Berlin, Deutschland (Weltexpress). Schon der Titel der Ausstellung zeigt die Neigung der Berliner Philharmoniker zum Abstrakten. »Bilder der Resilienz. Flucht und Musik im Exil». Resilienz – ein neues Modewort, breitgetreten von geltungsbedürftigen Politikern (oder von Militärstrategen, die es nötig haben), es soll »(psychische) Widerstandskraft» bedeuten. Vom Inhalt der Ausstellung her auch zutreffend, aber man könnte viel einfacher sagen: »Musik macht Mut und weckt Selbstvertrauen». Und das ist ganz im Sinne der Musiker, wenn man den Zusammenhang erfährt.

Das Flüchtlingselend in aller Welt sieht jeder jeden Tag im Fernsehen. 117 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Ihnen zu helfen ist ein Mammutwerk, kaum zu bewältigen. Eine der bekanntestens Hilfsorganisationen ist die UN-Flüchtlingshilfe UNHCR. Sie braucht und sie findet Helfer, auch in Gestalt der Berliner Philharmoniker. Seit 2021 ist das Orchester musikalischer Botschafter der UN-Flüchtlingshilfe.

»Die Geschichten der Foto-Ausstellung verdeutlichen uns, in welch privilegierter Situation wir uns befinden: wir können unserer Leidenschaft nachgehen, sie sogar als Beruf ausüben, ohne Angst vor Verfolgung und Verlust», schreiben Eva-Maria Tomasi und Stefan Dohr, die Orchestervorstände, im Flyer zur Ausstellung. Die Musiker nutzen die Sprache der Musik, um auf die Arbeit der UN-Flüchtlngshilfe aufmersam zu machen. Mit Spenden, Aufrufen und Benfizkonzerten haben sie seit September 2021 270.000 Euro gesammelt. Dieses Geld kommt auch an.

In der Autonomen Region Kurdistan im Irak zum Beispiel existieren 20 Flüchtlingscamps mit Vertriebenen Syrern, Jesiden, Assyrern und anderen. Dort hat die UN-Flüchtlingshilfe eine relativ stabile Hilfe für die vertriebenen Menschen aufgebaut, sodass aus akuter Nothilfe ein Programm zur Verbesserung der langfristigen Lebensbedingungen einschließlich der Förderung der Bildung entstanden ist. Die in der Autonomen Region Kurdistan bestehenden Strukturen begünstigen ein Kulturleben der dort lebenden Nationalitäten, zum Teil eng verflochten mit der Ausübung ihrer Religionen. Mit dem Geld der UN-Flüchtlingshilfe wurden zum Beispiel 26.000 Flüchtlingskinder in öffentlichen Schulen eingeschult und 140.000 Arztsprechstunden und medizinische Beratungen für syrische Flüchtlinge abgehalten. 7.800 gefährdete Familien erhalten monatlich Bargeldzahlungen. Dies ist möglich auch mit den Spenden der Berliner Philharmoniker. Angesichts des Massenelends hat dies alles Grenzen, aber jede Hilfe macht Hoffnung.

Wer die kleine Ausstellung im Foyer der Philharmonie betritt, wundert sich zuerst einmal über die Fotos mit freundlichen, ja strahlenden Gesichtern. Dies sind die Gesichter von Menschen zwischen 10 und 50 Jahren, denen die Unterstützung der Flüchtlingshilfe Hoffnung auf ein besseres Leben gemacht hat, und denen die Musik einen Lebensinhalt gibt.

Der bekannte Berliner Fotograf Mathias Bothor ist in die Region gereist und hat dort Menschen gefunden, die aktiv Musik betreiben, sei es mit der traditionellen Langhalslaute Saz, mit Gitarre, Geige oder mit Gesang. Bei aller Not erweist sich die Musik als Lebenselexier. »Musik ist meine Lebensader und Teil meines täglichen Lebens», sagt der 20jährige Kerim aus der Sindshar-Region. Einer der Jungen will Musiklehrer werden, andere verbreiten Musik über Social-Media-Kanäle. Manche zeigen sich stolz vor ihrer Natioalfahne. Der Sänger und Dichter Ali Darwish Ali, 50, Jeside, ist anerkannter Künstler des Irak. Er hat im Camp ein provisorisches Gemeindezentrum aufgebaut, um in der Gemeinschaft Musik und Kunst zu pflegen.

Im Camp Mam Rashan besteht eine Schule mit einer eigenen Musikklasse. Wo der Islamische Staat verdrängt werden konnte, pflegen Jesiden und Assyrer ihre Religion, bei der die Musik eine große verbindende Rolle spielt. Dies sind Beispiele, die den Berliner Philharmonikern bei ihrer Unterstützung der Flüchtlingshilfe Auftrieb geben. Die Solidarität wird noch lange gebraucht werden, denn der Widerstreit mächtiger Interessen der USA, der Türkei, des Iran verhindert für viele Flüchtlinge die Rückkehr in ihre Heimat, deren Städte und Dörfer zum Teil zerstört sind.

Die Erklärungen zu den Fotos und die Aussagen der Porträtierten sind leider nicht auf Tafeln zu lesen. Sie stehen auf Wunsch des Künstlers nur im Flyer. Aber wer nimmt sich dafür die Zeit? Zudem sind einige beeindruckende Persönlichkeiten abgebildet, die im Flyer nicht vorkommen. Wer sind sie? Die Ausstellung, eine Art Rechenschaftsbericht, bietet fast am Rande interssante Informationen über das Leben von Flüchtlingen in einem Gebiet, von dem beim Auf und Ab der Kämpfe schwer ein Bild der Situation zu gewinnen ist.

Doch machen wir uns nichts vor. Die Lage der Masse der Flüchtlinge ist katastrophal.

Dies zu ändern, genügen keine Hilfslieferungen, sondern es hilft nur: Schluss mit den Kriegen.

Bilder der Resilienz. Flucht und Musik im Exil, Foyer der Berliner Philharmonie, bis 30.6.2024 während der Kassenzeiten.

Spendenkonto: IBAN: DE78 3705 0198 0020 0088 50, BIC: COLSDE33, Sparkasse Köln/Bonn,Stichwort: Berliner Philharmoniker

Anmerkungen:

Eine kürzere Fassung des Beitrags erschien am 13. Juni 2024 in der Zeitung junge Welt.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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