Das hat die Hauptstadtpresse noch nicht so richtig begriffen. Sie schreibt über Bayreuth, Salzburg, Bregenz, Wannsee. Aber die Leute aus der Gegend Ruppin, Uckermark und Prignitz amüsieren sich königlich, denn da ist in ihrer Heimat etwas los und die jungen Talente aus der Gegend, die Theater, Tanz, Bewegung machen wollen, können gar nicht alle engagiert werden – obwohl der Künstlerische Leiter Frank Matthus in der Besetzung großzügig sein kann. Die »Spielwiese« hätte Platz für zig Akteure. Nebenbei: Auch Berliner finden den Weg nach Netzeband, aber es ist selbst nach achtzehn Jahren noch immer ein Geheimtip, obwohl nur eine Autostunde entfernt.
Weil die menschliche Stimme in der Weite des Gutsparks nicht so weit trägt und bei Laienschauspielern nicht genügend geschult ist, hat Frank Matthus das Synchrontheater erfunden. Die Dialoge werden auf Tonspur vorproduziert und abgespielt. Die Darsteller bewegen sich nach dem Ton und spielen mit Masken unterschiedlicher Form – Halbmasken, übergroßen Köpfen und Stabmasken. Dies erlaubt oder fordert sogar eine überhöhte Gestik. Der Schauspieler darf hier »Figuggchen« machen, die im Schauspiel verpönt wären, die aber andererseits der Phantasie und der Spielfreude freien Lauf lassen, auch in der Sprachmelodie der vorproduzierten Aufnahme. Der Gestus der Figuren wird ausgestellt, woran Brecht seine Freude gehabt hätte.
Nach dem »Ring des Nibelungen« und dem »Wutbürger Faust« ist Shakespeare wieder dran. Um dessen 450. Geburtstag (2014) herum zelebriert Matthus eine Trilogie: im vergangenen Jahr »Sturm« – nach Netzebander Definition ein »politisch-philosophisches Phantasiestück vor einem märchenhaften Hintergrund« (noch Fragen?), im kommenden Jahr das Königsdrama »Richard III.« und aktuell die Komödie »Der Widerspenstigen Zähmung« (1593/94). Ein Aristokrat In Padua hat zwei heiratsfähige Töchter: die jüngere hübsch, charmant und von Freiern umschwärmt. Die Ältere, Katharina, zickig, rebellisch und nicht willens, sich einem Manne anzupassen. Da jede Heirat letztlich ein ökonomisches Problem ist, darf die Widerspenstige natürlich nicht sitzenbleiben. Und der kluge Vater entscheidet also, die Jüngere nur zu vergeben, wenn die Ältere einen Mann kriegt. Daraus entwickeln sich die in der klassischen Komödie typischen Täuschungen, Verwechslungen und Intrigen. Alle Darsteller dürfen ihrem Affen Zucker geben. Der Mann, der die Widerspenstige bändigt und ehelicht und damit der jüngeren Schwester zum Glück verhilft, ist der aristokratische Abenteurer Petruccio. Für eine opulente Mitgift tut der alles. Natürlich gibt es ein happy-end und die Gezähmte fühlt sich wohl dabei (Im Zeitalter des Feminismus ein starkes Stück, Herr Matthus).
In der landläufigen Komödie ist es umgekehrt. Die (Ehe-)Frau unterwirft mit List und Tücke den Mann und alle finden das sehr realistisch.
Was soll nun hier der »Nährwert« sein? Petruccio und seine Helfer führen die brutalen Methoden vor, mit denen er Katharina zähmt, dass es einen gruselt. Und im übrigen wird gespielt, gestikuliert, gerannt, getanzt – ein schöner Klamauk, der den Zuschauern sichtlich Spaß bereitet. Die Weite des Raums bietet alle Möglichkeiten für ein temporeiches Spiel. Da macht es den Akteuren nichts aus, dass, nachdem sich die Liebenden endlich gekriegt haben, noch ein Schluß und noch ein Schluß draufgesetzt wird. Ein wenig Rotstift hätte nichts geschadet.
Staunend vernimmt man, dass von 26 Darstellern nur vier professionelle Schauspieler sind: Alice Bauer (die jüngere Tochter), Tobias Fischer (ein Diener), Cornelia Jahr (der Freier Gremio) und Frank Matthus (Schaupieldirektor Plattus). »Mit dieser künstlerischen Ästhetik kann man Laien integrieren, ohne dass man merkt, dass es Laien sind«, sagt Matthus. »In Netzband im Sommer zu spielen, ist wie eine Droge«, meint der Securitymanager Lucas Wind, der die Hauptrolle des Petruccio spielt.
Das macht leicht vergessen, dass der Theatersommer Netzeband extrem unterfinanziert ist. Das Land Brandenburg, der Landkreis Ostprignitz-Ruppin und die Sparkasse Ostprignitz-Ruppin helfen jedes Jahr. Zu verdienen ist dabei nichts. Die meisten Mitwirkenden müssen sich mit dem Beifall des Publikums begnügen. »Das Theater wirkt größer durch das Engagement des Ensembles, aber die Decke ist kurz«, sagt Matthus. Dennoch zweifelt er nicht an der Zukunft des Unternehmens. In den nächsten Monaten übernimmt er von seinem Vater Siegfried Matthus die Leitung der Kammeroper Rheinsberg. In Netzeband inszenieren wird er dann nicht mehr, doch eine Portion Regie bleibt ihm im Vorstand des Fördervereins sicherlich erhalten. Er verspricht jedenfalls noch ehrgeizige Projekte. Wo sich das klassische Repertoire allmählich erschöpft, könnten doch Komödien von Peter Hacks, Rudi Strahl, Helmut Baierl, Heiner Müller, Volker Braun und anderen so manches »Aha« hervorlocken.
Nächste Vorstellungen am 8., 9., 15., 16., 22., 23., 29. und 30. August 2014, 20.30 Uhr.