Nichts Neues aus dem Milieu – Volker Lösch inszeniert Wedekinds „Lulu“ mit Berliner Sexarbeiterinnen an der Schaubühne

Szene aus "Lulu - Die Nuttenfabrik" mit Sebastian Nakajew, Felix Römer und Chor-Mitgliedern.

Auch in seiner neuen Inszenierung ist Volker Lösch nach seinem bewährten Muster vorgegangen: Ein literarischer Text, in diesem Fall „Lulu“ von Frank Wedekind, ist ergänzt durch persönliche Aussagen einer Gruppe von Menschen, die als Chor auf der Bühne mit und neben den SchauspielerInnen des Stücks agieren.

Der Chor, das waren Arbeitslose und Geringverdienende in „Marat“, ehemalige Strafgefangene in „Berlin Alexanderplatz“, und in „Lulu – Die Nuttenrepublik“ sind es Sexarbeiterinnen aus unterschiedlichen Bereichen, von der Prostituierten bis zur Tantra-Masseurin, 16 reale Lulus unserer Zeit.

Dass auch Männer in der Sexarbeit tätig sind, wurde bei dieser Auswahl außer Acht gelassen. Die Angebote an käuflichem Sex für Frauen sind  minimal im Vergleich zu denen für Männer, aber zwei oder drei der real existierenden Callboys hätten den starren Chor vielleicht etwas auflockern können.

Auch bei Straftätern ist der weibliche Teil eine verschwindende Minderheit. Trotzdem waren bei „Berlin Alexanderplatz“ im Chor der ehemaligen Strafgefangenen neben 19 Männern auch zwei Frauen vertreten.

Anscheinend ging es Volker Lösch im Fall „Lulu“ jedoch darum, die Geschlechterproblematik deutlich zu machen wie sie in Wedekinds Stück zum Ausdruck kommt: Die sinnliche, unbekümmerte Lulu wird von Männern zur Ware degradiert und zu Grunde gerichtet.

Die Aussagen der Sexarbeiterinnen, auch im Programmheft nachzulesen, ergeben kein eindeutig negatives Bild ihrer Tätigkeitsfelder. Einige der Frauen sind, wie Lulu, aus Geldnot im Rotlichtmilieu gelandet. Andere dagegen fühlen sich zur Sexarbeit berufen. Ihr gemeinsames Anliegen ist die Forderung, respektiert zu werden, nicht nur von ihren Kunden, sondern von allen Menschen in unserer Gesellschaft.

So ganz passt das nicht zur Problematik von Wedekinds Lulu, wie in dieser Inszenierung eigentlich nichts zusammen passt. Alles scheint eilig zusammengepfuscht  ohne zueinander in Beziehung gesetzt zu sein.

Die Texte der Choristinnen und die Sprache von Frank Wedekind sind zwei Welten, die einander völlig fremd sind, dazu unterscheidet sich auch die Präsentation der Choristinnen deutlich von der Präsentation der SchauspielerInnen, sodass der Eindruck entsteht, zwei verschiedene Stücke zu sehen, die nichts miteinander zu tun haben.

Ohne Kenntnis von Wedekinds Schauspiel ist das, was bei Volker Lösch davon übrig geblieben ist, kaum verständlich. Bedauerlich ist der rigorose Zusammenschnitt auch für Laura Tratnik. Sie muss die Lulu im Schnelldurchlauf abspulen, beweist jedoch auch hierbei, dass sie die Rolle überzeugend hätte gestalten können. Laura Tratnik ist eine verzaubernde, verführerische Lulu, übermütig, voller Lust auf Abenteuer und Spaß. Die Tragödie der Lulu ist in der rasanten Inszenierung lediglich andeutungsweise skizziert.

In den Männerrollen erscheinen Sebastian Nakajew, Felix Römer, David Ruland und Nico Selbach, fast alle in Doppelbesetzungen und ohne die Möglichkeit, die unterschiedlichen Personen zu charakterisieren. Sie sind Lulus Hampelmänner und Peiniger, demonstrieren kraftvolle Männlichkeit, sind immer in Bewegung, energiegeladen, vergnügungssüchtig, und im Grunde allesamt Feiglinge.

Am Schluss sind sie alle Jack the Ripper und stellen stolz ihre Einmachgläser mit Lulus Innereiern an die Rampe.

In roten Hosen wirbelt Luise Wolfram über die Bühne, als Lulus Anbeterin, kopflos ihrer unglücklichen Liebe verfallen. Mehr wird hier über die tragische Figur der Gräfin Geschwitz nicht mitgeteilt.

Carola Reuthers Bühne ist nur ein schmaler Streifen mit einer Rückwand aus übereinander gestapelten weißen Kissen. Zwischen diesen Kissen sind Auftritte und Abgänge möglich, und am Ende fallen die Kissen aus ihren Aufhängungen und verwandeln die Bühne in ein riesiges Bett.

Diese Kissenwand ist eine wundervolle, verspielte Idee und passt hervorragend zu den schönen Kostümen von Cary Gayler, die alle Frauen mit eleganten langen Kleider mit weiten plissierten Röcken ausgestattet hat. Der optische Eindruck ist operettenhaft, entspricht der Inszenierung, die nicht mehr als amüsante Unterhaltung vermittelt und damit weniger, als von Volker Lösch zu erwarten war.

„Lulu – Die Nuttenrepublik“ nach Frank Wedekind mit Texten von Berliner Sexarbeiterinnen hatte am 11.12. Premiere an der Schaubühne. Weitere Vorstellungen: 20., 21. und 22.01.2011.

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