Diesmal war ein Krimi dran, von Krystyna Kuhn, einer klugen Frau, die heute in Lohr am Main wohnt, und mit dem Hessischen verbandelt ist und ihren neuen Krimi TOTENKIND teilweise im vertrauten Frankfurt spielen läßt, teilweise am Ende der europäischen Welt im russischen Karelien. Dazu gleich. Zuerst einmal stellte Moderator Lothar Ruske die beiden Damen vor und ratterte die Karriere der bisherigen literarischen Krimigeschöpfe der Autorin Kuhn in bisher sechs Kriminalromanen so schnell herunter, daß außer, daß es ganz viele waren, die sich nun teilweise in TOTENKIND wiedertreffen, nicht viel hängen blieb, außer, daß wir das in den Goldmannbänden nicht so genau nachlesen können, weil die Autorin den Verlag gewechselt hatte. Aber, so hatte man den Eindruck, bei diesem weiblichen Personal, der Frankfurter Anthropologin Franka Friedland und der Frankfurter Staatsanwältin Myriam Singer und ihrem Lebensgefährten Kommissar Henri Liebler, bleibt sie sowieso und deren Zusammentreffen in TOTENKIND gab die Autorin als frühe Absicht aus.
Diese Autorin imponiert erst einmal, wenn man hört: „1960 als siebtes von acht Kindern in Würzburg geboren, studierte Slawistik, Germanistik und Kunstgeschichte, zeitweise in Moskau und Krakau. Sie arbeitete als Redakteurin und Herausgeberin und schrieb Gedichte sowie Kurzgeschichten. Krystyna Kuhn lebt mit Mann und Tochter im Spessart.“ Lothar Ruske holte dann mit höflichen, doch entschiedenen Nachfragen noch mehr aus der Autorin heraus, vor allem über ihre Jugendromane, die sie auch schreibt. Aber so richtig gesprächig wurde sie erst, als es um die Hintergründe ihres neuen Buches ging. Denn tatsächlich handelt es sich um echte Vorgänge, die in Pressemeldungen „Friedhof der Bräute“ auftauchten, allerdings an einem anderen Ort als dem, an dem sie jetzt mitten in Klostermauern diesen Friedhof wiederaufleben läßt. Unheimlich und spannend übrigens, denn wir haben das Buch gelesen.
Den literarischen, also fiktiven Ort fand sie durch eine Fernsehreportage von Spiegelreporter Klaus Bednarz über diese abgelegene Gegend, außerhalb der Menschheit denkt man und doch genau die Region, wo auch der Archipel Gulag des russischen Nobelpreisträger Solschenizyn spielt, denn nur unsere Phantasie raunt uns Sibirien vor, tatsächlich sind es die Solowetzkij-Inseln im russischen Teil Kareliens, also an Finnland angrenzend, dem 65. Grad nördlicher Breite und dem 35. östlicher Länge, mitten im Weißen Meer. Der Archipel Gulag übrigens ist eine Anspielung auf Anton Tschechows Buch „Die Insel Sachalin“, das Zwangsarbeit und Verbannung im Zarismus beschreibt, so wie Solschenizyn das kasernierte Lagerleben unter den Sowjets. Aber das ist nur unsere Assoziation, die Diskussion bleibt beim Buch und der Recherche dazu, was Krystyna Kuhn spannend hielt.
