Es werden Wölfe sein, scheue Tiere, die man höchst selten zu Gesicht bekommt. Wieder entspannt schreiten wir weiter aus und haben bald an der sanften Fortbewegungsart Gefallen gefunden. Obwohl es etwa – 25 Grad Celsius kalt ist wird uns wieder bewusst: auch das Kälteempfinden ist relativ und wir wischen uns den Schweiß von der Stirn.
Schnee wie Mehl
Wir möchten vor Anbruch der Dämmerung in der Blockhütte zurück sein, denn dann sinkt bei diesem klaren Himmel die Quecksilbersäule gut und gerne nochmals um 10 oder 15 Grad. Bei Schönwetterlagen ist die Zeit der Dämmerung unvergesslich. Sobald sich die Sonne der Horizontlinie nähert, schimmert die Schneefläche zartrosa. Nach und nach weicht es einem stählernen Blau, das während mondheller Nächte bis zur Morgendämmerung währt. Manches Mal wird es jäh unterbrochen. Dann zucken die stets wechselnden Nordlichter wie leuchtende Signale über den Nachthimmel, oder im Norden steht ein weißer Bogen fast unbeweglich die ganze Nacht über dem Horizont. Blau, gelb oder grün leuchtet sie meist, die Aurora Borealis. In Kanada ist sie nicht nur nördlich des Polarkreises sichtbar, sondern noch weit unten im Süden an der Grenze zu den USA. Auch das Tageslicht wartet mit Besonderheiten auf: Wenn es so richtig kalt ist, reihen sich viele klare Tage aneinander. Jetzt gefriert die Restfeuchte der Luft bei wolkenlosem Himmel zu feinen Kristallen, die das flache Licht reflektieren. Oftmals bilden sich dann rechts und links der Sonne weißleuchtende Nebensonnen, „sundogs“ sagt man im Volksmund dazu.
Am nächsten Morgen verdichten sich die Wolken und es beginnt zu schneien, ganz trocken, fein wie Staub oder Mehl, vom Wind in Schwaden getrieben. Wenn er dann zarte Muster auf die weiße Fläche zaubert, scheuen wir uns fast, mit den Schneeschuhen das Bild zu zerstören.
Kanadier machen das Beste aus ihrem Winter: Curling – eine Art Eisstockschießen; Kinder spielen Eishockey auf eisbedeckten Sackgassen in der Siedlung windgeschützt zwischen Häusern mit beweglichen Toren. In Holzhütten, die sie mit dem Schneemobil auf die Seefläche ziehen, sitzen Petrijünger und fischen durch die Eisdecke. Immer beliebter werden Touren mit dem Schneemobil. 1922 erfand der Kanadier Bombardier den Motorschlitten, der früher mit einem Propeller angetrieben wurde. Heute läuft er mit dem Benzinmotor leiser und sparsamer. Er dient als Verkehrsmittel und als Sportgerät. Seine Verwendung ist auf öffentlichen Straßen verboten. Es gibt Meisterschaften über riesige Strecken. Führerscheinfrei ist die Benutzung auch für Touristen jederzeit möglich auf ca 27.000 km gespurter Pisten im ganzen Land. Schutzbekleidung gegen den eisigen Wind und der Helm sind obligatorisch und werden mit verliehen. Für Trapper, Jäger und Farmer ist es ein unersetzliches Fortbewegungsmittel durch Tiefschnee in unwegsamem Gelände.
Lieferservice über das Eis
Während der Winter das öffentliche Leben, vor allem Transport und Verkehr für fünf Monate erschwert, haben sich die Kanadier allerlei einfallen lassen, damit auch entlegenste Gebiete mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden können. Dabei dienen die Eisdecken über riesigen Seen gleichzeitig als Straße. Sobald die Stärke des Eises geprüft und für sicher befunden ist, werden Markierstangen darauf montiert und Schneepflüge halten die Eispisten weitgehend frei. Lebensmittel, Ersatzteile, Medikamente und was man im abgelegenen und unwegsamen Norden so braucht wird in die Dörfer gefahren.
