Kritiker hatten Judith Butler, selbst jüdischer Abstammung (was eigentlich auch schon eine rassistische Bemerkung wäre, würde es nicht in diesen Kontext eine Rolle spielen), sogar Antisemitismus unterstellt, weil sie die Politik des israelischen Staates kritisiert und unter bestimmten Umständen auch zum Boykott von Kontakten aufgerufen hatte. Die Debatte, hitzig begonnen, hatte bereits in den letzten beiden Wochen einen gemäßigteren Charakter angenommen. Butler selbst hatte repliziert, große Frankfurter Tageszeitungen fanden die Diskussion und die Argumentationen unangemessen und Micha Brumlik entlarvte die Argumentation in einer ausführlichen Replik in der Frankfurter Rundschau als gegenstandslos, wenn auch im Kontext emotional nachvollziehbar.
Zum Zeitpunkt der Verleihung selbst zeigte sich, dass die Zahl der Demonstranten (etwa zur Hälfte pro und kontra) sich ebenso in Grenzen hielt, wie die Zahl der freibleibenden Plätze in der Paulskirche – auch wenn die offiziellen Vertreter der jüdischen Organisationen wie angekündigt fehlten.
Ein wesentliches Argumentationsmuster der Kritiker dieser Verleihung war, man könne doch gerade einen Preis, der nach Th. W. Adorno benannt sei, nicht an eine solche Kritikerin Israels verleihen. Schon Brumlik hatte darauf hingewiesen, das Adorno weder Zionist war noch ein dezidiertes Verhältnis zum Israelischen Staat entwickelt hatte – eher habe er solche Entwicklungen mit der ihm eigenen Skepsis und Zurückhaltung verfolgt. Aber diese Reduktion auf „Adorno und Israel“ erwies sich im Verlauf der Preisverleihung sehr schnell als völliger Missgriff. Die Laudatorin Eva Geulen zeigte in ihrer Rede sehr wohl auf, wie Judith Butlar Fragen und Ansätze nicht nur Adornos sondern des Ansatzes der kritischen Theorie aufgegriffen und weiterentwickelt hat – nur Rezeption war gestern, produktive Aneignung ist Zukunft!
Dass dies nicht nur Lobhudelei einer bestellten Laudatorin war, bewies die Preisträgerin dann schlagend in ihrem Vortrag über Adornos so oft strapaziertem Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Wozu wurde dieser Satz nicht schon missbraucht. Butlar ging ihm nicht nur auf den Grund, sie bürstete ihn auch gegen den Strich: Geht es um ein „richtiges“ oder „gutes“ Leben, inwieweit ist dies abhängig von der gesellschaftlichen Konstellation, in der ich diese Frage aufwerfe? Und sie kommt auch zu der Vermutung, dass Adorno den Konflikt zwischen dem richtigen und dem falschen Leben eher als ein Problem der inneren Haltung, des inneren Widerstandes gegen sich selbst sieht, wohingegen Butlar durchaus die Konsequenz zieht, dass er sich nach außen, performativ äußert – ob in kleinen Gesten oder in kollektiven Aktionen. Genau dies hatten sich 1968 die Studenten wohl von Adorno erwartet.