Und da stachen uns so etwas 12 ineinanderverschlungene Perlenschnüre in die Augen und der alte Herr, der sie gerne verkaufen wollte, sagte: „So was war mal modern. Das hat diese Coco Chanel berühmt gemacht, nicht eine Kette, sondern ganz viele, mal dicke, mal dünne, eben solche wie diese hier.“ Als er unser zweifelndes Gesicht sah, sagte er: „Für 10 DM können Sie sie haben“. Das war weniger als eine Deutsche Mark pro Stück für ein so überaus schönes Chanelperlenensemble. Das gehört eigentlich verboten. Also nahmen wir sie. Heute hängen sie geschickt drapiert an der Wand und werden bei besonderen Gelegenheiten um den Hals gehängt und so wieder miteinander vereint. Denn wir haben auch richtige Chanelkostüme und irgendwie braucht es die, damit das Chanelartige an den Chanelperlen auch richtig zum Ausdruck kommt.
Aber diese Chanelkostüme, ja mehrere, darunter ein weißes Wollgedicht, die haben wir alle von reichen Tanten geerbt, die dünn waren … und ehe wir jetzt unsere ganze Lebensgeschichte erzählen, die außer Chanel noch anderes umfaßt, kommen wir lieber zu Madame und ihrer Lebensgeschichte. Sie hat nämlich dem Schriftsteller Paul Morand ihr Leben erzählt und dieser hat es aufgeschrieben und als „Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben“ schon 1976 veröffentlicht. Im SchirmerGraf Verlag ist nun eine Ausgabe erschienen, die dies berückende Porträt der Chanel auf dem Titel zeigt, wo sie im eleganten kleinen Schwarzen, die vielen Perlenschnüre in unterschiedlichen Längen um den Hals, kess die Hände in den Taschen und fast im Profil, einen Hut gerade über der Stirn und oberkess eine lange Zigaretten zwischen den Lippen, die lässige Frau genauso gibt, wie die elegante, wie die burschikose, wie die Unternehmergattin, wie die Künstlerin, wie die jede Frau, die von sich was hält und deshalb auf sich was hält. Von Man Ray aufgenommen um 1935.
Ich war die Erste, die so gelebt hat, wie es dem Jahrhundert angemessen war.“, sagte sie nicht unstolz von sich selbst. Was das bedeutet hat? Mit Leben meint sie nicht nur atmen, sondern auch sich anziehen, sich in den Kleidern bewegen. Und das war damals ein Gegensatz. Denn gutes Durchatmen und sich gesund Fühlen haben die Korsetts und Fischbeinstäbchen und Schnüre eben grundsätzlich verhindert, weshalb die Chanel das Gegenteil schneiderte. Nein, keine Säcke, das war anderen Zeiten vorbehalten und auch keine derben Männerhosen, das war auch anderen Zeiten vorbehalten, sondern schlichte elegante Kleider, die aus weichen fließenden Stoffen zugeschnitten wurden, Jersey wurde ein Hit, das echte Chanel Kostüm dagegen ist zweiteilig, mit ganz leicht ausgestelltem Rock und einem kurzen Jäckchen mit Bortenbesatz und trat seinen Siegeszug erst in den fünfziger Jahren an. Ihr Parfüm, das Marilyn Monroe als Nachtbekleidung zu tragen pflegte, brachte Coco, die als Gabrielle geboren wurde, 1923 auf den Markt.
1946 hat Coco Chanel ihr Leben erzählt, da war die 1883 Geborenen immerhin schon 63 Jahre und sie starb 1971, also fast neunzigjährig. Nun könnte man die Selbstbeschreibung, die sie dem hilfswilligen Autor in die Feder diktierte, natürlich an den nackten Lebensdaten überprüfen. Aber darum geht es uns nicht. Es langt, dieses Selbstbild aufzunehmen, wie sich eine kleine Frau, aus mageren Verhältnissen, ja mehr als das, aus Isoliertheit und Alleinsein ein Bild seiner selbst schafft, dem es dann nachlebt. Coco Chanel ist eine Inszenierung durch Coco Chanel, gnadenlos gegen sich selbst und Lebensglück in ihrer Arbeit und ihren Erfolgen suchend und findend. Und wie es drinnen aussieht, geht keinen was an.