Pistenspaß unter gleißenden Gipfeln
Banff, Lake Louise und Jasper in Alberta gehören zu den vielseitigsten Wintersportorten in Westkanada. Zunächst bietet die etwas über 1000 Meter hoch gelegene Präriestadt Calgary als Ankunftsort eine interessante Einstimmung auf den „Wilden Westen“ des zweitgrößten Staates der Erde. Im Glenbow Museum direkt gegenüber des Calgary Tower erleben wir die typischen Legenden vom Cowboyleben anschaulich, vom Lassowerfen bis zum Rodeo. Über den weiten, vierspurig ausgebauten Transcanadahighway gelangen wir zunächst am westlichen Stadtrand ins Olympiadorf der Spiele von 1988. Hier steigen wir in den Bobsleigh Bullet ein, ins Bobschlittengeschoss, und rasen mit 95 km/h die Halbtunnelröhre hinab. Auf der Aussichtsplattform der 90-m-Skischanze erkennen wir am Horizont die Rocky Mountains. Im Gegenlicht des späten Nachmittags glänzen die eis- und schneebedeckten Gipfel. Während hier in Calgary der Präriewind viele Hügel vom lockeren Schnee befreit hat, empfängt uns schon bei Canmore am Fuß der Berge zwischen den ersten Dreitausendern eine traumhafte Winterlandschaft. Wir erreichen Banff, das neben Lake Louise, Jasper und dem zukünftigen Olympiaort Whistler ein Zentrum der Skifahrer ist. Sunshine, Mount Norquay und andere Pisten bieten Spannung und Entspannung ohne Grenzen. Dabei werden die tiefen Temperaturen von der Wintersonne gemildert.
Albertas Wintersportorte in Westkanada bieten Skifahren ohne Wartestress
Es beginnt mit der Eisenbahn. Etwa im Jahre 1870 sind Bautrupps in der Region des heutigen Banff dabei, Schienen für die transkanadische Strecke zu verlegen. Als ein Arbeiter mit der Spitzhacke in den Schotter schlägt, quillt heißer Dampf zwischen den Steinen hervor. Neugierig gräbt er weiter und fördert so die erste heiße Quelle im Ort Banff zutage. Dankbar wird das kostenlose Heißwasser für hygienische Zwecke benutzt. Wer denkt schon daran, dass entlang der Rocky Mountains in Alberta später zahlreiche heiße Quellen gefasst werden, um müden Gelenken oder Skifahrern Erholung und Entspannung zu bieten?
Gerade im kanadischen Winter, nach einem Tag auf Buckelpisten im trockenen Tiefschnee oder mit dem Snowboard in der Halfpipe sind die knapp 40 Grad Celsius warmen schwefelhaltigen Bäder ein schönes Präludium auf das Abendessen mit Steak und Salatbar.
Entlang der legendären, heute von der kanadischen VIA Rail genutzten Bahnstrecke entstanden kurz nach der Fertigstellung die Hotels Banff Springs, Chateau Lake Louise und später die Jasper Park Lodge. Sie sollten schon damals betuchten Fahrgästen der transkontinentalen Eisenbahn als angemessene Herberge dienen.
Heutzutage sind es im Winter nicht mehr die heißen Quellen, derentwegen Gäste aus Übersee anreisen. Entlang der Höhen des Banff Nationalparks bis hinauf nach Lake Louise am gleichnamigen See tummeln sich Wintersportler auf trockenem Tiefschnee, wie er in unseren Alpen selten anzutreffen ist. Jahr für Jahr werden die Aufstiegshilfen modernisiert. In Norquay bei Banff steigert man das Verhältnis der Anfängerpisten gegenüber anspruchsvolleren und ersetzt Doppel- gegen Vierersessellifte. Wir überlassen dort unsere Kinder dem Skiclub und mit einem Minifunkgerät ausgerüstet, sind wir für alle Fälle überall erreichbar. Von Sunshine Village, etwas außerhalb Banffs, schwärmt mittlerweile selbst die kanadische Ski-Nationalmannschaft.
Winterwunderland Lake Louise
Fast schnurgerade führt die Straße entlang des Bow-River nach Nordwesten. Raureif und Schneehauben überziehen die Tannen beiderseits des Highway. Aus dem Wasser des Flusses unterhalb der Trasse dampft es. Selbst bei– 20 Grad Celsius friert er nur in strömungsarmen Schleifen zu. Tiefe Temperaturen ermöglichen in jedem Fall die Produktion von Kunstschnee, sollte der Winter einmal zu trocken sein. Schmuddelwetter mit Nieselregen ist so gut wie unmöglich. Meist wechseln Schneefalltage mit tiefblauem Winterhimmel und gleißendem Sonnenlicht. Nach kurzer Fahrt gelangen wir zur Abzweigung Lake Louise. Der etwas abseits der Verkehrsachse gelegene Wintersportort ist regelmäßig Austragungsort für internationale Skirennen. Doch zunächst wollen wir uns den zugefrorenen See selbst ansehen. Blendendweiß liegt die schneebedeckte Wasserfläche vor einem gewaltigen Panorama. Wie Eisnadeln ragen in Schnee verhüllte Baumspitzen in die frostige Winterluft. Gegenüber, die vom Victoriagletscher überzogene Ostwand der Rocky Mountains. Wie ein Amphitheater umschließen die Berge das Talende. Auf vom Schnee freigehaltenen Eisflächen ziehen Schlittschuhläufer ihre Kreise. Am nächsten Morgen, als zur Frühstückszeit die ersten Sonnenstrahlen das Winterwunderland in zartes Rosa tauchen, planen wir den hellen Vormittag an der Half Pipe bei den wagemutig springenden Snowboardern zuzusehen.
