Berlin, BRD (Weltexpress). Bei der es um die Neuaufteilung der Welt ging. In der eroberten Kolonie befahl der „Duce“ eine „Politik des Terrors und der Vernichtung“ , der insgesamt 750.000 Menschen zum Opfer fielen.
Mussolinis Überfall auf Äthiopien im Oktober 1935 war eine Aggression im Vorfeld des kommenden neuen Weltkrieges.1 Palmiro Togliatti sprach auf dem VII. Weltkongress der Komintern vom „Hineinschlittern in einen neuen Weltkrieg“. 2 Der britische Historiker Eric Hobsbawm schrieb von der Furcht, dass Europa „der Katastrophe entgegenschlitterte“, man wusste, dass ein zweiter Weltkrieg bevorstand“.3 Mit dem Überfall wollte der italienische Imperialismus, der ähnlich wie der deutsche, bei der Aufteilung der Welt zu spät gekommen war, zunächst sein ostafrikanisches Kolonialreich vollenden, um dann „die Kolonialkarte Afrikas zu ändern, um damit die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen“.4 Italien wollte gleichzeitig seine Position gegenüber Deutschland stärken, das im Ersten Weltkrieg seine Afrika-Kolonien verloren hatte und eine starke koloniale Fraktion ihre Rückgabe bereits unmittelbar nach Hitlers Machtantritt von den Westmächten forderte. Der „Duce“, der über ein Jahrzehnt vor Hitler an die Macht gekommen war und eine Vorreiterrolle für faschistische Regime in Europa, besonders für Deutschland gespielt hatte, hielt weiterhin an seiner führenden Position fest und wandte sich gegen die von Hitler verfolgten Vorherrschaftsansprüche. Als dieser nach der Ermordung Von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß in Österreich einmarschieren wollte, hatte er Österreich Unterstützung zugesagt, vier Divisionen an die Brennergrenze geschickt und das zur Sicherung seiner Ansprüche auf den Balkan verhindert. Hitler zahlte ihm das beim Überfall auf Äthiopien heim und schickte Waffen an Kaiser Selassiè. 5 Nach einem AngebotMussolinis vom 6. Januar 1936 wurden die Meinungsverschiedenheiten über die Österreichfrage beigelegt.Am 6. November 1937 trat Italien dem Antikominternpakt bei.
Nach der Unterstützung für Österreich versuchte Frankreich, Italien, den Verbündeten des Ersten Weltkrieges, für eine antideutsche Allianz zu gewinnen. Rom hatte von Anfang an nicht die Absicht, sich dem anzuschließen, nährte aber die Hoffnungen eine Weile, um sie für die Anerkennung seiner Expansionsabsichten in Afrika zu nutzen.
Paris gab Carte blanche
Trotz offen verkündeter Expansionsziele ließen Großbritannien und Frankreich Mussolini deshalb freie Hand. Am 7. Januar 1935 vereinbarte der französische Außenministers Pierre Laval in Rom mit dem „Duce“ in einem Geheimvertrag die Unterstützung der französischen Politik im Mittelmeer durch Italien, während Frankreich „freie Hand“ für Äthiopien gewährte. London, das um seine angrenzenden Kolonien Kenia und Uganda sowie den anglo-ägyptischen Sudan fürchtete, versicherte Mussolini, dass „seine Interessen in Ostafrika nicht beeinträchtigt würden“. 6
Antisowjetische Stoßrichtung
Wie gegenüber Deutschland wurde die britische Position auch zu Italien von der antisowjetischen Stoßrichtung bestimmt. Die Konservativen hatten Mussolini schon nach seinem Machtantritt unverhohlene Sympathien dafür bekundet, dass er das Land vor dem „Bolschewismus gerettet“ und es „erneuert“ habe. Dem faschistischen Italien wurde das „Recht auf Expansion“ zugebilligt und ihm die Wahrnehmung einer „zivilisatorischen Mission“ in Afrika bescheinigt. Ein interministerieller Ausschuss hielt im Juni 1935 fest, dass es „keine vitalen britischen Interessen“ gebe, sich „einer italienischen Eroberung Äthiopiens zu widersetzen“. Während der Vorbereitung des Überfalls beschäftigten London allen Ernstes andere Sorgen. Angesichts der beträchtlichen Kampfkraft der äthiopischen Armee befürchtete man, der Feldzug könnte die militärischen Potenzen Italiens überfordern, es zu einem „erschöpfenden afrikanischen Abenteuer“ kommen und das gar zu einem Zusammenbruch des Faschismus führen. Als nach Beginn der Aggression wirksame Sanktionen des Völkerbundes gegen Italien ausblieben, wurde Simon von dem englischen Historikers A. L. Rowse gefragt, warum die Engländer nicht irgendeinen Zwischenfall arrangierten, zum Beispiel ein Schiff im Suezkanal versenkten, was die Verbindung zwischen Italien und seinen Armeen in Äthiopien unterbrechen würde. Simon antworte: „Wir können das nicht tun, weil das Mussolinis Sturz bedeuten würde.“7 Es begann die sogenannte Politik des „Appeasement“, der „Beschwichtigung“, welche die Öffentlichkeit über die Aggressionsabsichten Mussolinis hinwegtäuschen sollte.
