Aue-Bad Schlema, Deutschland (Weltexpress). In Aue jagten die „Veilchen“ das Abstiegsgespenst aus dem Lößnitztal. „Die Macht aus dem Schacht“, wie Kjel Riedel schrieb, waberte immer noch unter der Grasnarbe im Erzgebirgsstadion.
Leider blühen auch dort nicht bei jedem Spiel die Veilchen. So zertrampelte Paderborn am 36. Spieltag mit einem 8:3-Sieg ganz schön die Beete der Veilchen-Züchter. Trainer Dirk Schuster ist die Klatsche derart auf den Magen geschlagen, dass er sich krank meldete. Die Kicker vom FC Erzgebirge Aue schauen dennoch beruhigt ins Tal der Abstiegskandidaten. Abstieg! Das Wort geht den Profis und in dieser Saison nichts mehr an. Die Mannschaft in den Trikots mit der leuchtenden Veilchen-Farbe bleibt in der 2. Fußball-Bundesliga.
Die Oldies unter den Auer-Fans erinnern an 2008, als die Erzgebirgler damals Paderborn mit einer 0:6-Klatsche nach Hause schickten. Vielleicht nach 13 Jahren eine Revanche.
Präsident Helge Leonhardt (62) kommentiert die Lage der Auer als Realist: „Für die Leistung gegen Paderborn kann ich mich bei unseren Fans nur entschuldigen. Alles andere werden wir intern klären. Es bleibt aber dabei, trotzdem ist und bleibt die 2. Liga ist unsere Champions-League.“
In der Tat nötigen die Sachsen aus dem rauen Erzgebirge, den Fußball-Fans zumindest im deutschen Osten Respekt ab. Schließlich leben in der Stadt Aue-Bad Schlema gerade einmal 20.000 Einwohner.
Am 24. Spieltag dieser Saison bestritt der FC Erzgebirge gegen Hannover 96 (1:1) immerhin sein 500. Zweitliga-Spiel. Viele solcher Begegnungen können noch folgen, denn der Abstieg ist, wie gesagt, gebannt und damit auch die Angst vor einem „Gesetz“ der Serie. Zweimal schon senkte sich nämlich der Daumen für die Erzgebirgler jeweils nach fünf Jahren in der Zweitklassigkeit. 2003 hangelte sich die Auer in die zweite Liga. 2008 ging der Fahrstuhl gemeinsam mit Paderborn nach unten. Zwei Jahre später wieder Halt in der zweiten Etage. 2015 wieder Sturz in die Drittklassigkeit, um ein Jahr später wieder in der alten zweithöchsten Umgebung zu landen. Die Hürde ist diesmal übersprungen.
Der FC Erzgebirge kickt in der kommenden Saison das sechste Jahr in Folge in der zweithöchsten deutschen Fußball-Klasse mit. Aue, ein echter Dinosaurier unter den Ostklubs. Wobei Präsident Leonhardt durchaus weiß, wie schwer es wird, auch im nächsten Jahr die Klasse zu halten: „Gerade die kleineren Vereine trifft der Zuschauer-Ausschluss in der Pandemie wirtschaftlich besonders hart.“
Trainer Dirk Schuster freut sich dennoch: „Ich bin stolz, dass wir weiter in der zweiten Liga spielen“, fügt dann aber noch hinzu: „Ich wünsche mir auch andere Ostvereine an unserer Seite.“ Vielleicht können die 9.134 Vereinsmitglieder des FC Erzgebirge in der neuen Saison die Tribünen in einem der schönsten Stadien Deutschlands wieder bevölkern und als Gegner auch die Bekannten aus früheren Zeiten wie Hansa Rostock und Dynamo Dresden begrüßen.
Es ist schon ein bisschen Schade, dass die Flut an Jubiläen bei den Erben der BSG/FC Wismut Aue nur individuell gefeiert werden konnten. So gründeten Männer wie Heinz Glaser oder Armin Günter vor 75 Jahren im März 1946 die SG Aue. Vor 70 Jahren stieg Aue, damals Pneumatik, in die DDR-Oberliga auf. 39 Jahre spielten Männer um Bringfried Müller, Heinz Satrapa, Manfred Kaiser, Willi Tröger und die damals populären Brüder Karl und Siegfried Wolf sowie die Söhne oder Enkel der Gründer-Generation in der DDR-Oberliga. So lange wie keine andere Mannschaft. Erst nach dem Mauerfall stiegen die Wismut-Männer zum ersten Mal aus der einstigen DDR-Oberliga ab.
Journalisten schrieben 1951 beim Oberliga-Aufstieg von einem „buntzusammengewürfelten Haufen“. Die Spieler kamen aus Bernsbach, Gera, Cainsdorf oder eben Aue. Also aus einem Umkreis von etwa 70 Kilometern. Wie sich doch die Zeiten ändern.
Heute trägt Torjäger Dmitri Nasarov aus Aserbaidschan das lila Trikot des FCE und muss über 4000 km in seine Heimat jetten. Wismut Aue stieg als dreimaliger DDR-Meister vor 64 Jahren als erste DDR-Mannschaft in den Pokal der Landesmeister ein. Gegner war Gwardia Warschau. 1:3 in Warschau, 3:1 in Aue. Entscheidungsspiel auf halbem Wege für beide Teams. Man einigte sich auf den Berliner „Jahn-Sportpark“. Schon damals – wegen der Gerechtigkeit – ohne Zuschauer. Die Partie endete 1:1. Verlängerung. Die Nacht brach herein. Nach zehn Minuten pfiff der tschechische Schiedsrichter Jan Korelus wegen Dunkelheit ab. Es wurde mit einem Geldstück gelost. Zahl für Gwardia, Wappen für Wismut. Zweimal kullerte das Geldstück nach dem Wurf vom Tisch. Erst im dritten Versuch klappte es. Aue kam weiter und verlor im Viertelfinale gegen Ajax Amsterdam 0:1 und 1:3.
Als in der Saison 1987/88 die DDR-Teams reihenweise in der ersten Runde der europäischen Wettbewerbe ausschieden, kam nur Aue eine Runde weiter. Erinnerungen die jetzt hoffentlich bald wieder vor einem vollen Erzgebirgsstadion mit 16.000 Zuschauern und spannenden Spielen in der 2. Bundesliga fortgeschrieben werden können.