Berlin, Deutschland (Weltexpress). Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ spielt eigentlich in einem Fischerstädtchen an der englischen Ostküste, was wir jedoch auf der Wiesbadener Bühne sehen, lässt uns eher an Trumps „Fly-Over-Country“ denken, ein Platz im „rust belt“, einschließlich abgewracktem Straßenkreuzer, aber sicher ein Ort, in die die Charaktere der Oper genauso passen, wie in den Orginalschauplatz. In dieser trostlosen Umgebung steht und schwebt ein hellblauer Container – Heim und Lebensraum für Peter Grimes (Bühne und Kostüme Rolf Glittenberg).
In dieser Szenerie gelingen der Regie (Philipp Krenn) immer wieder eindrucksvolle Bilder, beginnend schon in der Eröffungsszene des Prologs, wenn die Dorfbewohner auf Grimes eindringen um ihn zum Tode seines Lehrjungen zu befragen. Dann aber haben für den Rest der Oper nur noch die Personen Zutritt, die auch zu ihm stehen: Die Lehrerin Ellen (Johanni van Oostrum) und sein Freund Balstrode (wieder in Wiesbaden: Thomas de Vries). Hauptsächlich jedoch ist Grimes dort mit sich und seinen Nöten allein, kämpft mit und gegen sich und die ihn bedrängenden Vorstellungen. So wird der Container zum Spiegel seines Innenlebens und Gegenpol zur Öffentlichkeit des Dorfes. Grimes ist ein Charakter, der mit seiner Gefühlswelt nicht umgehen kann. Liebe wie Ängste kann er weder sublimieren, noch rational bewältigen, er kann nur mit Aggression reagieren, auch gegen sich selbst – bis hin zur Selbstverstümmelung. Lance Ryan, der diese Partie in Wiesbaden mit Bravour singt, zeigt hier auch eine bemerkenswerte schauspielerische Leistung – ihm wird im Laufe des Abends viel abverlangt.
Offen bei dieser Inszenierung bleibt die Sicht auf die im Zusammenhang mit dieser Oper immer wieder angesprochene pädophile Komponente. In Wiesbaden wird der Knabe offen auf der Szene von Dorfbewohnern missbraucht, während sich, in seinem Container darüber schwebend, Peter Grimes von Träumen oder Alpträumen geschüttelt, hin und her wälzt. Was ist die Realität, was die Projektion? Oder wiederholt Grimes an seinen Lehrjungen nur, wie das Programmheft andeutet, nur die Erfahrungen, die er selbst in seiner Kindheit gemacht hat?
Peter Grimes ist bekanntlich eine der Opern, in der dem Chor eine zentrale Rolle zufällt. Albert Horne, der Chor und Orchester zugleich leitet, lässt die in der Partitur angelegten Stimmungsbilder hörbar und fühlbar werden und so gerät auch der Sturm in der Natur überzeugend zu des Volkes Sturm, in dem die Ortsbewohner zum Mob zu mutieren drohen. Der Chor hält das Geschehen auf der Bühne in steter Bewegung, auch die kleineren Partien waren passend besetzt, etwa Romina Boscolo als bigotte, klatschsüchtige Mrs. Sedley. Die Chorleistung wie die des Orchesters und der Sängerinnen und Sänger wurden zurecht mit anhaltendem Beifall bedacht.
Weitere Vorstellungen am 9., 12., 16., 18. und 24. Februar sowie am 1. und 4. März 2017.