Im Besitz der französischen „carte blanche“ begann Mussolini im Februar mit der Verschiffung der Kolonialarmee nach den italienischen Kolonien Eritrea und Somalia. Ende Mai befanden sich bereits über 360.000 Mann in Ostafrika, die zu Beginn der Aggression auf 400.000 aufgestockt wurden. Paris und London stoppten nun nicht etwa den Aggressor, sondern versuchten, ihn zu einem Kompromiss zu bewegen. Am 24. Juni bot der britische Minister für Völkerbundangelegenheiten, Anthony Eden, dem „Duce“ in Rom eine Lösung der „Äthiopischen Frage“ durch den Völkerbund an. Mussolini verweigerte sich. Am 15. August schlugen Paris und London vor, gemeinsam mit Rom über Äthiopien ein Protektorat zu verhängen. Mussolini lehnte wiederum ab. Trotz der offensichtlichen italienischen Kriegsvorbereitung waren Laval und der britische Außenminister Samuel Hoare bei ihrer Zusammenkunft am 10. September nicht bereit, militärische Maßnahmen zur Sicherung der äthiopischen Unabhängigkeit zu vereinbaren.
Mussolini honorierte das und versicherte der Londoner Morning Post vom 18. September erneut feierlich, Italien habe nicht die Absicht, die Interessen Frankreichs und Großbritanniens in Ostafrika zu beeinträchtigen und beteuerte, Italien werde alles Mögliche tun, um einen Konflikt zu vermeiden. Auch nach dem Überfall versuchten London und Paris, dem Aggressor durch Zugeständnisse einen „legalen“ Teilerfolg zu sichern. Laval und Hoare unterbreiteten am 11. Dezember einen „Plan zur Lösung der Äthiopienfrage“, der vorsah, Italien große äthiopische Gebiete von Ogaden und Danakil sowie Teile der Provinz Tigre, darunter Adua, insgesamt etwa die Hälfte des Territoriums, zu überlassen. Äthiopien wurde dafür der Hafen Asab und ein schmaler Zugang zu ihm versprochen. Selassiè lehnte ab, der Annexion des Landes auf Raten zuzustimmen. Mussolini wies selbst diese „diplomatische Lösung“ zurück. Internationale Proteste, die den Schacher um einen Kompromiss mit dem Aggressor verurteilten, zwangen Laval und Hoare, den Plan zurückzuziehen. Hoare musste zurücktreten.
Kommunisten in Selassiès Armee
Im Juni 1935 hatte in Paris ein internationaler Schriftstellerkongress mit 112 Vertretern aus 38 Ländern, darunter Johannes R. Becher, Berthold Brecht, Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Anna Seghers und Erich Weinert, die italienische Kriegsvorbereitung verurteilt, Romain Rolland erklärt, wir befinden uns „an einem gefährlichen Wendepunkt der Geschichte“, Lion Feuchtwanger gewarnt, damit sei man dem neuen Krieg „leider nahe genug“.
