Die Fülle der Bilder und Informationen erschlägt einen fast. Umso wichtiger, daß man systematisch vorgeht. Aber zu jeder Systematik gehören die Ausnahmen. Und so haben wir erst einmal quergeschaut und quergelesen, uns immer wieder festgelesen, aber auch unseren Augen nicht getraut. Aber bevor wir dann systematisch also mit dem Inhaltsverzeichnis begannen, wußten wir schon, daß in der Mehrzahl diese gottgedachten Bauten von außen fotografiert sind, daß aber Innenaufnahmen nur dort reizvoll sind, wo über die Architektur hinaus auch ein Gottesbild zu finden ist.
Ob man Gott selbst im Christentum darstellen dürfe, ist im Bereich der Ostkirche über hundert Jahre verneint worden. Ob es den Bilderstreit so exzessive überhaupt gegeben hat, ist hier nicht wesentlich, wohl aber, daß das aus dem Alten Testament überkommene jüdische Bilderverbot (Du sollst Dir kein Abbild machen von Gott) nicht in die christlichen zehn Gebote übernommen wurde. Dafür aber in extremer Verschärfung in den Islam, drei Religionen also, die im Grundsatz an denselben Gott glauben. Von daher weiß man, daß man in mohammedanischen Glaubenspalästen nach Bildern nicht suchen muß. Aber vereinzelt gibt es jüdische Moscheen mit Bildern.
Das Inhaltsverzeichnis weist uns den Weg durch Europa. Aus Island die Hallgrimskirkja, aus Norwegen den Nidarosdom, aus Frankreich 14 Kathedralen, Pilgerbasiliken und Kirchen, auch aus Spanien 14 sakrale Bauten, dann aus Deutschland 21 Gotteshäuser, aus Österreich nur drei, aber dann aus Italien 23 Dome und Basiliken, zuviel also, um allem gerecht zu werden, denn noch ist der Osten nicht erwähnt und nach Europa kommt Kleinasien, Afrika, dann die Neue Welt, wo der Hauptteil Mittel-und Südamerika gilt. Auf Seite 206 beginnen dann die Darstellungen der Moscheen, Schwerpunkt in Kleinasien, der arabischen Halbinsel und den Gebieten bis hinüber nach Usbekistan, mit den Medresen von Buchara und Samarkand.
Ab Seite 270 werden die Tempel und Tempelbezirke des Hinduismus, ab Seite 292 die des Buddhismus vorgeführt und erklärt. Im Übrigen gibt es bei jeder der Weltreligionen auch eine spezifische Einführung in ihren Glaubensgehalt und die Rituale. Es kommen noch Taoismus aus China, Sikhismus aus Indien, das Judentum mit Synagogen über die ganze Welt, das Mormonentum in den USA, der Bahaiismus in Israel und Indien, der Jainismus in Indien und der Shintoismus in Japan. Obwohl also die ganze Welt in diesem Band versammelt ist, erfährt man auch im Detail Entscheidendes. Zum Entscheidenden gehört auch der visuelle Eindruck, der bei San Lorenzo El Real de El Escorial überwältigend ist.
Auf dunklem Hintergrund hebt sich im gelben Licht dieser, im Grundriß dem Marterinstrument des Laurentius nachempfundene Komplex aus Kirche, Koster, Bibliothek und Sommerresidenz der spanischen Könige, wie sie Philipp II. 1561 in Auftrag gab. Allerdings saß er einem zeitgenössischen Irrtum auf, der bis heute tradiert ist. Er hatte nämlich beim siegreichen Feldzug in Frankreich ein dem Heiligen Lorenz gewidmetes Kloster zerstört und deshalb sollte als Buße hier mit dem Escorial San Lorenzo eine neue Bleibe finden und wie üblich auf dem Grundriß eines Gitterrostes, denn der Heilige Laurentius wurde auf einem solchen geröstet, weshalb er dieses Märtyrerinstrument auf den Bildern des Mittelalters und danach immer bei sich trägt. Heute weiß man, daß die damalige Sicht auf Laurentius, den man ins vierte Jahrhundert schob, unrichtig ist, daß er viel früher durch das Schwert in Rom umkam. Aber das schert nicht einmal heute Wikipediaeinträge, die nach wie vor den Gitterrost als gegeben ansehen, so wie der arme Philipp, der sich aber immerhin an seine Zeit halten durfte.
