Napoleons Kanonen

Isaac Jitzchak Herzog. Quelle: Wikipedia, gemeinfrei, from US Department of State

Tel Aviv, Israel (Weltexpress). Napoleon kam in eine deutsche Stadt und wurde nicht mit der traditionellen Artilleriesalven begrüßt.

Wütend zitierte er den Major zu sich und verlangte eine Erklärung.

Der Deutsche produzierte eine lange Papierrolle und sagte: „Ich habe eine Liste von 99 Gründen. Grund 1: Wir haben keine Kanonen“.

„Das ist genug!“, unterbrach ihn Napoleon: „Sie können nach Hause gehen!“

Ich erinnerte mich an diese Geschichte vor zwei Wochen, als ich Jitzhaq Herzogs 10-Punkte—Friedensplan las.

Herzog, der Führer der Labour-Partei, ist eine ehrenhafte und intelligente Person. Alle die über ihn schlimme Dinge geschrieben haben, als es schien, er würde zu Netanjahus Koalition kriechen, sind durch die kürzliche Enthüllung der Aqaba-Friedensinitiative widerlegt worden.

Die Herrscher von Ägypten, Jordanien und Israel hatten sich im Geheimen getroffen und baten Herzog, sich der Koalition von Netanjahu anzuschließen, um den Frieden möglich zu machen. Herzog wurde von Netanjahu getäuscht und stimmte zu. Er verhielt sich auch unter dem Sturm von verächtlichen Reaktionen still. Das zeigt, dass er anständig und verantwortlich war.

Zweifellos könnte er ein guter Ministerpräsident für Irland sein, wo sein Großvater Oberrabbiner gewesen war oder sogar in der Schweiz. Aber nicht in Israel.

Israel benötigt jetzt einen starken Führer, mit viel Charisma und einem tiefen Verständnis für den historischen Konflikt. Nicht einen Herzog.

Kommen wir zurück zu Napoleon.

Vor zwei Wochen veröffentlichte Herzog stolz seinen Friedensplan, der aus 10 Punkten bestand.

Punkt 1 ist eine obligate Wiederholung des zwei-Staaten-Prinzips. Es ist Punkt zwei, der der Knackpunkt der Sache ist. Er sagt, dass die Verhandlungen für Frieden erst in zehn Jahren beginnen werden.

Hier ist es, wo Napoleon gesagt haben würde: „Das ist genug, gehen Sie nach Hause!“

Die Idee, dass Friedensverhandlungen zehn Jahre lang aufgeschoben werden können ist absurd. Ein Volk unter einer brutalen Besatzung wird nicht zehn Jahre lang still sitzen. Während dieser Zeit verpflichtet der Plan die Palästinenser (Punkt 6) gegen „Terrorismus und Volksverhetzung“ zu handeln. Keine Erwähnung von Israels Gewalt und Volksverhetzung.

Nach zehn Jahren wird unter der Bedingung, dass während dieser Jahre keine Gewalt in der Region ausgeübt wird, würden Verhandlungen anfangen.

In unserer Region sind 10 Jahre eine Ewigkeit. Mehrere Kriege wüten gerade jetzt in der Region. Da die Besatzung weitergeht, kann jeden Moment eine Intifada in Palästina ausbrechen

Während dieser 10 Jahre wird der jüdische Siedlungsbau in den besetzten Gebieten lustig weitergehen. Aber nur in den „Siedlungsblöcken“. Diese imaginären Blöcke sind niemals definiert worden und Herzog definiert sie auch nicht. Es gibt keine Landkarten dieser Blöcke. Es gibt auch kein Abkommen über die Zahl dieser Blöcke und ganz sicherlich auch keine über ihre Grenzen.

Für einen Araber sind „Siedlungsblöcke“ nur ein Kunstgriff, weiter Siedlungen zu bauen, während man vorgibt keine zu bauen. Wie ein Araber gesagt hat: „Wir verhandeln über eine Pizza und in der Zwischenzeit esst ihr die Pizza auf“:

Da gibt es Behauptungen, dass das ganze Gebiet östlich von Jerusalem zu einem Siedlungsblock gehört und bald von Israel annektiert werden soll. Dies würde den zukünftigen Staat Palästina fast in zwei Teile schneiden mit nur wenigen Kilometern Wüste bei Jericho, die sie miteinander verbinden.

Ah Jerusalem! Dies gibt es nicht in Herzogs Plan. Das mag komisch erscheinen, aber ist es nicht. Es bedeutet, dass der Herzog-Plan sich keine Veränderung mit dem Status „Vereinigtes Jerusalem, die ewige Hauptstadt Israels”, vorstellen kann.

Hier kommt Napoleon noch einmal. Ein Plan, der keine Lösung für Jerusalem einschließt, ist eine Stadt ohne Kanonen.