Kunst die aus der Kälte kommt
Für die nächsten Nächte haben wir ein Zimmer im bereits 1890 erbauten Hotel Chateau Lake Louise reserviert. Dabei geht es uns hier vor allem um die spektakuläre Aussicht bei wechselndem Tageslicht auf die vereisten Rockies und um einen Besuch der Kunstgalerien in diesem weltbekannten Haus. Zu bewundern gibt es eine Auswahl von Specksteinschnitzereien kanadischer Inuit. Ob Walrossjäger vor dem Eisloch oder ein Eisbär, die Exponate in ihren vereinfachten Formen sind von vollkommener Schönheit. Jedes Stück ist ein handsigniertes Unikat aus der Arktis. Auf der gleichen Ebene der Galerien sind Geweihschnitzereien ausgestellt. Beispielsweise ist eine ganze Jagdszene fensterartig aus einer riesigen Elchschaufel herausgearbeitet. „Wir versenden in alle Länder der Welt“ informiert der freundliche Verkäufer.
Ohne Bremse geht gar nichts
Icefield Parkway nennt sich die etwa 230 Kilometer lange Straßenführung von Banff zum nächsten Wintersportziel Jasper. Selbst im Sommer gibt es an vielen Aussichtspunkten genügend Eis von Gletschern zu sehen. Kleine Wasserfälle sind jetzt gefroren, Eisnebel schweben über Senken im Gelände als wir nach einer aussichtsreichen Tagesfahrt in Jasper ankommen. Der Ferienort im gleichnamigen Nationalpark breitet sich in einem weiten Talkessel aus. Viele Wintersportgäste reisen auch von der weiter östlich gelegenen Hauptstadt Albertas, von Edmonton nach Jasper. Hier vertrauen wir uns einem Hundeschlittenführer an. Schon bei der Ankunft am Startplatz begrüßt uns freudiges Gebell. Die Huskies jaulen, springen und zerren so an ihren Leinen, dass es uns ein Rätsel bleibt, wie es dem Musher gelingt, sie wohlgeordnet in ein Gespann zu organisieren. Schnell lernen wir die Bremse als wichtigstes Instrument jedes Schlittens schätzen, denn die trainierten Tiere wollen vorwärts um jeden Preis. Da schreckt sie auch kein Abhang, über den der Trail hinabführt. Meist wechseln wir uns ab. Jemand sitzt vorne auf dem Schlitten, der Partner steht hinten auf den Kufen und betätigt gegebenenfalls die Bremse. Sollte es zu kalt werden, spricht nichts dagegen, von den Kufen abzusteigen und eine Strecke mitzulaufen, wobei die Hände natürlich immer am Schlitten verbleiben. Nicht auszudenken wenn die Meute davoneilte und man bliebe zurück im Tiefschnee bei arktischer Kälte. Am Rastplatz hat bereits jemand ein Holzfeuer im Schnee vorbereitet. Im rußgeschwärzten Kaffeekessel blubbert es und duftet verlockend.
Abgesehen von solchen Abenteuern findet der anspruchsvolle Wintersportler in Alberta viele Gebiete, die wie in Europa, nur viel weitläufiger, Gelegenheiten für alle Schwierigkeitsgrade bieten. Einer der wichtigsten Unterschiede ist der große Raum, auf dem sich die Carver und Freerider verteilen können. Dabei begegnen uns auf den Buckelpisten immer wieder Leute mit dem Cowboyhut. Kein Wunder, denn bei entsprechendem Tempo bocken sie fast ebenso wie auf einem ungesattelten Mustang. Des Abends trifft man sich bei T-Bone-Steak und Salatbar und Countrymusic ertönt bis zum „last call“, der letzten Gelegenheit noch einen Drink zu bestellen, bevor die Bar entsprechend den hier strengen Alkoholgesetzen schließt. Vielleicht beginnt bald das Geheul eines Wolfsrudels und aus dem Schornstein steigt während dieser Geisterstunde langsam weißer Rauch.
Informationen:
Anreise: Die Lufthansa fliegt täglich von Frankfurt nonstop nach Calgary. Von dort aus besteht ein Busservice ins etwa 140 km entfernte Banff, bzw. Lake Louise. Saisonzeiten sind gewöhnlich Ende November bis in den April.
Auskünfte über die Provinz Alberta gibt es unter www1.travelalberta.com/de-de
Reiseveranstalter: maßgeschneiderte Winterreisen inklusive der Flüge und Transfers gibt es z. B. beim Spezialisten CRD International in Hamburg: www.crd.de