Orient-Kreuzfahrt: Märchen, Mythen und Erzählungen

MS Deutschland klar zum Auslaufen.

Auf der anderen Seite faszinieren architektonische Wunder aus Stahl und Glas. Wie eine Fata Morgana. Morgenländisches Ölreichtum bildet die notwendige Basis für eine Welt, die alles andere verkörpert als Beduinenromantik. Zwischen Orient und Okzident spannt sich ein Bogen von über 5000 Jahren Geschichte. Heute überragt der Burj Dubai, das höchste Gebäude der Welt, die modernen Märchenmetropolen der schillernden Scheichtümer.

„Arabia felix“, glückliches Arabien, nannten die Römer einst das Gebiet des heutigen Jemen. Hier kann Ackerbau betrieben werden, ganz anders als auf der übrigen Arabischen Halbinsel. Legendär war der Ruf während der Antike, als Myrrhe und Weihrauch Hauptexportgüter waren. Es fand auch einen biblischen Niederschlag im „Buch der Könige“ des Alten Testaments. 1000 v. Chr. Herrschte hier Bilkis, die Königin von Saba. Es wird berichtet von reichen Gaben, die sie beim Besuch des Hofes von König Salomo mitbrachte.

Hinter der Fassade einer sich entwickelnden Nation verbirgt sich ein streng gehüteter Traditionalismus. Äußeres Zeichen sind Männer im Rock mit Krummdolch und Gewehr.

In den Siedlungen, selbst in der Hauptstadt Sanaa, lebt man noch wie vor Jahrhunderten. Während des größten Teils der Landesgeschichte waren die Sultanate und Königreiche des Jemen zerstritten. Gelegentlich werden auch allein reisende Touristen mit Problemen aus diesen Stammesfehden konfrontiert und aus erpresserischen Gründen entführt.

1990 vereinigten sich der Norden und der Süden zur Republik Jemen.

Oman, das „Land des Weyrauchs“, bedeckt den Südosten der Arabischen Halbinsel. Einst konnte das Land nur auf dem Seeweg erreicht werden. Sultan Kabus hat längst eine moderne Infrastruktur entwickelt. Dazu gehört auch eine gut ausgebaute Küstenstraße von Muscat zum Hafen Mina Kabus. Im Norden ragt die Halbinsel Musandam in die strategisch wichtige Straße von Hormuz hinein.

Die 1700 Kilometer lange Küste ist zwischen dem Südwesten (Salalah) am Indischen Ozean und dem Norden (Matrah) äußerst reizvoll: lange Strände, Dattel-Palmenhaine, deren Früchte auf den lokalen Märkten angeboten werden, Zitrusplantagen und gelbe Luzernenfelder auf einer welligen Ebene. Am Horizont türmen sich die Hadschir-Berge über 3000 Meter auf.

Die Omaner, obwohl „Wüstenbewohner“, leben hauptsächlich von Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei.

Was könnte die Eindrücke, Stimmungen und Empfindungen besser einfangen als die Erlebnisse während einer Kreuzfahrt zwischen Suez-Kanal, Rotem Meer, Arabischem Meer und Persischem Golf.

Märchenhafte Bilder aus 1001 Nacht

MS „Deutschland“ liegt im Hafen von Hodeidah am Roten Meer. 80 Passagiere sind aufgebrochen, um dieses geheimnisvolle Land im Süden der arabischen Halbinsel zu erkunden. Das Land der Königin von Saba, das Land von Weihrauch und Myrrhe.

Pingpongballgroß beult sich die Wange des Jemeniten aus. Hinter der „dicken Backe“ verbirgt sich kein Zahnweh, sondern Kat, die alltägliche Droge im Jemen.

Die Blätter der Katsträucher werden zwischen den Zähnen zermahlen, in die Backe geschoben und einzeln wieder vorgeholt – bis Hunger und Müdigkeit verflogen und die Sinne belebt sind. Allah hat den Alkohol verboten, von Kat war keine Rede. Trotz Hamsterbacke ein Mann wie aus dem Bilderbuch: mit Kaftan, Turban und natürlich Krummdolch vorn im Gürtel. „Dschambija“ nennen ihn die Jemeniten.

Auf dem Kat-Markt in Bani Matar versperren Allradwagen, Lastwägelchen, Ziegen, Kinder, Männer die Straße. Wir sind auf dem Weg nach Sanaa, der Hauptstadt des Jemen.