Ihr Selbstwertgefühl erreicht sie nicht nur durch ihre beruflichen Erfolge, sondern eben auch durch den gesellschaftlichen Glanz der Oberen Zehntausend, wobei sie sich auf die Künstlerseite schlägt, zu denen sie nun dazugehörte und die Liebhaber wechselte wie andere ihre Chanelkleider. Aber allein ihre mehr als zwiespältige Liebesgeschichte mit Paul Iribe zeigt, daß sie sehr viel von den unterschiedlichen Seiten der Liebe zwischen Mann und Frau mitbekommen hat und auch neben den Liebesgefühlen von denen des Hasses weiß. Das vorliegende Buch ist so eines, das nicht in der Rezension entschlüsselt wird, sondern daß dem Leser einen Einblick in ein inszeniertes Leben gibt, das dennoch an vielen Stellen immer wieder Wahrhaftiges durchblitzen läßt.
Nur die Perlen, über die haben wir nicht gefunden. Die galten als Zutat, weil sie Modeschmuck waren und von jeder Frau erwerbbar. Um über das Phänomen „Frauen und Perlen“ mehr zu erfahren, sollte man das gleichnamige Buch von Claudia Lanfranconi aus dem Elisabeth Sandmann zur Hand nehmen. „Geschichte einer Leidenschaft in Malerei und Fotografie“ erzählt der Untertitel und wenn den Titel Audrey Hepburn schmückt, so sehen wir im Inneren des schönen großen Bandes all die schönen, mit Perlen geschmückten Weiblichkeiten der Kunstgeschichte und der Geschichte. Je eine Seite widmet der Text einer Figur und auf der anderen Seite ist sie abgebildet. Und wir fangen auf der Seite 134 an, mit Man Ray. Es ist das titelgebende Bild im kleinem Schwarzen, das Cover der eben angesprochenen nacherzählten Biographie. „’Mit einem schwarzen Pullover und einer zehnreihigen Perlenkette revolutionierte Coco Chanel die Mode’, pflegte Christian Dior über die Grande Dame der französischen Haute Couture zu sagen.“, heißt der Anfangssatz. Da haben wir wieder die Perlen, die dennoch kein literarisches Eigenleben bei der Chanel gewinnen. Keine Begründung für diesen Schmuck Auch hier nicht.
Andere sind da sehr viel deutlicher. Die Maria Magdalena, die Caravaggio um 1594 malte, hat ihre Perlen sich vom Hals gerissen, denn sie liegen nur noch teilweise aufgefädelt am Boden. Was das bedeutet, ist in der Kunstsprache klar. Perlen, das war der Ausdruck für Luxus, aber auch der für Sünde. Tizian hat das bei seiner Venus von Urbino, 1538 sehr viel dezenter angedeutet. Sie trägt nur Perlenohrringe, allerdings besonders schöne, die deshalb so auffallen, weil die Dame ansonsten nackt ist. War Chanel Nr. 5 die Nachtbekleidung der Monroe (die in diesem Buch auch Perlen trägt), so ist dieser Perlenohrring die Tagesbekleidung der lagernden Schönen. Und keine Indezenz strahlt das Bild aus, sondern Einverständnis der Schöpfung mit der Schönheit. Eingeschlossen der Perle.
Die Perlen als Sinnbild von Luxus waren im 15. Jahrhundert so in Mode gekommen, daß insbesondere gemalte mythologische Gestalten diese trugen, wie Bellinis „Venus bei der Toilette“ von 1515. Der Text sagt über diese Zeit und Venedig weiter: „Perlen waren teilweise nur der Familie des Dogen, des Oberhaupts der Stadt vorbehalten, und auf Hochzeiten allein zur Zierde der Baut erlaubt. Die Perlen als Sinnbild der Reinheit sind eine weitere Konnotation der an Zuschreibungen reichhaltigen Perlenattribute, zu denen die Perle als Symbol der Macht dann auch gehört, oder als Schwelgen im Luxus oder Attribute der Schönheit. aber da geht vieles ineinanderüber, macht aber immer Spaß, den Perlen in der Kunstgeschichte und den mondänen Fotografiennachzugehen und sich mal wieder ein Chanel Kostüm anzuziehen und die zwölfteilige Perlenketten umzuhängen. Queen Mum hatte 1937 nur sechs Teile, wie das Foto auf Seite 124 zeigt. Aber Marlene Dietrich trug nur eine einfache Kette. Also die Anzahl der Perlenschnüre macht’s dann doch nicht. Auf jeden Fall aber der nackte Busen, an dem eine Perlenkette herabhängt. Es ist der Busen der Salome, die schönste Einheit von natürlicher Weiblichkeit mit dem Glanz der Perlen und von Lovis Corinth gemalt. Ein hinreißendes Bild und im erwähnten Band nicht aufgenommen. Rätselhaft. Das Buch ist trotzdem toll.
Die Kunst Chanel zu sein, aufgezeichnet von Paul Morand, SchirmerGraf Verlag 2009
Claudia Lanfranconi, Frauen und Perlen, Verlag Elisabeth Sandmann 2006