Plakative Pracht – “The Art of the Modern Movie Poster” zeigt die Kunst der Kinowerbung

“Modern” waren Filmposter immer. Die neue Kunstform Kino zog zeitgenössische und avantgardistische Zeichner an, die in der Kombination von Schrift und Bild eine außergewöhnliche Herausforderung sahen. “The Art of the Modern Movie Poster” sieht Filmkritiker Dave Kehr in seinem Einleitungstext jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg angebrochen. Beschränkte finanzielle Mittel und strengere Zensur beendeten das Goldene Zeitalter opulenter Filmposter. Amerikanische Zeichner banden Studioverträge meist an konventionelle Motive. Künstler anderen Ländern nutzten die veränderten Bedingungen für innovative und avantgardistische Poster. Ihnen ist das umfangreichste der nach Regionen unterteilten Kapitel des 516 Seiten gewichtigen Buches gewidmet. Das Kapitel “Eastern Europe and Russia” eröffnet Sergio Leones Verbrecherepos “Once upon a time in America”. Die verwischte Zeichnung eines Ganoven im Anzug, dem eine Kugel beide Augen ausschießt, ruft das Bild des frontal getroffenen Brillenträgers in der Treppenszene aus “Panzerkreuzer Potemkin” wach.

Wie weit die osteuropäische Plakatkunst der amerikanischen voraus war, zeigt Waldemar Swierzys “Midnight Cowboy”. Die von der US-Reklame kaschierte homosexuelle Thematik betont das herausfordernde Bild einer Cowboysilhouette mit rot geschminktem Kussmund. Seite 30 zeigt Wiktor Gorkas brillantes rot-schwarz-weißes “Cabaret”-Poster. Vier schwarzbestrumpfte Tänzerinnenbeine vereinen sich beim grotesken Can-Can zu einem Hakenkreuz. In dessen Mitte zerfließt das Gesicht des Kabarettsängers Joel Gray zu einem an Edvard Munchs Gemälde erinnernden Schrei. Die Filmthematik des Tanzes auf dem Vulkan während des sich abzeichnenden Naziterrors wird zum prägnanten Motiv. Mit acht Werken (Seite 53-55) ist der polnische Künstler Franciszek Starowieyeski vertreten. Jeanne Moreau lässt er auf “The Bride wore black” ein totenkopfbemaltes Grabtuch hochhalten. Eine Kutte macht die eine Rachemörderin spielende Moreau zum Sensemann. Auf der folgenden Seite malt Starowieyeski “Mademoiselle” als Totenkopffalter. Daneben besingt ein rot gekleideter Frauenleib mit Vogelkopf Louis Bunuels surrealen “Der diskrete Charme der Bourgeoisie”.

Die Vielfalt der Interpretationen illustriert der Vergleich unterschiedlicher Poster. Beim “Poster Comparison” zu Francis Ford Coppolas “Apocalypse Now” zeigen fünf Motive eine Sonnenkugel oder Marlon Brandos mächtigen Glatzkopf. Das japanische Bild der folgenden Doppelseite (147-148) zeigt den Hubschrauberangriff zu Wagners “Walkürenritt”. Wie Hornissen schwärmen Helikopter über der Brandungswelle, auf der ein surfender Soldat reitet. Der Krieg wird hier zum mörderischen Vergnügen, dessen Gewalt die Beteiligten verschlingen wird, wie die Welle den Surfer. Der kubanische Künstler Antonio Perez wusste einiges über verbrecherische Institutionen mit gottgleicher Macht. Im Postervergleich zu “Der Pate” (Seite 212-213) zeigt sein Motiv anders als die vier übrigen weder Marlon Brando noch das Fadenkreuz. Umrankt von Engeln und Teufeln hält ein Putto über dem eine Krone gleich einem Heiligenschein schwebt zwei Maschinengewehre. Wie stark regionale Zensurbestimmungen und Publikumsvorlieben Zeichner beeinflussten, zeigt der Postervergleich zu Billy Wilders “The seven Year Itch”. Ein schwarzer Balken “zensiert” Marilyn Monroes Oberweite auf der amerikanischen Variante. Auf der deutschen wölbt sich ihr Name verlockend auf dem Dekollete. In Frankreich darf ihr Hauptdarsteller Tom Ewell unter das hochfliegende Kleid gucken. Zdenek Kaplans tschechisches Poster ist eine Fotomontage aus einer geleerten Alkoholflasche, einer Zigarettenschachtel und Marilyns Gesicht. Die Zigarette in ihren roten Lippen könnte  “die danach” sein. Alkohol, Nikotin und implizierter Sex lassen die auf der Leinwand zensierte Sucht- und Ehebruchsthematik des Wilders Komödie zugrundeliegenden Bühnenstücks anklingen.