Palmiro Togliatti forderte auf dem VII. Weltkongress der Komintern im Juli 1935 „Hände weg von Abessinien“ und erklärte, „das abessinische Volk ist der Verbündete des italienischen Proletariats im Kampf gegen den Faschismus“ und versicherte, dass die italienischen Werktätigen im Kampf gegen den Faschismus auf seiner Seite stehen.8 Das blieben keine Lippenbekenntnisse. 38 italienische Kommunisten gingen nach dem Überfall nach Äthiopien, wo sie in der Armee Selassiès gegen die Truppen Mussolinis kämpften. Unter ihnen der spätere Kommandeur der internationalen Garibaldi-Brigade in Spanien, Ilio Barontini, der nach dem Sturz Mussolinis 1943 an der Formierung und Leitung des bewaffneten Widerstandes gegen Hitlerdeutschland beteiligt war. 9 Nach dem Überfall riefen IKP und ISP nach Brüssel einen „Kongress der Italiener im Ausland“ ein, der am 13. Oktober die sofortige Einstellung der Aggression forderte. Der Kongress vertrat die Mehrheit der etwa 850.000 in Frankreich im Exil lebenden Italiener.
Wirkungslose Sanktionen
Am 2. Oktober ließ Mussolini die Maske fallen und kündigte er in einer vom Radio übertragenen Rede den Beginn des Eroberungsfeldzuges für den nächsten Tag an. Am 3. Oktober überschritten die Iitaliener ohne Kriegserklärung die Grenze. Der von Paris und London beherrschte Völkerbund war 1931 beim Angriff Japans auf die chinesische Mandschurei untätig geblieben und hatte das mit der ungünstigen geografischen Lage begründet. Jetzt sein Mitglied Äthiopien ebenso völlig im Stich zu lassen, hätte bedeutet, die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen. So versuchte man das Gesicht zu wahren und verurteilte am 7. Oktober Italien als Aggressor, verhängte vier Tage darauf jedoch nur weitgehend wirkungslose wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen und überließ Äthiopien faktisch seinem Schicksal. Vom Embargo für kriegswichtige Handelsgüter war das für den Einsatz der Luftwaffe und der Panzer entscheidende Erdöl ausgenommen, ferner Eisenerz und Kohle.
Chamberlain hatte in London Sanktionen regelrecht als „Wahnsinn“ bezeichnet. Auf militärische Maßnahmen, welche die Völkerbundsatzung ebenfalls vorsah, wurde verzichtet, lediglich Waffenlieferungen untersagt. Für die Resolutionen stimmten 51 Mitgliedsstaaten, Österreich, Ungarn und Albanien dagegen. Sieben Mitgliedsstaaten befolgten das Waffenembargo nicht, acht wendeten finanzielle Maßnahmen nicht an, zehn stellten den Warenexport nach Italien nicht ein, dreizehn importieren weiter aus Italien. Viele Völkerbundmitglieder gaben Italien heimlich zu verstehen, dass sie die Sanktionen nur formal anwenden würden. So konnte Italien Kriegsgerät und Rohstoffe aus Frankreich, Belgien und der Tschechoslowakei beziehen, ebenso aus dem befreundeten Österreich.
Für wirksame Sanktionen trat nur die UdSSR ein, die forderte, jegliche Zufuhr von Erdöl nach Italien und zu dem Kriegsschauplatz zu unterbinden und dazu auch die Durchfahrt durch den Suezkanal zu sperren. Der Völkerbund ignorierte die Anträge und Mussolini konnte ungehindert ans Werk gehen. Obwohl Italien ein wichtiger Absatzmarkt für Erdöl war, stellte die UdSSR dessen Export ein und beteiligte sich in vollem Umfang an den verhängten Sanktionen.10 Den begangenen Völkermord und den anhaltenden barbarischen Kolonialterror ignorierend hob die internationale Organisation die Sanktionen bereits am 16. Juli 1936 auf.
Es war kein Kolonialkrieg alten Stils. Äthiopien war ein für afrikanische Verhältnisse entwickelter Staat, der seit 1923 Mitglied des Völkerbundes war. In Addis Abeba herrschte an der Spitze einer konstitutionellen feudalen Monarchie Kaiser Hailè Selassiè I., der den Titel Negus Neghesti, König der Könige trug. Er hatte eine Modernisierung der Verwaltung und des Bildungswesens eingeleitet. Angesichts der von Italien ausgehenden Expansionsgefahr auch die Streitkräfte modernisiert und europäische Offiziere als Instrukteure angeworben. Die Armee verfügte nach der Mobilisierung über 550.000 Mann.
