Meistens saß ich damals in einem Jumbo Jet, fühle sich jedoch wie auf einem Massenfrachter. Eine Sitzreihe hatte 16 Sitzplätze. Es gibt Züge, die kürzer sind. Beim Gedanken an einen Absturz kam mir dann immer ein recht ökologisches Wort in den Sinn: Massensterben. Die Flugrouten von Zürich, aber auch anderen Städten wurden damals immer wieder umgeleitet. Zuerst ging es los in Afghanistan, dann wurde Pakistan etwas nervöser, Iran verdächtig; am Ende blieb nur die einzige konsequente Lösung, nämlich den russischen Bären zu fragen, ob man nicht doch über seinem Reich fliegen dürfe. So schnell ändern sich die Zeiten. Früher schossen die Russen südkoreanische Boeings ab, plötzlich durfte man gemütlich auf die herrliche sibirische Tundra runter blicken.
Heute geht es per Air Berlin. Das Flugzeug macht einen guten Eindruck. Es ist komisch, aber ich vertraue mehr auf Schiffe und Flugzeuge, denn auf Autos. Züge liegen irgendwo dazwischen, je nach Land. Man kann zum Beispiel bei der schweizerischen SBB in einem Wagon sitzen, wo das „Pssst!“-Zeichen drauf steht. Handys, Laptops, ja lautere Gespräche sind hier „ungern gesehen“, eigentlich strickt verboten. Es ist herrlich: Selbst ein Zen-Meister würde damit äußerst zufrieden sein. Dann gibt es den deutschen ICE, da fragt man sich, geht heute die Toilettentür wieder nicht auf oder gar eine Achse zu Bruch? Man kann auch beispielweise in Polen einen Zug nehmen, der für 250km 6 Stunden braucht und eigentlich in Museum stehen müsste. Oder von Moskau nach St. Petersburg fahren, im Winter. Draußen minus 34 °, drinnen greift man zum Vodka-Glass. Gehen den Sitz- und Schlafnachbarn die Flaschen aus, machen sie sich auf den Weg zum Schaffner. Gewiss, etwas feilschen muss man schon, aber im Januar dieses Jahres ging noch eine Flasche des „Flugzeugsprites“ für 55 Rubel über den Tisch.
Wie wird das heute sein, frage ich mich?
Air Berlin trägt einen Hauch der Hauptstadt in sich. Man kennt doch diese alte Auto-Werbung: Ein Mann um die vierzig steigt irgendwo in einer Wüstenstadt aus dem Flieger aus, geht an Kamelentreibern, Basar-Händlern und anderen lauten Gestallten vorbei, findet irgendwann seinen Wagen, steigt ein, macht die Tür zu und dann kommt die perfekte Stille. Der eingeblendete und äußerst kurze Satz sagt dennoch genug: Endlich zu Hause.
So auch in der Maschine. Es ist ruhig, sauber, kammerall müsste man schon fast sagen. Angeblich sollen die „Beinplätze“ nicht mehr das sein, was sie früher mal waren, aber bei meinen 184 Zentimetern Körpergröße komme ich damit immer noch zurecht. Ich erwische sogar einen Sitz am Fenster, direkt an der Tragfläche. Herrlich, wie die Dinge dann auf „35.000 feet“ zu wackeln beginnen. Ist es ein Flugzeug oder doch ein übergroßer Schwann? Man versorgt uns mit Abendessen, Wein und sonstigen Leckereien, man ist freundlich. Bei mir sind es immer eine Frau und ein Mann. Sie erledigen ihren Job so professionell, dass ich mich schon fast, wie unter alten Bekannten fühle. Hier und da muss es zu einem Small Talk kommen.
Das Flugzeug fliegt gen Osten und verschwindet in der dunklen Schwärze der Nacht. Die Lichter gehen aus, die meisten Passagiere schlafen.
Sterne sind da. In der Nacht ist in einem Flieger das Gefühl näher, beinahe da draußen zu sein, im All. Meinetwegen könnte es auch zur ISS-Raumstation gehen, nicht nur nach Bangkok. Auch unten, in der tiefen Dunkelheit der russischen Steppe und später, auf dem indischen Subkontinent fackeln immer wieder keine Lichtpunkte. Eigentlich machen sie den Eindruck, als seien sie Lagerfeuer der Nomaden. Nahm womöglich Antoine de Saint-Exupéry genau solche Augenblicke wahr? Aber es sind Städte, bloß etwas weiter auseinander zerstreut, als bei uns.
So gegen zwei Uhr nachts kommt uns langsam der asiatische Morgen entgegen. Am Horizont erscheint der Himalaya; mächtige Rücken ziehen sich fast ins Unendliche hin. Man merkt seine Größe, die Spitzen der Gipfel scheinen auf unserer Höhe zu sein. Tja, das müssten tatsächlich um die 8.000 Meter sein. Ich bestelle außerplanmäßig einen Kaffee. Himalaya im Auge, mache ich es mir etwas bequemer und schau auf die schlafenden Nachbarn. Wenn sie wüssten, was ihnen gerade entgeht …
Als sich das Leben in der Maschine zu recken anfängt, falle ich in einen kurzen aber sanften Schlaf. Auch ein Flug kann Wunder wirken, zumindest jedoch recht entspannt verlaufen. Man muss nur die richtige Fluglinie wählen und paar gute Bücher in der Vergangenheit gelesen haben. Hoffentlich wird der Rückflug auch über die Nacht gehen, denk ich noch, bevor ich aus dem Flieger aussteige.