Nicht schlimmer als die DDR – Daniel Koerfer hat viel Verständnis für »Hertha unter dem Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich.«

Sein Resumeé vorweg: Hertha hatte 1933 (ähnlich wie das Berliner Philharmonische Orchester) existenzielle Sorgen und brauchte die Gönnerschaft der Machthaber. Angesichts des »ersten deutschen Wirtschaftswunders«, der schnellen ökonomischen Erfolge Hitlers, dem »eine im Rückblick erstaunlich rasante Umgestaltung der politisch-sozialen Verhältnisse gelang« (Seite 271ff), fielen Hitlers Parolen von der Volksgemeinschaft »in diesem Club der einfachen Leute auf fruchtbaren Boden.« »Auch bei Herha BSC schwenkte die Führungsspitze ein auf den Kurs des Regimes. Nicht unter Zwang, auf äußeren Druck, sondern durchaus freiwillig, aus Überzeugung. Hitlers Erfolge waren unbestreitbar.« Bis 1939 sei die Vereinsgeschichte von einem Prozess der Anpassung gekennzeichnet, denn er war existenziell bedroht, das habe ihn gerettet. »Der Kurs der Anpassung erweist sich als Schlüssel für den Weiterbestand.« Die Vereinsspitze nahm laut Koerfer »ein Andocken an die Mächtigen sehr erfolgreich in Angriff, um endlich die Lage … nachhaltig zu stabilisieren. Das gelingt bekanntlich.« Verständnisvoll fährt Koerfer fort: »Sollte man dem ‚Führer‘ jetzt etwa nicht dankbar sein? Sollte man also 1939, im Jahre seines 50. Geburtstags, keine Elogen formulieren? … Warum sollte es den Verantwortlichen bei Hertha anders gehen als der Mehrheit der Deutschen?«

Der Terror ließ ja auch nach. Denn die SS konnte 53 von 59 KZ schließen und hielt 1937 nur noch 6.000 bis 10.000 Gefangene fest. 1939 waren in sechs Konzentrationslagern 21.400 Häftlinge gefangen. Koerfer: »Verglichen mit den vielen Hunderttausenden, die zur gleichen Zeit der stalinistischen Mordmaschinerie zum Opfer fielen, die in den GULag verschwanden oder nach dem Krieg von der sowjetischen Militäradministration in den als ‚Speziallager‘ weiterbenutzten KZ in der SBZ/DDR inhaftiert und malträtiert wurden, sind das erstaunlich niedrige Zahlen.« (Seite 122) »Die erste deutsche Diktatur war viel populärer als die zweite, die auf sowjetischen Bajonetten etabliert wurde und ohne diese Bajonette sofort in sich zusammenfallen sollte.« (Seite 274).

Doch trotz Rettung durch die Nazis und Dankbarkeit für Hitler: »Hertha war kein Naziklub.« Kronzeuge dieser Bewertung war der holländische Fußballer Abraham Leonardus Appel, der als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden war und 1943 bis 1945 bei Hertha spielte  – mit entsprechenden Vergünstigungen. In seiner Heimat wurde Appel als Kollaborateur verachtet und zehn Jahre lang aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen. Ein glaubhafter Zeuge!

Koefer lässt es sich angelegen sein, ausführlich das Schicksal von zwei Vereinsvorständen, aktiven Nazifunktionären, zu schildern, die von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet wurden. Einer wurde drei Jahre lang im NKWD-Speziallager Buchenwald interniert, der andere blieb verschollen. Dass die Internierung von Naziaktivisten auf einem gemeinsamen Beschluss der Alliierten beruhte und von allen Besatzungsmächten vollzogen wurde, ist dem Historiker keine Erwähnung wert. In Koerfers Interpretation ist die Internierung »KZ-Haft« und die Behandlung der Nazis mit der Verfolgung des jüdischen Mannschaftsarztes Dr. med. Hermann Horwitz, der 1943 nach Auschwitz deportiert wurde und »verschollen« blieb, gleichzusetzen. Auch dies ist Koerfer Anlass zur Gleichsetzung des »braunen« und des »roten Unrechtsstaats«, des »Rassen- und des Klassenhasses«, wobei die Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht einschließlich Enteignungen bis zum Mai 1949 kurzerhand der »zweiten deutschen Diktatur« zugerechnet werden.

Sehr bald nach dem Machtantritt der Nazipartei leitete die Vereinsspitze, in der überzeugte Nazis saßen, die Unterordnung unter das Naziregime ein, zum Beispiel durch satzungsgemäßen Ausschluß der Juden, die Entlassung des Arztes Hermann Horwitz, durch Einführung der Führerprinzips und des Hitlergrusses im Stadion. An Peinlichkeit nicht zu übertreffen war die eilfertige Errichtung eines Ehrenmals für die im ersten Weltkrieg gefallenen Herthianer als Beitrag zu Hitlers »Heldengedenktag« 1937, was mit der Übereignung der Sportstätten durch das preussische Finanzministerium belohnt wurde. Ohne Zögern diente sich Hertha für ein Spiel gegen den FC Bratislava im Auftrag des Auswärtigen Amtes im Oktober 1940 an. Dort leisteten die Spieler den ominösen »Schwur von Preßburg«. War er so kompromittierend, dass er im Buch nicht zitiert werden konnte?

