Mittag statt. Natürlich dürfen Sie Ihr Gepäck auch noch länger an Bord lassen. So können Sie ohne „Ballast“ noch durch die Stadt bummeln. Taxibestellungen geben Sie uns am besten schon am Abend vorher bekannt.
Oder Sie nutzen die Möglichkeit einer Anschlussnacht auf der LIBERTÉ. Sie gibt Ihnen die Möglichkeit, ganz in Ruhe die Stadt und ihre Umgebung kennen zu lernen.
Wir hoffen, Sie haben die Fahrt mit uns genießen können und sagen
AUF WIEDERSEHEN!
Für die Einreise nach Polen genügt ein gültiger Personalausweis. Kontrollen an den Grenzen sind sehr selten, können und dürfen aber immer noch stattfinden. Auch im gesamten Zollgrenzbezirk müssen Sie die Zollvorschriften beachten.
In Polen ist der Zloty die gültige Währung. Der EURO muss nicht überall akzeptiert werden.
Manchmal, wenn Sie mit EURO bezahlen, gibt man Ihnen als Wechselgeld Zloty. Das ist in Polen eine normale Praxis. Wir besorgen uns polnisches Geld am Geldautomaten. Die dabei anfallenden Gebühren sind meistens günstiger als der Kurs in den Wechselstuben. Restbestände an Zloty am Ende Ihrer Reise nehmen wir „in Zahlung“.
Der Umrechnungskurs beträgt zurzeit: 1 EURO = 4 Zloty (Stand 27.09.2010)
Die Akzeptanz von Kreditkarten oder EC-Karte ist hoch, in Gaststätten in kleineren Orten kann man jedoch nicht immer mit ihnen zahlen. Oft gilt: „Nur Bares ist Wahres“.
Zu guter Letzt eine Empfehlung zum Nachkochen von Rudolf, dem Schiffskoch der „LIBERTÉ“ namens „Spaghetti á la Rudi“
Zutaten
Spaghetti
Olivenöl
Zwiebeln, Knoblauch
Zucchini
getrocknete Tomaten
1 – 2 frische Tomaten
Mozarella
Salz, Pfeffer, Tomatenmark, Petersilie und Balsilikum
Zubereitung
Zucchini halbieren, in dünne Scheiben schneiden und in Olivenöl anbraten. Dann kleingeschnittene Zwiebeln dazugeben und weiterbraten. Ebenso Knoblauch, die getrockneten und frischen Tomaten hinzufügen. Alles durchschmoren und würzen. Inzwischen die Spaghetti kochen. Anschließend auf Teller verteilen, Mozarella in Scheiben geschnitten darauf legen und das Gemüse aus der Pfanne darüber geben. Mit gehackter Petersilie und Basilikum anrichten.
Guten Appetit!
P.S.: Nach Aussage von Rudolf ein Rezept, das auch ausgesprochene „Nicht-Köc he“ in kürzester Zeit auf den Tisch bringen können.