Pier Paolo Pasolini – Einer der Großen der Weltliteratur wurde 1975 Opfer der von Faschismus, Mafia und Geheimdiensten inszenierten Spannungsstrategie

Grabplatte von Pier Paolo Pasolini auf dem Friedhof von Casarsa della Delizia. Foto: Sebi1

Berlin, BRD (Weltexpress). Ich halte nichts davon, großer Gestalten der Geschichte nur an „runden“ Jahrestagen zu gedenken. So möchte ich auch daran erinnern, dass vor 49 Jahren, am 1. November 1975, der Schriftsteller und Regisseur Pier Paolo Pasolini einem furchtbaren Verbrechen zum Opfer fiel. In Ostia bei Rom wurde er von mehreren Männern überfallen, schwer misshandelt und dann umgebracht. Der Mord wurde nie aufgeklärt. In seinem preisgekrönten biographischen Roman »In der Hand des Engels« (1985) verbreitete Dominique Fernandez (Sohn des französischen Literaturkritikers Ramon Fernandez) die Version, der Dichter habe den Tod gesucht. Dagegen stellte der Regisseur Marco Tullio Giordana in seinem dokumentarischen Spielfilm »Pasolini, ein italienisches Verbrechen«, 1996 auf dem Festival in Toronto uraufgeführt, die Tat als einen politisch motivierten Mord dar. Als 30 Jahre nach seinem Tod die Ermittlungen neu aufgenommen wurden, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung am 12. November 2005, »Faschismus, Mafia und Geheimdienste« würden als »mögliche Täter identifiziert«. Eine späte Erkenntnis, denn schon in den 1970er Jahren war bekannt geworden, dass der Name Pasolinis zusammen mit anderen linken Schriftstellern, darunter Alberto Moravia, auf den Mordlisten faschistischer Putschisten stand.

Pasolini wurde seit Mitte der 1950er Jahre als Schriftsteller mit seinen Büchern »Ragazzi di Vita« (1955) und »Una Vita violenta« (1959) sowie durch seine ersten Filme »Accatone – Wer nie sein Brot mit Tränen aß« (1961) und »Mamma Roma« (1962 mit Anna Magnani) als Regisseur rasch auch international bekannt. Er schrieb Gedichte und Essays in bildhafter, lebendiger Sprache, verfasste Streitschriften (Freibeuterbriefe, Lutherbriefe, Paulusbriefe) die seine kommunistische Gesinnung bezeugten, aber auch seine Sicht auf religiöse Gefühle ausdrückten, was auch sein Film über das 1. Evangelium des Matthäus zeigte. In der Lyrik sind »Gramscis Asche« (1957) und »Die Nachtigall der katholischen Kirche« (1958) zu nennen, von den Romanen »Der Traum von einer Sache« (1962) und »Ali mit den blauen Augen« (1965). In der Bundesrepublik erschienen viele seiner Werke im Wagenbach Verlag.

In seinem letzten Film »Salò oder die 120 Tage von Sodom« gestaltete er nach Marquis de Sade fiktiv die grausamen Zustände in einem Gefangenenlager in Salò, dem Sitz des Mussolini-Regimes am Gardasee unter der Okkupation der Hitlerwehrmacht. Den heftig umstrittenen Film, den ich während meiner Zeit als Korrespondent in Rom (1973 bis 1979) im Auslandspresseklub sah, prägten Resignation und Lebensekel.

Pasolinis Hinwendung zur IKP war der Liebe eines Kindes vergleichbar, das sich nach Zuneigung sehnt. Im Leben oft nicht erwidert, wurde sie ihm im Tode zuteil. Unter den Trauergästen, die zu Tausenden zu seinem Begräbnis kamen, befanden sich viele Parteimitglieder, an ihrer Spitze Generalsekretär Enrico Berlinguer. Alberto Moravia sagte in seiner Totenrede: »Jedes Jahrhundert werden nur drei oder vier Dichter geboren, und wir haben einen Dichter verloren.«

Pier Paolo Pasolini bin ich zweimal begegnet, zuletzt wenige Wochen vor seinem schrecklichen Tod. Ich war erstaunt, wie fundiert Pasolini sich zu den 1973/74 bekannt gewordenen neuen faschistischen Putschversuchen äußerte. »Ich weiß die Namen der Verantwortlichen für das, was man Putsch nennt«, hatte ihn der „Corriere della Seraam 14. November 1974 zitiert. Er charakterisierte das als »ein System der Herrschaftssicherung« und verwies auf die »Unterstützung der amerikanischen CIA« und die »der griechischen Obristen und der Mafia« und vergaß auch den 11. September 1973 nicht, den faschistischen Putsch gegen Allende in Chile.

Pasolini war eine faszinierende Persönlichkeit. Sein hageres Gesicht mit den asketischen Zügen unter dem schwarzen Haar und dem durchdringenden Blick prägte sich unauslöschlich ein. Seine politischen Gedanken, die er streitbar und manchmal mit einem Anflug von Besessenheit darlegte, waren von einer Scharfsinnigkeit, die kaum einer seiner Genossen in der IKP und schon gar nicht in der Führung aufzuweisen hatte. Seine Homosexualität hat Pasolini nie verheimlicht.

Am Vorabend des 40. Todestages von Pasolini hat einer der renommiertesten Historiker, Giorgio Galli, bekannt durch zahlreiche fundierte Werke zu der gegen den linken Vormarsch von der CIA und ihren italienischen Partnern inszenierten faschistischen Spannungsstrategie,1 eine Biografie über ihn vorgelegt, in der er das Bild eines überaus gebildeten Kommunisten und Intellektuellen, der auf dem Weg war, ein führender Ideologe zu werden, zeichnete. Er schrieb: »Der Marxismus Pasolinis ist eine zweifellos treue Ableitung aus jenem des Philosophen aus Trier – ein bipolarer Klassenkonflikt, in dem das aufstrebende Proletariat die langsam niedergehende Bourgeoisie herausfordert und letztlich besiegt.« Galli hat treffend die theoretischen Ansichten Pasolinis herausgearbeitet, der das bürgerliche Staatsmodell, zu dem sich die IKP im »Historischen Kompromiss« bekannte, als »nur eine Scheindemokratie« entlarvte; der im Scheitern der Studentenrevolte von 1968 (»ein kurzes bürgerliches Strohfeuer«) bereits »ein Vorzeichen für die unmittelbar anstehende reaktionäre Wende«, die in die Ermordung Aldo Moros (im Mai 1978) mündete, sah; der Jahre vor dessen Scheitern die Unmöglichkeit des »Historischen Kompromisses« voraussagte. Wenn Galli allerdings Pasolini wegen seiner kritischen Haltung zur IKP-Führung einen »Dissidenten der kommunistischen Bewegung« nannte, muss ich dem widersprechen. Dafür war Pasolini ein zu entschiedener Marxist, der in diesem Bekenntnis die einzige Lösung nicht nur für die Gesellschaft, sondern für die Menschen schlechthin sah.2

Anmerkungen:

Zu Pasolini siehe auch das Buch des Autors „Umbruchsjahre in Italien – Als Auslandskorrespondent in Rom 1973 bis 1979. PapyRossa, Köln 2019.

1Il Partito armata. Gli »Anni di piombo in Italia, 1968-1984«, Mailand 1993; Staatsgeschäfte, Affären, Skandale. Verschwörungen, Hamburg 1984.

2Giorgio Galli: Pasolini – der dissidente Kommunist, Hamburg 2014.

Siehe die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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