Anne Schneider, deren Inszenierung „Atropa. Die Rache des Friedens“ im Mai im Theaterdiscounter zu erleben war und am 07. Juli beim Kaltstart-Festival in Hamburg zu sehen sein wird, vermag das Tragische ebenso wirkungs- und spannungsvoll in Szene zu setzen wie die Komödie.
„Schwesterherz“ ist eine Textcollage mit Dialogen von Schwestern aus Märchen, Theater und Film, ergänzt durch Improvisationen. Das Wiedererkennen der Originale macht Freude, ist aber nicht notwendig zum Verständnis des Stücks.
Zwei hochkarätige Schauspielerinnen untermauern und entlarven die Vorurteile und Klischees, die mit dem Thema Schwestern verbunden sind:
Gina Henkel, die in „Atropa. Die Rache des Friedens“ eine bewegende Andromache gestaltete und Anja Knauer, bekannt durch viele TV-Rollen.
Beide sind großartige Komödiantinnen, wechseln ständig Kostüme und Rollen, sind völlig unterschiedlich oder gar gegensätzlich, und sehen einander dann ganz plötzlich zum Verwechseln ähnlich.
Eine Bühne gibt es nicht. Gespielt wird auf dem Fußboden vor der Zuschauertribüne, wo in der Mitte ein Haufen Kleider liegt, zusammengestellt von Kostümbildnerin Claudia Gonschorek.
Zu Beginn präsentieren Gina Henkel und Anja Knauer sich als Balletttänzerinnen bei Lockerungsübungen. Gina Henkel geht in den Spagat, was Anja Knauer ebenfalls versucht, dann doch nicht wagt, später aber nachholt.
Beide setzen sich struppige Perücken auf, eine in schwarz, die andere blond, und schauen lange schweigend in Publikum. Die Pausen und Tempoverschiebungen sind hervorragend gesetzt in dieser Inszenierung.
Die Schwestern stellen einander vor: Anja Knauer ist die Brave, Fleißige und Erfolgreiche, Juristin, verheiratet und Mutter. Gina Henkel ist die Unangepasste, Schauspielerin in der Freien Szene, ledig, mit wechselnden Männerbekanntschaften, aber vom gemeinsamen Vater mehr geliebt als die artige Schwester.
Konkurrenz hat selbstverständlich eine wesentliche Bedeutung zwischen Schwestern, vor allem, wenn es um Männer geht. Die Szene, in der die eine Schwester der anderen den neuen Freund auszuspannen droht, wird gleich noch einmal, mit vertauschten Rollen, gespielt.
Der Weltliteratur lässt sich entnehmen, dass der Ehemann einer Frau oft für deren Schwester nicht akzeptabel ist. So legt Anja Knauer als Blanche in „Endstation Sehnsucht“ ihrer Schwester Stella nahe, sich von ihrem gewalttätigen Mann zu trennen.
Später erscheint Gina Henkel als Blanche, berichtet von ihrer Mühe mit sterbenden und toten Angehörigen, woraus sich ein Schwesternstreit über die künftige Pflege der gemeinsamen Eltern ergibt.
Der Zickenkrieg zwischen Schillers Elisabeth und Maria Stuart ist schnell erledigt, Irina und Olga sehen der nach Moskau entschwundenen Schwester Mascha nach und demonstrieren blöde die Öde bei Tschechow. Überraschend ernsthaft und anrührend entfaltet sich eine kleine Szene zwischen Antigone und ihrer Schwester Ismene aus Jean Anouilhs Drama „Antigone“.
Gina Henkel erzählt das Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“. Anja Knauer besteht auf „Frau Holle“, obwohl darin doch nur Stiefschwestern vorkommen. Die Schwestern erzählen gleichzeitig ihre Märchen, und Anja Knauer gießt Goldflitter über sich aus, wälzt sich genüsslich am Boden darin, und wirft triumphierend schwarze Bänder über Gina Henkel.
Trotz aller Gemeinheiten und Streitigkeiten wird deutlich, dass die beiden Schwestern einander lieben, auch wenn sie das nicht zugeben würden. Die unverbrüchliche schwesterliche Verbundenheit ist ein Geheimnis, das nur Insiderinnen kennen.
Es gibt viel zu lachen und einiges zu denken in der einstündigen Vorstellung , und das Premierenpublikum reagierte mit viel Gelächter und stürmischem Applaus.
„Schwesterherz“ hatte am 28. 06. Premiere im Ballhaus Ost. Weitere Vorstellungen. 29. und 30. 06.2012.