Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am Sonnabend wird die Geigerin Arabella Steinbacher im Konzerthaus Berlin mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin das Violinkonzert von Paul Hindemith (1939) spielen. Das Konzert wird mit Spannung erwartet, denn nach dem Abschied Marek Janowskis als Chefdirigent wird zum ersten Mal Wladimir Jurowski als Designierter Chefdirigent des Orchesters ans Pult treten.
Was für ein Zusammentreffen von Zufällen. Das Konzert wurde angekündigt, während ich auf der Suche nach einem Rätsel aus dem Leben des Geigers Szymon Goldberg (1909-1993) war. Goldberg und das Violinkonzert Hindemiths haben ihre Geschichte – eine unvollendete.
Szymon Goldberg wurde bereits mit 16 Jahren Konzertmeister der Dresdner Philharmonie. 1929 ging er zu Wilhelm Furtwängler nach Berlin, bei dem er Erster Konzertmeister des Berliner Philharmonischen Orchesters war. Als Jude wurde er von den Nazis schikaniert. Aber er war nicht nur ein Verfemter, er war auch ein Gegner der Nazis. Er hatte es abgelehnt zu spielen, wenn Hitler ins Konzert kam. Als dann seine Frau Maria einen Zusammenstoß mit der Gestapo hatte, in der jene ihr mit KZ drohte, verließen beide am 1. Mai 1934 fluchtartig Deutschland. Sie ließen sich in Brüssel nieder.
Nach dem Überfall Nazideutschlands auf Belgien nahm Goldberg ein Engagement für eine Konzertreise in »Niederländisch-Indien« (Indonesien) an. 1943 besetzten japanische Truppen die Insel Java, wo sich Goldberg aufhielt. Nach der »Aufklärung« durch Nazi-Emissäre verhafteten die Japaner alle Juden und Freimaurer. Ab September 1943 wurden die Goldbergs in 14 japanischen Gefängnissen und Konzentrationslagern gefangen gehalten. Am 6. September 1945 wurden sie befreit und gelangten nach Australien und später in die USA.
Bereits 1939 und 1940 hatte Szymon Goldberg mit dem Palestine Symphony Orchestra Konzerte gegeben. Auf Einladung des Orchesters, heute des Israel Philharmonic Orchestra (IPO), reiste er 1946 von Sydney nach Tel Aviv und trat dort in neun Konzerten auf. In Tel Aviv sah Goldberg seinen Bruder Jerzy wieder. Jerzy und seine Frau Ziuta waren die einzigen Überlebenden der Familie Goldberg aus Warschau.
Von 1946 bis 1952 gab Goldberg in Palästina und später In Israel 24 Konzerte. Er spielte Violinkonzerte von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Mendelssohn-Bartholdy und Brahms. Im Oktober 1947 spielte er an einem Abend Violinkonzerte von Bach, Haydn, Mozart und Beethoven.
Im Februar 1952 schlug Goldberg dem IPO vor, bei seinem bevorstehenden Gastspiel im April das Violinkonzert von Paul Hindemith zu spielen. Goldberg war mit Hindemith befreundet. Er hatte mit ihm und Emanuel Feuermann in den dreißiger Jahren in einem berühmten Trio gespielt. Am 19. April 1952 trat er mit dem IPO auf, spielte aber nicht das Violinkonzert von Hindemith, sondern das von Beethoven. Der Grund läßt sich heute nicht mehr feststellen. Im Archiv des IPO findet sich nichts darüber. Eine Ursache könnte sein, dass er von den »Freunden des Israeli Orchestra« in Südafrika zu einem zusätzlichen Konzert am 16. April festgehalten wurde und erst in letzter Minute nach Israel fliegen konnte. Vielleicht blieb für das Hindemith-Konzert zu wenig Probenzeit. Beethoven dagegen hatte er mit dem IPO schon gespielt.
Am Werk selbst oder am Komponisten kann es nicht gelegen haben. Bereits 1946 hatte das IPO zum Beispiel die »Trauermusik für Viola und Streicher« von Paul Hindemith gespielt. Auch das Violinkonzert von Hindemith wurde später in Israel häufig gespielt. Die Archivarin des IPO, Avivit Hochstadter, hat die Hindemith-Aufführungen für mich zusammengestellt. Von 1957 bis 1984 hat das IPO das Werk 44mal aufgeführt. Die Interpreten waren Ida Haendel (1957, Dirigent Walter Süsskind), Zino Francescatti (1958 und 1967, Dirigent Antal Dorati), Haim Taub (1961, Dirigent Zubin Mehta, und 1984, Lorin Maazel), Uri Pianka (1975, Gary Bertini) und. Isaac Stern (1967, Eliahu Inbal). Dass die Reihe 1984 abbricht, wundert die Archivarin selbst. Rätsel des Musiklebens. Ob Szymon Goldberg das Werk je gespielt hat, lässt sich heute (noch) nicht eindeutig aufklären.
Hindemiths Violinkonzert hatten und haben viele große Geiger in ihrem Repertoire – Isaac Stern, David Oistrach, Frank-Peter Zimmermann und andere. Arabella Steinbacher spielte Hindemith bereits 2011 in München mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Leitung von Fabio Luisi. Nun in Berlin. Gedanklich schließt sich ein Kreis. Ein Rätsel bleibt.
* * *
Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, Leitung Wladimir Jurowski, 14. Januar 2017, 20 Uhr, Konzerthaus Berlin