Ungewohnt für westliche Betrachter sind die asiatischen Poster. Kiyoshi Awazu konzipiert sein Werk auf Seite 307 im Stil einer Kalligrafie. Während westliche Plakate verschiedene Motive entsprechend der Lesart gern waagerecht übereinander anordnen, zeigen sie asiatische Poster senkrecht nebeneinander. Mit den Jahren passt sich dieser klassische Posterstil zunehmend westlichen Schemata an. Nicht immer zum visuellen Vorteil. Gegenüber den dynamisch-grellen Postern aus den Sechzigern wirken die zwei Plakate der Neunziger auf Seite 321 blass. “The Mummy” von 1959 (Seite 338) stapft hingegen riesengroß auf die kreischende Dame zu. Japans populärstes Filmmonster Godzilla lieferte vermutlich die Inspiration. “The Exorzist” übertrifft künstlerisch sogar William Friedkins reißerischen Horrorfilm. Ein paar Kinderaugen, darunter ein aufgestoßenes Fenster und der Titel versprechen subtiles Grauen, wo platte Effekte die Leinwand beherrschten.

Jakub Erols Poster zu “Alien” und “Riders of the Lost Ark” auf Seite 22 kann man als Leser den Filmen kaum zuordnen. “Alien” zeigt einen Brustkorb, aus dem verästelte Adern gleich Tentakeln wachsen. Zwei starre Augen lassen das Gebilde an ein Gesicht erinnern. Erol visualisiert die filmische Horrorthematik des Parasiten im eigenen Körper und zitiert die Szene, in der das Alien aus dem Brustkorb eines Besatzungsmitgliedes des im polnischen Filmtitel genannten Raumkreuzers “Nostromo” hervorbricht. Auf “Riders of the Lost Ark” windet sich die wurmartige Peitsche des Filmhelden Indiana Jones durch einen Totenkopf. Steven Spielbergs kindertauglichen Abenteuerfilm lässt das Posters wie ein Horrorwerk erscheinen. Hier fehlt eine Übersetzung der landesspezifischen Werbezeilen und Verleihtitel. Denn Filmposter sind eine Einheit aus Wort und Bild. Bis heute gängige regionale Neubetitelungen können bis zur Verfälschung reichen.

Horrorfilme machen in der deutschen Fassung für Untaten gerne Frankenstein oder Dr. Mabuse verantwortlich, selbst wenn die weder auf der Leinwand noch im Originaltitel auftauchen. Aus “Notorious” wurde in der BRD “Weißes Gift”. Wer Hitchcocks Original nicht kannte, glaubte aufgrund der Synchronisation, Ingrid Bergmann und Cary Grant jagten Kokainhändler – statt deutscher Nazis. Die asiatischen und osteuropäischen Plakate erschließen sich dadurch nur teilweise. Hier wird die manipulative Facette der Filmwerbung ausgespart. Anspruchsvollere Designer spielten mit der Fantasie des Betrachters, statt falsche Versprechungen zu machen. “How did they ever make a movie out of LOLITA?“ , fragt das Poster zu Stanley Kubricks Nabokov-Verfilmung. Filmposter gewinnen ihre Einflussnahme durch die Erwartungen, die sie wecken. Saul Bass Poster zu Otto Premingers “Bunny Lake is missing” setzt den Titel praktisch um. Aus der linken Ecke wirkt der Umriss eines Kindes wie aus dem Papier herausgerissen.

Den heutigen Filmpostermarkt könnte Saul Bass, der wie andere herausragende Posterschaffende mit einer Kurzbiografie und einem Werkvergleich bedacht wird, mit einer leeren Plakatwand beschreiben. Fantasielos wirken viele zeitgenössische Filmposter des letzten Kapitels. Als einzige Sektion des Werbedesigns scheinen Filmposter an einem innovativen Nullpunkt angelangt. Variationen anderer Erdteile passen sich zunehmend dem westlichen, dem US und europäischen Massengeschmack an. Statt Postern gestalten moderne Künstler wie Mark Ryden, Vania oder H. R. Giger lieber Platten- und CD-Hüllen. Vielleicht sollten sie die “Posteritati”-Galerie besuchen. Das Kino ist nicht schlechter geworden. Nur seine Werbebilder.

“The Art of the Modern Movie Poster” würdigt das Filmposter als eigenständiges Kunstwerk. Man kann sich kaum satt sehen an den variationsreichen Motiven, den Farben und Themeninterpretationen. Bitte mehr davon, über die Anfänge der Filmposter von 1895 bis 1945 mit den expressionistischen deutschen Plakaten, osteuropäischem Formalismus und den glamourösen Hollywoodpostern. Fade wirkt die moderne Werbewelt, nach dem Betrachten von Judith Salavetz und Spencer Drates Publikation. Kein Wunder, dass die Litfasssäule abgeschafft wurde. Was sollte man auch draufkleben?

Titel: The Art of Modern Movie Poster/ Herausgeber: Judith Salavetz, Spencer Drate, Sam Sarowitz/ Autor: Dave Kehr/ Jahr: 2008/ ISBN-13 978-3-283-01109-3
ISBN-10 3-283-01109-5 Bis 30.6.2009: € 49,95/sFr. 89,- Danach: € 68,-/sFr. 115,/ Verlag: Edition Olms/ www.edition-olms.com

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