Auch Nina Petri hatte einen persönlichen Auftritt und sicher macht es die Atmosphäre in solch einem Kaffe leichter, daß solche Personenvorstellungen tatsächlich lebendig und angenehm bleiben. War nämlich durchaus witzig, was man da aus dem Mund der aus Fernsehen und Film sowie von vielen Hörbücher bekannten Schauspielerin und Sprecherin hörte. Mit fünf Jahren schon stand ihr Berufsbeschluß als Berufung fest: Schauspielerin. Überhaupt machte sie, die erst einmal durch vier Schauspielprüfungen durchfiel, ehe sie bei der 5. Schule angenommen wurde, einen sehr selbstbewußten und durchsetzungsfähigen Eindruck und gab sich mit der ihr zugeschriebenen Charakterisierung als : Spott und Freundlichkeit, Eiseskälte und Wärme als ambivalente Attribute durchaus zufrieden, decken die doch auch in der Wirklichkeit das Spektrum von Menschen ab und verhindern, daß sie in die passende Schauspielerschublade gesteckt wird, wobei sie wahr spricht: „Keine Schublade, ist auch schon wieder eine.“
Ein wahres Wort fand sie auch zu „Deutschland ist leider kein vielseitiges Filmland“ und geradezu frenetischen Beifall bekam sie für: „Das Fernsehen ist dermaßen verkommen”¦“, wobei wir gerne „Degeto“ hineingerufen hätten. Dann ging’s um Worms und die Aufführungen der Nibelungen im Sommer, die als Komödie manche verschreckten, ihr aber Spaß gemacht hatten und so könnten wir vom Gespräch mit Autorin und Vorleserin weitererzählen, aber die Lesung stand im Mittelpunkt, die jetzt begann und der wir folgen, um das Buch weiter vorzustellen. Nina Petri begann mit dem Anfang auf Seite 9 und in der Folge hatten wir ganz schöne Schwierigkeiten in unserem Buch der Lesung zu folgen, denn die Autorin hatte ihren eigenen Text gekürzt, sicher zur Straffung der Handlung, damit möglichst viel angerissen wird, nur einmal, da sind wir uns sicher, geschah es ad usum delphini, da nämlich, wo im nächsten Satz der Mann, der das darf, der Staatsanwältin an die Wäsche ging, konkret auf Seite 23 die Hand zwischen ihren Schenkeln hat.
Die Handlungskonstruktion konnte man gut überblicken. Das fängt also in Rußland an, mit einem feschen, leicht erfolglosen Inspektor aus Sankt Petersburg an, der Sascha Rebko heißt und der sich sofort in Franka, die erbetene Anthropologin verguckt, die ja eigentlich in Frankfurt”¦ja, das ist dort wie überall, lenkt hier auch nicht vom Krim ab, sondern führt eigentlich zu ihm hin, denn das Zusammenspiel von altem Kloster in Rußland, wo man mehr als zwanzig Frauenleichen findet und Frankfurt, was mit ins Spiel kommt, klappt ausgezeichnet.
Die Frau Staatsanwältin hat’s auch nicht leicht, aber das ahnten wir schon, denn das sind ja unsere täglichen Lebenserfahrungen, was einem blüht, wenn man als Frau glaubt, man dürfe sich um Wahrheiten kümmern wie ein Mann, was denen ja sogar oft auch verboten ist. Eigentlich ist das aber nur harmloses Geklingele, bis das Eigentliche passiert, was in der Konsequenz auch nur ganz langsam in Myriam Singer Platz greift: das kleine Mädchen, dem sie hilft und das bei ihr klingelt, läßt die Plastiktüte beim Nichtaufmachen auf ihrer Türmatte stehen und darin befindet sich ein weiblicher Schädel, aber auch der schriftliche Hinweis, sich des Mädchens anzunehmen. Damit ist die Spur gen Rußland gezogen und wird bis Seite 89 auch gelesen, aber wir überlassen jetzt alles andere bis Seite 352 Ihrem Lesen. Es lohnt sich.
Und wenn wir nur ein kleines Wort der Kritik oder doch besser der Enttäuschung äußern dürfen, dann wäre es, daß das eindrucksvoll als düsteres Bauwerk mit Kuppeln und Türmchen auf den Seiten 10 und 12 und 27 und 83 beschriebene Kloster nie kunsthistorisch gewürdigt wird. Das würden wir von einem Krimi nie erwarten, aber von einer Kunsthistorikerin immer.
Zur Buchmesse gibt es wieder den LITERATURBAHNHOF vom 14. bis 18. Oktober, mit einem tollen Programm. Am Sonntag, 18. Oktober liest mit Leon de Winter ein sehr bekannter Autor aus den Niederlanden. Und die bisher erschienen Vorläuferkrimis, die wir uns noch reinziehen werden, finden Sie auf den Verlags- und der Autorinseite.
http://www.randomhouse.de/goldmann/topics.jsp?men=1474&top=KRIMI