Pro-russische Krim lehnt sich gegen Kiew auf

Die Karte der Krim (Quelle: Wikipedia.org) GNU Public License, GNU Free Documentation License

Nachdem die Opposition, die großenteils aus ukrainischen Nationalisten besteht, die Macht im Land an sich gerissen hat, werden in den russischsprachigen südlichen und östlichen Regionen die Aufrufe zum Austritt aus der Ukraine zunehmend lauter.

In Sewastopol reden die Einwohner nicht nur, sondern schreiten mittlerweile zur Tat. Am Montagabend versammelten sich Tausende Demonstranten vor dem Gebäude der Stadtverwaltung.

Sie forderten die Einberufung einer Sondersitzung des Stadtrats, der den für seine engen Kontakte zu Moskau bekannten Unternehmer Alexej Tschaly zum Bürgermeister ernennen sollte.

Einige Hitzköpfe verlangten die sofortige Erstürmung der Stadtverwaltung. Andere schwenkten mit russischen Flaggen und ignorierten den Hinweis, dass Tschaly russischer Staatsbürger ist und deshalb nicht zum Bürgermeister ernannt werden kann.

Kurze Zeit später wurde bekannt, dass Tschaly zum Leiter eines Koordinierungsrates gewählt wurde. Wenige Minuten später zeigte er sich am Fenster im zweiten Stockwerk der Stadtverwaltung.

Der frühere Bürgermeister Wladimir Jazuba wollte die Situation schlichten und verkündete mit fast tränenerstickter Stimme seinen Rücktritt. Damit machte er den Weg frei zur Umsetzung der Losung „Ein russischer Bürgermeister für die russische Stadt!“

Zu ähnlichen Aktionen kam es in den letzten Tagen auch in der gesamten Süd- und Ostukraine. Am lautesten war der Protest gegen die neue Regierung jedoch auf der Krim mit ihren zwei Millionen Einwohnern, der einzigen ukrainischen Region, in der ethnische Russen die Bevölkerungsmehrheit bilden. Die Wahl von Wladimir Tschaly, über die die Kreml-nahen Medien in Russland umfassend berichteten, ist beispiellos. In Sewastopol wurden Bürgermeister noch nie bei einem Volksentscheid gewählt, seitdem Kiew den städtischen Behörden dieses Recht 1992 entzogen hatte. Nach der „Wahl“ Tschalys forderten die Kundgebungsteilnehmer von den Sicherheitsbehörden Sewastopols, ihren Eid auf den neuen Bürgermeister abzulegen. Anschließend blockierten sie die Zufahrten in die Stadt.

In der Stadt waren Gerüchte im Umlauf, dass bewaffnete Sondereinheiten aus der Westukraine auf dem Weg zur Krim sind, um die Proteste niederzuschlagen und die Kontrolle zu übernehmen.

Der städtische Polizeichef Alexander Gontscharow versicherte den Demonstranten am Montag, dass alle vier nach Sewastopol führenden Autobahnen von bewaffneten Sicherheitskräften abgeriegelt worden seien.

Einer der Demonstranten, der 26-jährige Matrose Fjodor, äußerte die Hoffnung, dass Moskau eingreift. „Wenn es zu Repressalien gegen die Russen auf der Krim kommt, dann sollte Russland reagieren“, betonte er.

Alexandra, die ihren Nachnamen nicht nennen wollte, forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sofortigen Schritten auf: „Putin und die Schwarzmeerflotte sollten zu uns kommen. Wir haben keine Angst vor einem Blutvergießen.“

Die Krim hat eine lange gemeinsame Geschichte mit Russland. Die Halbinsel war bis 1954 ein Bestandteil Russlands. Damals schenkte Staatschef Nikita Chruschtschow die Krim der südlichen Sowjetrepublik.

Anfang 2010, als Viktor Janukowitsch zum ukrainischen Präsidenten gewählt wurde, wurde der Pachtvertrag für den russischen Marinestützpunktes in Sewastopol bis 2042 verlängert. Dadurch wurden die ohnehin engen wirtschaftlichen Beziehungen dieser Region mit Moskau zusätzlich gefestigt.