Die Straße führt durch eine atemberaubende Landschaft: vorbei an schroffen Felsformationen, auch an kunstvoll angelegten Terrassenlandschaften, auf denen Bauern der kargen Erde Obst, Gemüse und Kaffeebohnen entlocken – und Kat natürlich. Sieben Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche werden mittlerweile für den Katanbau genutzt. Zum Missfallen der Regierung. Das Aufputschmittel schadet offenbar weniger der Gesundheit als der Wirtschaft. Denn während des täglichen Rituals, dem besonders ausgiebig um die Mittagszeit gehuldigt wird, ruht nahezu jegliche andere Tätigkeit. Und mehr noch: Durch den Katkonsum wird den ohnehin meist knappen Familienbudgets viel Geld entzogen.

„Hello!“, „How are you?“, „Backschisch“ – in Sanaa wird man umringt von Kindern. Sie probieren ihre Englischkenntnisse und ihren Charme aus. Die fröhliche Schar läuft mit der Passagier-Gruppe durch Sanaa, vielleicht die schönste aller Hauptstädte. In den verwinkelten Suks der Altstadt reihen sich winzige Werkstätten und Läden aneinander. Tief verschleierte Frauen huschen durch die Gassen, Teegläser werden über Köpfen der Kauflustigen balanciert. Eine offene Tür gibt den Blick frei auf eine Bäckerei, in der ein Mann Fladenbrote aus dem Feuer eines amphorenförmigen Lehmofens holt. Nebenan treibt ein Kamel eine Ölpresse an.

Das Bild aus 1001 Nacht hat nur einen Schönheitsfehler: Blaue Rauchfahnen mischen sich mit dem Duft der Gewürze. Unablässig zwängen sich hupende Autos durch die engen Straßen, knattern rostige Motorräder durch die Massen.

Sie bilden einen seltsamen Kontrast zur majestätischen Kulisse der Altstadt mit ihren Turmbauten aus Lehm und Ziegeln, mit ihren Rundbogenfenstern, farbigen Glasmosaiken und weißen Kalkverzierungen. Altstadthäuser wie Märchenpaläste, so schön, dass die UNESCO sie 1984 unter Schutz stellte – Weltkulturerbe!

Vorderer Orient per Schiff! Das ist das Besondere an dieser Teilstrecke, auf der die Passagiere komfortabel in kurzer Zeit an Orte gelangen, die man sonst nur mühsam erreicht. Denn vor dem Jemen haben die „Deutschland“-Fahrer Ägypten gesehen, den Suez-Kanal, Jordanien. Während das Schiff in Port Said geankert hat, sind die Passagiere zu den Pyramiden von Gizeh gefahren, diesen Wunderwerke aus Stein.

Dunst liegt über der Cheops-Pyramide, als man am Ortsausgang von Kairo ihre Spitze erspäht. Hinter Großstadthäusern lugt die größte der Gizeh-Pyramiden hervor. 136,5 Meter misst die Cheops-Pyramide heute noch (von einst 147 Meter), die Chephren-Pyramide bringt es auf 136 Meter. Diese beinahe 5.000 Jahre alten Riesendenkmäler ohne Fenster und Türen, in ihrer vollendeten geometrischen Form, üben eine magische Anziehungskraft auf die Besucher aus. Majestätisch auch die Sphinx, zum Schutz von Chephrens Grab erbaut.

Das nächste Bauwerk der besonderen Art steht gleich am darauffolgenden Tag auf dem Programm: der 195 Kilometer lange Suez-Kanal. Am frühen Morgen fährt der 175 Meter lange 22.400-Tonner hinein. Wir lassen Port Said rechts liegen. Der Tiefwasserweg führt östlich an der Stadt, arabisch Bur Sa ´id, vorbei. Minarette und Kräne grüßen im Gegenlicht herüber.

Als Kapitän Andreas Jungbluth um 9 Uhr einen „wunderschönen Tag“ wünscht, ankern das Schiff bereits auf halber Strecke im Großen Bittersee. Und 30 weitere Schiffe: Tanker, Frachter und Kreuzfahrer. Alle warten auf den Nordkonvoi, erst dann ist die Bahn frei. Einer nach dem anderen reiht sich ein wie Perlen auf der Schnur für die Fahrt ins Rote Meer.

Reisfelder spiegeln sich in Wasserquadraten. Der vom Nil abgezweigte 100 Kilometer lange Bewässerungskanal macht ´s möglich: aus Gelb wird Grün. „Der Wüstenboden ist da drüben in über 500.000 Hektar fruchtbares Ackerland verwandelt worden“, so der Lotse. Erst ab Horizont dehnen sich im Osten endlose Sandfelder.