Jeder, der selbst die leiseste Ahnung von arabischer und muslimischer Sensibilität hat, weiß, dass kein Araber und Muslim in der Welt damit einverstanden sein wird, einen Frieden zu machen, in dem Ost-Jerusalem und das Heiligtum in nicht-muslimischen Händen sein werden. Es kann verschiedene Lösungen für Jerusalem geben – Teilung, Gemeinsame Herrschaft und andere – aber ein Plan, der keinen Vorschlag für eine Lösung hat, ist wertlos. Die zeigt eine miserable Ignoranz der arabischen Welt.

Was erscheint auf seinem Plan auch nicht? Die Flüchtlinge.

Im 1948er-Krieg floh mehr als die Hälfte des palästinensischen Volkes oder wurde vertrieben. In einem kürzlichen Artikel habe ich versucht, zu beschreiben, was tatsächlich geschah. Viele dieser Flüchtlinge und deren Nachkommen leben jetzt in der Westbank und im Gaza-Streifen. Viele andere leben in den benachbarten arabischen Staaten und in aller Welt.

Kein Araber kann ein Friedensabkommen unterzeichnen, das nicht wenigstens eine symbolische Lösung bietet.

Bis jetzt ist man mehr oder weniger still überein gekommen, dass es zu einer „gerechten und übereingekommenen Lösung” kommen muss – ich vermute – z.B. die Rückkehr einer begrenzten Anzahl, und eine großzügige Entschädigung, um die Ansiedlung von allen anderen außerhalb von Israel zu finanzieren.

Aber für viele Israelis würde die Rückkehr eines einzigen Flüchtlings eine tödliche Gefahr für Israel als einem „jüdischen und demokratischen“ Staat bedeuten.

Das Problem überhaupt nicht erwähnen – außer einem nebulösen „Kernproblem“ – ist wohl unklug.

Da gibt es noch ein anderes Problem, das nicht erwähnt wurde.

Der Plan verlangt Einigkeit unter den Palästinensern in der Westbank und Gaza als eine Bedingung für den Frieden. Gut. Aber betrifft uns das?

Aber sicher tut es dies.

Im Oslo-Abkommen verpflichtete sich Israel vier „sichere Passagen“ zwischen der Westbank und dem Gazastreifen zu öffnen, eine Strecke von etwa 40 km durch israelisches Gebiet. Es ließ den Charakter dieser Passagen offen – exterritoriale Straßen, eine Eisenbahn-Linie oder was auch immer. Tatsächlich wurde nie eine Passage eröffnet, auch wenn Straßenschilder schon gesetzt waren, die später wieder weggenommen wurden. Dies war und ist ein flagranter Bruch des Abkommens.

Das unvermeidbare Ergebnis (siehe Pakistan) ist das Auseinander-brechen von zwei Entitäten: Die Westbank unter der PLO und dem Gazastreifen unter der Hamas. Die israelische Regierung scheint mit dieser Situation glücklich zu sein.

Wiedervereinigung verlangt die Öffnung der Passagen. Kein Wort darüber in Herzogs Plan

Alles zusammen, der Plan sieht wie ein Schweizer Käse aus: mehr Löcher als Substanz.

Ich habe in meinem Leben an der Formulierung von sehr vielen Friedensplänen teilgenommen. Im September 1958 veröffentlichten ich und meine Freunde das „Hebräische Manifest“, ein Dokument von 82 Punkten, einschließlich eines umfassenden Friedensplanes. So kann ich behaupten, eine Art Experte beim Friedensplan-machen zu sein (was sich leider vom Frieden-machen unterscheidet

Herzogs Plan hat nichts mit Frieden-machen zu tun. Es wird nicht beabsichtigt, arabische Herzen zu gewinnen. Es ist eine marode verbale Angelegenheit, dafür bestimmt, jüdisch israelische Wähler anzusprechen.

Allen intelligenten Israelis ist jetzt klar, dass wir vor einer schicksalhaften Wahl stehen: entweder zwei Staaten oder ein Apartheid-Staat oder ein einziger Staat mit arabischer Mehrheit. Die meisten Israelis wünschen keinen von diesen drei.

Jeder der Israel zu führen wünscht, muss eine Lösung bieten. Das ist also Herzogs Lösung. Sie ist alleine für jüdisch-israelische Augen bestimmt. Araber sind nicht angesprochen.

Als solcher ist er nicht besser oder schlechter als viele andere ”Friedenspläne“.

Es ist nur noch eine weitere Übung in Vergeblichkeit.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Uri Avnery wurde ins Deutsche von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Unter www.uri-avnery.de erfolgte am 06.03.2017 die Erstveröffentlichung. Alle Rechte beim Autor.

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