Die separatistischen Stimmungen auf der Krim nahmen nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 zu. Seitdem wird vermutet, dass diese Stimmungen vom Kreml verdeckt gefördert werden.

Am Sonntag kam es zu großen pro-russischen Demonstrationen auf der Krim. Allein in Sewastopol nahmen schätzungsweise mehr als 10 000 Menschen daran teil, wesentlich mehr als an einer spontanen Kundgebung einen Tag später. Die Redner beschimpften die neue Regierung in Kiew als „faschistisch“ und riefen zum Austritt aus der Ukraine auf.

Die Teilnehmer der Protestaktion schwenkten wie Fußballfans mit russischen weiß-blau-roten Staatsfahnen und skandierten „Russland! Russland!“. Sie unterstützten die Aufrufe zur Bildung von Bürgerwehren und zur Weigerung, Steuern an die Zentralbehörden in Kiew zu zahlen.

Die von Moskau angeblich geplante Ausstellung von Pässen  für ethnische Russen sorgte für heftige Kritik in Kiew. Die Kritiker warfen dem Kreml vor, sich die russischsprachigen Gebiete einverleiben zu wollen.

Obwohl der russische Präsident Wladimir Putin seit Dienstag keine öffentlichen Stellungnahmen zur Situation in der Ukraine abgab, sprach das russische Außenamt ohne Umschweife davon, dass die neue ukrainische Regierung ihre Macht „mit diktatorischen und manchmal terroristischen Methoden“ festigen wolle.

Die Befürchtungen wachsen, dass die südlichen Separatisten  Russland dazu verleiten könnten, die Krim der Ukraine gewaltsam zu entziehen. Manche Experten halten auch folgendes Szenario für möglich: Der Konflikt auf der Halbinsel könnte eingefroren werden, so dass sie komplett von Moskau abhängen würde, wie es bereits in Georgien der Fall war,  als es die Kontrolle über seine Teilrepubliken Abchasien und Südossetien verloren hat.

„Es ist durchaus vorstellbar, dass auf der Krim ein Volksentscheid organisiert wird, so dass die Halbinsel einen Sonderstatus im Staatsgebilde der Ukraine bekommt“, so Mascha Lipman vom Moskauer Carnegie-Center. „Der nächste logische Schritt wäre dann der Austritt aus der Ukraine.“

Aber nicht alle Krim-Einwohner sind dafür. Die mehr als 250 000 auf der Krim  lebenden Tataren unterstützen die neue Regierung in Kiew. Dadurch werden die Spannungen in diesem multi-ethnischen Gebiet noch größer.

Wie die neue Regierung in Kiew vorgehen wird, ist bislang unklar. Interimspräsident Alexander Turtschinow räumte am Dienstag ein, dass der Separatismus „eine ernsthafte Gefahr“ sei, und versicherte, dass er mit den Sicherheitsbehörden nach Auswegen aus dieser brenzligen Lage suchen werde. Vertreter der nationalistischen Partei Swoboda (Freiheit), die die entscheidende Rolle bei dem Machtwechsel gespielt hatte, verkündeten am Montag, dass Russland zusätzliche Marinekräfte in Richtung Krim entsendet hätte. Das sorgte für einen weiteren Proteststurm.

Der Berater des ukrainischen Interimsinnenministers, Viktor Neganow, sagte in einem Interview mit RIA Novosti, dass Tschalys Handlungen in Sewastopol nichts als ein „lokaler Machtsturz“ seien. „Falls er weiterhin auf diesem Posten bleibt, dann droht ihm eine Freiheitsstrafe wegen Landesverrat“, warnte er.

Die Teilnehmer der pro-russischen Protestaktion in Sewastopol hielten Banner mit der Aufschrift „Nein zu ukrainischen Nazis!“

RIA Novosti

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