Ismailia, die wohlhabende Verwaltungsstadt. Hinter einer gepflegten Uferpromenade mit Dattelpalmen halten sich luxuriöse Villen vornehm zurück. Moschee und koptische Kirche dösen friedlich nebeneinander in der Mittagsglut. „Das ist die Sommerresidenz des Präsidenten“, zeigt der Lotse auf einen Prachtbau direkt am Kanal. Während sein Kollege Ruderkommandos gibt, spielt er Fremdenführer. Gestik und Mimik des fröhlichen Ägypters lassen die Brücke unter Lachsalven dröhnen. Ernst wird er bei Al Kantara, wo ein Denkmal mit zwei erbeuteten israelischen Panzern an den Sechstagekrieg 1967 erinnert. „Erde und Wasser waren hier damals blutgetränkt.“ Noch immer ist das Ufer gespickt mit Militärposten und Pontons zur schnellen Kanalüberquerung. Die neue Hochbrücke findet nicht die Billigung des Lotsen: „Ein Tunnel wäre aus vielen Gründen besser gewesen: mehr Sicherheit, unbegrenzte Passagehöhe, zum Beispiel für Bohrinseln, und niedrigere Kosten.“

„Salam, gute Reise und Tschüß!“ verabschieden sich die beiden freundlichen Ägypter nach zwölf Stunden Kanalfahrt und preschen im Lotsenboot zu ihrer Station in Suez.

Die strategisch günstige Lage dieses Wasserwerkes zwischen Afrika und Asien hatte seit seiner Einweihung im Jahre 1869 immer wieder Konflikte heraufbeschworen. Zweimal war der Kanal in seiner Geschichte geschlossen worden. 1975 wurde er zum dritten Mal eröffnet. Und so ist es etwas Besonderes, diese vierzehnstündige Passage zu erleben. Eine Durchfahrt, die sich die Ägypter denn auch fürstlich entlohnen lassen.

Durch den Golf von Akaba führt die Route weiter nach Jordanien, mit seinen 90.000 Quadratkilometern etwas größer als Österreich. Die antike Stadt Petra, lateinisch für „Fels“, macht ihrem Namen alle Ehre. Der einzige Zugang in die geheimnisumwitterte Stadt der Nabatäer führt über Bab es-Sik, den „Eingang der Schlucht“. 1.200 Meter sind es, bis sich der schmale Weg zwischen 80 bis 120 Meter hohen Felswänden plötzlich weitet und den Blick freigibt auf das berühmteste und wohl besterhaltene Baudenkmal von Petra, das Schatzhaus. Säulen, Skulpturen, Ornamente in rosaroten Stein gehauen, mit größter Akkuratesse und formvollendet. Wenig weiter das Theater, in dem einst fast 8.000 Zuschauer Platz gefunden haben sollen. Und dann das Urnen- und das Etagengrab, ein ausgeklügeltes Trink- und Abwassersystem, erst kürzlich wieder freigelegte Pflastersteine aus römischer Zeit, über die man ehrfürchtig mit staubigen Schuhen schreitet. 40 Quadratkilometer umfasst Petra. Es würde Wochen dauern, diese Schätze zu besichtigen, die seit dem 3. Jahrtausend vor Christus entstanden sind.

Die Eindrücke von faszinierenden Städten auf dieser „Deutschland“-Reise durch die islamische Welt waren nur kurz. „Eine Tour der Appetithäppchen“, nennt es ein Passagier, „sie macht Lust darauf, sich manches später noch einmal ausgiebiger anzusehen“.

Suezkanal im Überblick

  • Länge: 171,25 km zwischen Mittelmeer und Rotem Meer

  • Erbauer: Ferdinand de Lesseps (1805 – 1894)

  • Bauzeit: April 1859 – November 1869 (erste Bauversuche schon 1290 v. Chr. Durch Ramses II.); Kontrolle der Kanalzone bis 1956 durch britische Truppen, danach durch Ägypten (trotz vertraglicher Nutzungsregelung bis 1968)

  • Feierliche Eröffnung: 17. November 1869 durch den Khediven Ismail Pascha mit Premiere der Verdi-Oper „Aida“; erstes Schiff: „L ´Aigle“ mit der französischen Kaiserin an Bord

  • Erdbewegungen: 75 Mio. Kubikmeter durch 25.000 Arbeiter

  • Baukosten: rund 20 Mio. Pfund Sterling

  • Seewegverkürzung: rund 56 %

  • Fahrtzeit: rund ein Tag unter Lotsenberatung (interessante Einblicke in Landschaft und Leben links und rechts des Wüstenkanals)

  • Transitkosten: z.B. für einen 100.000-Tonnen-Containerfrachter: 350.000 US-Dollar (Gebühren drittwichtigste Einnahmequelle Ägyptens); zeitlich und kostenmäßig günstiger als eine über 24-tägige Umrundung Umrundung Afrikas ab Hamburg

  • Konvois: Start zwei Mal täglich in Suez (Süden) bzw. Port Said (Norden) unter Nutzung von Ausweichstellen, u.a. im Großen Bittersee

  • Schiffsgrößenbegrenzung: voll abgeladene 150.000-Tonnen-Tanker (max. Tiefgang: 19 m)

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