Die Passionsspiele gehen auf ein Gelübde von 1633 zurück, mit dem die Einwohner die Pest bannen wollten. 1634 fanden die ersten Passionsspiele von Oberammergau statt, die seit 1680 im Zehnjahresrythmus stattfinden. Seitdem hält man in der Gemeinde am Gelübde fest. Größere Bekanntheit erlangten die Passionsfestspiele mit der Berichterstattung. Legendär ist der Brief des Kunsthistorikers und -sammlers Sulpiz Boisserée, der berichtete, wie er 1830 in Erwartung „widerwärtiger Eindrücke“ die „seltsame Wallfahrt“ nach Oberammergau antrat und dann voller Bewunderung wieder abreiste. Goethe, an den der Brief gerichtet war, veröffentlichte den Brief seines Freundes, der heute der Dramatik willen gerne als Vorlage für die Besprechungen der Laienfestspiele dienen. Neben den Berichten sind es auch zahlreiche Fotografien gewesen, die dazu beigetragen haben, dass die Spiele eine Strahlkraft gewonnen haben, die weit über die Grenzen Bayerns hinausreicht und Gäste von Japan bis Australien in den Ort lockt.
Eine Reihe Bilder aus den Pionierzeiten der Fotografie sind im großformatigen Band versammelt, der eine Auswahl der Fotosammlung Florian Lang vorstellt. Der Text stammt von Hans-Michael Koetzle, einem ausgewiesenen Kenner der Fotografie. Er schreibt eine spannende Einführung über die Anfänge der Fotografie in Oberammergau. Von Annette von Altenbockum stammt ein kurzer Aufsatz über die Geschichte der Passionsspiele. Unmotiviert hingegen erscheint mir ein am Ende des Bandes abgedrucktes Interview mit einer zeitgenössischen Fotografin.
Die von Koetzle erwähnte, 1871 von Ludwig II. in Auftrag gegebene Fotoserie der Passion, die erstmals alle Massenszenen und Lebenden Bilder zeigt, findet man im Buch leider vergeblich. Dafür sieht man eine spannende Auswahl aus der Fotosammlung der Familie Lang. Neben zahlreichen Theaterszenen und Abbildungen von Passionsdarstellern findet man Holzschnitzer, Trachtler, Gäste und Einheimische. Die Bilder der frühen Pioniere der Fotografie halten längst vergangene Zeiten lebendig, die einem in Oberammergau gar nicht so fern scheinen, da hier die Tradition und Geschichte im Spiel gelebt wird. Dieses Potpourri macht die Zeit vom Kaiserreich bis zur Weltwirtschaftskrise in Zeiten der Weimarer Republik erfahrbar. Die meisten Bilder zeigen inszenierte Szenen. Man sieht den Figuren eine gewisse Skepsis gegenüber dem modernen Medium der Fotografie an, wodurch sich ein ganz eigener Reiz ergibt. Viele Bilder stammen vom ersten festen Fotografen Oberammergaus, Korbinian Christa.
Aus theaterhistorischer Sicht von besonderem Interesse dürfte die erstmalige Abbildung noch unveröffentlichter, handkolorierter Ektachrome sein, die Spielszenen von 1900 und 1910 zeigen. Vergleicht man die Bilder der heutigen Inszenierung sieht man, dass die Passion ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. Die im Historismus beliebten farbig kostümierten Massenszenen sind bis heute bewahrt worden. Trotz aller Erneuerungen sind die Passionsspiele ein Paradebeispiel religiöser Laienkunst des 19. Jahrhunderts.
Wer an der Geschichte der Passionsspiele interessiert ist, dem sei dieser preisgünstige zweisprachige Bildband empfohlen.
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Oberammergau – Life & Passion – 1870-1922, hg. von Hans-Michael Koetzle, Text: Deutsch und Englisch, Hirmer Verlag, München 2010, 128 Seiten, 97 Abbildungen in Farbe und 13 in Schwarz-Weiß, 27,5 í— 34 cm, Broschur, € 24,00, ISBN 978-3-7774-2741-6