Wenn man etwas durch die Welt kommen durfte, fallen einem bei so vielen bildlichen Darstellungen die Geschichten ein, die man dort erfuhr. Aber mehr, als festzustellen, daß dies eins der drei Bücher ist, die man auf die berühmte Insel mitnehmen will, können wir für dieses phantastische Buch nicht tun. Der Verlag Belser, heute nicht mehr eigenständig, wurde im Jahr 2010 runde 175 Jahre und beschenkte sich selbst, uns dabei aber mit. „Das Katharinenkloster auf dem Sinai“ vom neuseeländischen Fotografen John Galey ist eine neue prächtige Wiederauflage des Buches von 2003. Und da dieses Kloster über 1400 Jahre zählt, sind diese Jahre bis heute wie nichts. Der ausgewiesene Ikonenforscher Kurt Weitzmann hat den wesentlichen kultur- und kunstwissenschaftlichen Teil beigesteuert, der unser Verständnis für Ikonen (man schaut nicht in westlicher Manier in sie hinein, sondern öffnet seine Seele für das, was aus dem Bild in uns eingeht) vertieft und hat eine Geschichte dieses Klosters in seiner Lage zwischen Byzanz, dem Islam und dem europäisch gewordenen Christentum entwickelt.
Und dann sprechen die Bilder, zu denen nicht nur die religiösen und rituellen Kostbarkeiten gehören, sondern auch die Arbeit im Kloster selbst, wo Mönche und Beduinen den Brotteig zu Laibern formen. Die Entwicklung des dann formalisierten Christusbildes fängt im Katharinenkloster an und bei den vielen Wiedergaben von Ikonen spürt man deren innere Kraft genauso wie man darüber staunt, wie selbstverständlich das Kloster selbst auf den Ikonen als Hort der Maria oder trutzige Gottesburg dargestellt ist.
Ein weiteres Geburtstagsgeschenk des Belser Verlages für sich und uns sind „Pilgerziele der Christenheit“ mit dem Untertitel „Jerusalem- Rom-Santiago de Compostella“. Das waren und sind die drei wichtigsten Pilger- und Ablaßreisen seit dem Mittelalter. Auch dieses Buch von 1999 wurde preisgünstig mit 384 Seiten ’wie neu` an die Leser gegeben und wie die anderen Sakralbautenbücher geht es um die Melange von Glauben, Architektur-, Kunst- und Kulturgeschichte, darüberhinaus auch um die Sozialgeschichte all der Zeiten, wo die Pilger die Wege entlang schritten und die Mittler zwischen den Völkern genauso waren wie die Eingeweihten des inneren Zirkels der Gläubigen.
Schließlich gab es die Beweise ihrer Pilgerfahrt durch Täschchen und Jakobsmuschel auf dem Hut und sonstwo. Heute gibt es Pässe, wo die Stationen bestätigt werden, aber auf den spätmittelalterlichen Bildern kann man herrlich die satte Zufriedenheit der nach Hause zurückgekehrten Pilger an ihren Symbolen erkennen, mit denen sie sich schmücken. Jerusalem war die 1. Klasse, Rom kam als zweites und dann zum Dritten Compostella. So war es historisch. Heute ist der Jakobsweg nach Compostella am beliebtesten. Möglichst zu Fuß. Da nun wieder sind die Deutschen führend, vor den Italienern und benachbarten Franzosen.
Das Buch nun bringt alles: Die Pilgerreisen und ihre Symbolik, wie es im Mittelalter war und in den Heiligen Jahren. Es geht um die Bräuche und die Wege und auch die Routen über das Meer nach Jerusalem. Und dann werden die Heiligen Orte noch einmal gesondert dargestellt. In diesem Buch dominiert der Text und das ist angesichts der gerade dargestellten Bildpracht den Augen und dem Geist angenehm. Man kann sich alle diese Bücher kaufen, aber man kann auch nach dem eigenen Interesse auswählten. Wir allerdings stellten fest: brauchen kann man alle drei dickleibigen Bildbände, weil sie sich gegenseitig nichts wegnehmen, aber mit dem Miteinander vertiefend wirken. Das war ein Geschenk, solche Wunderbücher besprechen zu dürfen.
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Paläste des Glaubens, Verlag Wolfgang Kunth 2010
John Galey, Das Katharinenkloster auf dem Sinai, Belser Verlag 2010
Pilgerziele der Christenheit. Jerusalem-Rom-Santiago de Compostella, hrsg. von Paolo Caucci von Saucken, Belser Verlag 2010