Die Kolonialarmee fiel in zwei Gruppen in Äthiopien ein. Das Gros, das aus dem Raum Agordat im Norden Eritreas auf der alten Kaiserstraße in Richtung Addis Abeba vorstieß, kommandierte der Befehlshaber der Armee, General Emilio De Bono, selbst. Im Süden griff eine Gruppe unter dem Befehl von General Rodolfo Graziani aus dem Raum Belet Uen von Somalia aus in westlicher Richtung über Gorrahei zur Eisenbahnlinie Djibouti-Addis Abeba vor. Ein Korps stand im Süden Eritreas in Reserve. Um das strategische Ziel zu erreichen, musste spätestens bis Mai die Hauptstadt erreicht werden, da danach durch die einsetzende Regenzeit das Gelände nicht mehr zu passieren war.
Selassiè hatte seine Armee von den Grenzen abgezogen, um Provokationen zu entgehen. So stießen die Truppen zunächst rasch vor, besetzten bereits am 6. Oktober Adua, am 15. die heilige Stadt Axum. Die Äthiopier stellten sich erst im Landesinneren zur Schlacht. Sie setzten auf die lebendig gebliebenen Traditionen des erfolgreichen Widerstandes gegen die koloniale Eroberung und glaubten, den 1896 bei Adua errungenen glorreichen Sieg wiederholen zu können.11
Giftgaseinsatz
Trotz der großen Überlegenheit an Flugzeugen, schwerer Artillerie, Panzern und Fahrzeugen sowie massiver Luftangriffe auf Städte und Dörfer brachten die Äthiopier die Offensive zum Stehen und gingen sogar zu Gegenangriffen über. Am 16. November löste Mussolini De Bono ab und übergab Badoglio das Kommando. Gleichzeitig befahl er, Giftgas einzusetzen.12 Nach wahrscheinlich unvollständigen Angaben wurden vom Dezember 1935 bis April 1936 über 1.500 Gasbomben mit Yperit abgeworfen. 13 Das Giftgas wurde demzufolge noch bis kurz vor Erreichen der Hauptstadt und auch dann noch eingesetzt, als die äthiopische Armee zu keinem wirksamen Widerstand mehr in der Lage war und sich auf dem Rückzug befand. In tödlichen Dosierungen führte das Gift in der Regel zum Tod. Auch darunter liegende Mengen wirkten in der Regel tödlich, da die Äthiopier weder über Schutzmaßnahmen verfügten, noch Behandlungsmethoden kannten. Nach Angaben aus Addis Abeba fanden während des Feldzuges auf äthiopischer Seite etwa 275.000 Menschen den Tod.14 Italien brach mit dem Giftgas-Einsatz das 1925 unterzeichnete internationale Abkommen über den Verzicht des Einsatzes chemischer Waffen. Um keine Berichte darüber an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, ordnete Mussolini persönlich an, gefangen genommene Europäer, die in der äthiopischen Armee kämpften, zu erschießen.15
Der Kolonialarmee gelang nach dem Giftgas-Einsatz der Durchbruch. Am Tanasee brach sie Anfang April den letzten Widerstand. Am 5. Mai 1936 zog sie in Addis Abeba ein.
Am 1. Juni schloss Mussolini Äthiopien mit Eritrea und Italienisch Somaliland zur Kolonie Italienisch Ostafrika zusammen. Für das Kapital waren reiche Rohstoffquellen erobert worden: Eisen, Kupfer, Mangan, Schwefel, Nickel, Platin und Gold. Während für unzählige Äthiopier ein Hungerdasein begann, transportierten Frachter das Getreide des Landes nach Italien. Einige Zehntausend arbeitslose Italiener fanden Arbeit in Äthiopien. Vittorio Emanuele III. setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und Papst Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern ihrer koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf. Zum ersten Generalgouverneur der Kolonie wurde zunächst der zum Marschall aufgestiegene Badoglio, ernannt, dem Ende Juni der ebenfalls Marschall gewordene Graziani folgte.