Der Autor wird nicht müde zu betonen, dass die wirtschafts-, sozial- und außenpolitischen Erfolge Hitlers eine »breite Welle der Zustimmung zur Hitlerdiktatur rasch ansteigen« ließen. Auch Hertha hatte sich früh in den Propagandadienst des Regimes gestellt. Denn viele Sportler »schwenkten rasch und voller Enthusiasmus auf die neue Linie (ein). Damit einher ging die Bereitschaft, über die früh sichtbaren düsteren Seiten des Regimes hinwegzusehen oder sie sogar als notwendige Begleiterscheinungen eines unabdingbaren Wandlungsprozesses zu rechtfertigen« (Seite 26). Koerfers Suche nach Anzeichen von Opposition oder Widerstand kommt über Beispiele von Verzögerungstaktik nicht hinaus. Vieles war »erzwungen«, wie die Aufnahme des Arierparagraphen in die Satzung. Über Meinungen und Stimmungen von aktiven Spielern wird nichts berichtet.

Koerfer beklagt Schicksal des Arztes Dr. Horwitz, der in Auschwitz ermordet wurde. Wo aber der Leser erfahren möchte, ob der Verein mit Horwitz Solidarität übte oder es wenigstens versuchte, schwafelt der Autor wortreich am Thema vorbei.

Hingegen quillt der Bericht von Mitleid über mit dem Fußballstar »Hanne« Sobek, der sich für seine Karriere als Rundfunkreporter in die Nazipartei »zwingen« ließ und so vom Fronteinsatz befreit wurde. Kein Thema, dass Sobek mit seiner internationalen Popularität ein Beispiel wie Werner Seelenbinder hätte geben oder wie andere Intellektuelle und Journalisten Deutschland hätte verlassen können. »Zivilcourage war selten in jener Zeit, Opportunismus auch damals weit verbreitet«.

Und wie erging es den Fußballern, Proleten aus dem Arbeiterbezirk Wedding?

Ohne Frage spielen sie aus Begeisterung für sich und ihre Fans. Jedoch sie hatten auch eine Rolle zu spielen. Der Fußball als Ablenkungsdroge war kriegswichtig, weil er Normalität vorspiegelte und Alltag vorgaukelte. »Die Bedeutung des Fußballs als Beruhigungspille…muss man hoch veranschlagen. Fußball bot … die Chance zur Verdrängung des Krieges und der Diktatur« (Seite 270). Je schlimmer der Krieg wurde, desto mehr suchten die Menschen Ablenkung, auch an der Front über das Radio. »Krieg und Front machten kurz Pause.« Stabilisierung des Systems und Durchhalten waren die Funktionen des Fußballs und des Klubs. Wie aber Koerfer zu dem Schluß kommt: »das Dritte Reich hatte auf dem Rasen … nichts zu suchen«, bleibt sein Geheimnis. Die einfachen Fußballer spielen sowohl im Klub als auch in dem Buch nur eine Statistenrolle. Ihr Denken und Fühlen werden nicht hinterfragt, geschweige denn dokumentiert. Sie figurieren als Adressaten von wöchentlichen Briefen an die Front oder als »Autoren« von fiktiven Briefen »der Front an die Heimat.« Koerfer lässt offen, ob es je einen Protest gegen diese primitive Nazipropaganda gab, die der wirklichen Lage an den Fronten Hohn sprach.

Antworten auch auf weitere Fragen sind zu vermissen:

Das Schicksal des Mannschaftsarztes Horwitz nannte ich bereits. Weiter unklar die Beziehungen des Klubs zu den SS-Führern Franz Breithaupt, Mitglied des Freislerschen Volksgerichtshofs, und Paul Moder, Kommandeur im Warschauer Ghetto – beide erwiesene Mörder. Welche Rolle spielten sie in den Verhandlungen zur Übertragung des Eigentums an den Sportplätzen in Gesundbrunnen und Rosenthal, was die finanziellen Probleme des Klubs mit einem Schlage löste? Koerfer beruft sich auf vernichtete Akten. Stattdessen ergeht sich der Autor im Kleinreden der Verantwortung der Funktionäre, Verharmlosung und Weißwäscherei. Beispiele ließen sich dutzendfach nennen. Auch er bedient das Klischeé böse SS – gute Wehrmacht. »Beweis«: nur wenige Klubmitglieder waren in der SS. Nicht von ungefähr bestreitet Koerfer Daniel Goldhagens These von den gewöhnlichen Deutschen als Hitlers willigen Vollstreckern.

Das vorliegende Auftragswerk mündet in der Legende »braune Hülle, blauer Kern« oder auch: »Loyalität gegenüber dem Regime und enge kameradschaftliche Solidarität.« Die wissenschaftliche Beweisführung für seine Hüllentheorie bleibt der Autor schuldig.

1945 verboten die Alliierten Fußballmannschaften, damit sich kampffähige junge Männer nicht als Werwolf organisieren konnten. Die Herthaner wussten den Kalten Krieg zu nutzen, um den Klub 1950 neu zu gründen.

Der Autor läßt keine Gelegenheit aus, »Gemeinsamkeiten« von NSDAP und SED, von Nazistaat und DDR zu konstruieren. So sinkt das Buch auf das Niveau einer antikommunistischen Kampfschrift herab.

Zu Daniel Koerfers wissenschaftlicher Methodik ist anzumerken, dass sich in seinem Literaturverzeichnis kein einziger Faschismusforscher der DDR findet, etwa Kurt Pätzold und Manfred Weissbecker mit der Geschichte der NSDAP oder Pätzolds Hitlerbiographie oder das Werk »Europa unterm Hakenkreuz«. Potsdamer Abkommen und Nürnberger Prozesse scheinen nicht relevant zu sein.

Daniel Koerfer, Hertha unter dem Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2009, 288 Seiten, 19,90 Euro.

Anmerkung:

Dieser Artikel von Sigurd Schulze wurde erstveröffentlicht in der Zeitschrift »Ossietzky« 12/2009.

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