Schwarzhemdenterror
Es gelang nicht, Äthiopien völlig zu unterwerfen. Das Kolonialregime beherrschte nur die großen Städte und etwa ein Drittel des Landes. Die verschiedenen Stämme unter Führung ihrer Ras, aber auch selbständige Partisanenabteilungen, darunter frühere Soldaten und Offiziere, kontrollierten die schwer zugänglichen Bergregionen und Wüstengebiete. Um den Widerstand zu zerschlagen, führten Schwarzhemden „Strafexpeditionen“ durch. Der in Addis Abeba weilende Korrespondent des Mailänder Corriere della Sera Ciro Poggiali schilderte erst 1971, was sich zutrug: Alle Zivilisten in Addis Abeba hatten „ die Aufgabe der Rache übernommen, die in echter faschistischer SA-Manier blitzschnell ausgeführt wurde. Mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnet liefen sie umher und erschlugen die Einheimischen, die sich noch auf der Straße befanden. (…) Nach kurzer Zeit sind die Straßen um die Hütten von Toten übersät. Ich sah einen Busfahrer, der, nachdem er einen alten Neger mit einem Hammerschlag niedergemacht hatte, ihm den Kopf mit einem Bajonett durchbohrte. Man muss nicht erwähnen, dass das Gemetzel sich gegen unwissende und unschuldige Menschen richtete.“16
Bereits nach der Einnahme der Hauptstadt hatte Mussolini angewiesen, jeden bewaffneten Äthiopier sofort zu erschießen und ebenso mit gefangen genommenen Rebellen zu verfahren. Wörtlich befahl er eine „Politik des Terrors und der Vernichtung“.17 Allein von den Carabinieri (kasernierte Polizei) wurden bis Juni 2.500 Einheimische erschossen. Gegen den Widerstand wurde ein weiteres Mal Giftgas eingesetzt. Nach einem gegen sich erfolglosen Attentat befahl Graziani am 19. Februar 1937 ein Massaker, dem nach äthiopischen Angaben allein in der Hauptstadt 30.000 Menschen zum Opfer fielen. 18 Etwa 1.000 Häuser wurden niedergebrannt. Graziani ordnete an, die äthiopische Intelligenz als einen potentiellen Oppositionsherd zu liquidieren. Unzählige christlich-koptische Geistliche und alle Kadetten der Militärakademie von Addis Abeba wurden umgebracht. Nur auf den Verdacht hin, sie könnten an dem Attentat beteiligt gewesen sein, ließ er im Mai 1937 nahezu 300 Ordensbrüder des Klosters Debra Libanos erschießen. Unzählige Äthiopier sperrte das Kolonialregime in Konzentrationslager, wo die meisten elendiglich zu Grunde gingen. Insgesamt kamen unter der faschistischen Herrschaft etwa 750. 000 Äthiopier ums Leben.
Roms Rassenideologie
In Äthiopien wurde sofort die römische Rassenideologie praktiziert, um unter allen Italienern den Geist des Herrenmenschen und der Herrenrasse zu züchten. Sie sollten auf ihre Rolle als künftige Herren nicht nur Italienisch Ostafrika, sondern Eroberer des ganzen Kontinents vorbereitet werden. Der frühere Gouverneur von Eritrea, Maurizio Rava, schrieb in der Zeitschrift Cinema (Nr. 1/1936) „In einem so ausgedehnten Imperium wie das, was uns für immer gehören wird, ist die Gefahr für eine Verunreinigung unserer Rasse natürlich sehr viel größer, als in den spärlichen Kolonien, die wir bis heute besessen haben“. Mussolinis Schwiegersohn Graf Ciano, zu dieser Zeit Propagandaminister, betonte die „klare Trennung“ der Rassen und keinerlei Annäherung „der italienischen Rasse an die schwarze Rasse“, um die „Reinheit“ der italienischen absolut zu wahren. Hier ging es den Rassenideologen besonders darum, intime Beziehungen zu einheimischen Frauen zu unterbinden. Der Herausgeber der Zeitung des Großkapitals Il Resto del Carlino, Giorgio Maria Sangiorgi, äußerte zum Thema des „Mischlings“, anthropologische Forschungen hätten ergeben, dass er nicht nur die Eigenschaften der minderwertigen „schwarzen Rasse“ in sich trage, sondern diese noch potenziere. Auch in sozialer Hinsicht hielt dieser Rassist den „Mischling“ für eine Gefahr. Da er zwischen zwei Kulturen lebe, ohne in einer von beiden wirklich heimisch zu sein, wecke das in ihm den Drang zu Aufruhr und Korruption, was die Kolonialherrschaft gefährde. Um einer „Rassenmischung“ vorzubeugen, forderte der Autor regelrechte Apartheidmaßnahmen durchzusetzen: „So wollen wir zum Beispiel, dass es in den öffentlichen Ämtern Schalter für Weiße und für Schwarze gibt, so dass ein Weißer niemals unter dem eingeborenen Haufen in der Schlange stehen und warten muss, bis er an die Reihe kommt, und dass an jedem öffentlichen Ort immer zuerst dem Weißen der Vortritt zu geben ist.“19
Mit den rassistischen Instruktionen wurde der Boden bereitet für das im Juli 1938 verkündete „Rassenmanifest“, mit dem Mussolini grundsätzlich und wesentlich die faschistischen Rassengesetzte Hitlerdeutschlands übernahm. „Die gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vertretene Hypothese, die italienischen Rassengesetze seien auf Druck des deutschen Bündnispartners eingeführt worden, entbehrt „jeglicher Grundlage“, hielt Schneider fest. 20
Anmerkungen:
1 Max Gallo: L’Affaire d’Étiopie in: Origines de la deuxième Guerre Mondiale, Paris 1967.
2 Palmiro Togliatti: Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale, in : Wilhelm Pieck, Georgi Dimitroff, Palmiro Togliatti: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunisten im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus, Berlin/DDR,1960, S. 215.
3 Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 144 .
4 Togliatti. Ebd.
5 Im Juli 1935 gingen nach Addis Abeba 10.000 Mausergewehre und -pistolen, 10 Millionen Patronen, Handgranaten, 30 Panzerabwehrkannen 3,7 cm mit Munition sowie Medikamente. In der Schweiz kaufte das Heereswaffenamt 36 Örli-Kanonen und ließ sie nach Äthiopien verschicken. Später folgten noch kleinere Lieferungen. Quelle: Manfred Funke: Sanktionen und Kanonen. Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt. Düsseldorf 1970, S. 43 ff.
6 Marco Palla: Mussolini e il Fascismo, Florenz 1963, S. 102.
7 Alfred Rowse: All souls and Appeasement, London 1961, S. 26.
8 Togliatti ,a, a, O., S- 217.
9 Aginform. Foglio di Corrispondenza comunista, Rom, Nr. 51 – novembre 2005. Dietmar Stübler: Geschichte Italiens von 1789 bis zur Gegenwart, Berlin (West), 1987, S. 155, 181.
10 Geschichte der sowjetischen Außenpolitik 1917-1945,Berlin/DDR 1960, Teil 1, S. 364 f.
11 Im März 1896 hatte Italien bei dem Versuch, Äthiopien zu erobern, eine vernichtende Niederlage erlitten. Von 18.000 Mann mit 42 Geschützen entkamen nur 2500 dem Tod. Die Verluste der 60.000 Krieger zählenden vereinten Stämme betrugen 10.000 Mann. Siehe Heinrich Loth : Geschichte Afrikas. Afrika unter imperialistischer Kolonialherrschaft und die Formierung der antikolonialen Kräfte 1884-1945, Berlin/DDR 1976, S. 24f.
12 Asfa.Wossen Asserate/Aram Mattioli (HG.): Der Erste faschistische Venichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935/36, Köln, o. J., S. 52.
13 Angelo Del Boca: Le Guerre koloniali del Fascismo, Rom/Bari 1991, S. 232 ff.
14 Gabriele Schneider: Mussolini in Afrika, Köln 2000, S. 145.
15 Schneider, S. 143.
16 Giro Poggiali: Gli Appunti segreti dell’Inviato dell “Corriere della Sera”, Mailand 1971.
17 Aram Mattioli: Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung, Zürich 2005, bes. S. 140ff.
18 Schneider, S. 145.
19 Giorgio Maria Sangiorgi: L´Impero italiano nell´Africa Orientale“, Bologna 1936, S. 193.
20 Schneider, S. 76.
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