So notierte Katja Mann in ihrem unveröffentlichten Monika-Büchlein 1911 ihre Beobachtungen zur jüngsten Tochter, damals knapp einjährig. Das sollen die letzten freundlichen Bemerkungen zu diesem Kind bleiben. Karin Andert hat bisher unbekanntes Material für ihr große Monika Mann Biografie zusammengetragen, unter anderem das New Yorker Tagebuch von 1945. Gibt es dem bisher bereits scheinbar komplex untersuchten Familienkosmos etwas hinzuzufügen?
Oh ja, das Bild einer verträumten und starken Frau, musikalisch begabt und neugierig, schreibend und lauschend – auf alle Zwischentöne einer ihr meist nicht wohlgesonnenen Umgebung. Die Autorin zeichnet ein überzeugendes Bild dieser ungeliebten Mann-Tochter, in sich gekehrt steht sie auf den Familienfotos stets im Hintergrund, misstrauisch äugend und traurig umflort. In ihrem eigenen Freundeskreis wird sie zeitlebens als fröhlich und herzlich wahrgenommen – ein Widerspruch, den Karin Andert ohne weitschweifige Interpretationsversuche schildert. Sie kommt der Person Monika sehr nahe, rückt gerade, was viel zu lange schief hing, denn Monika war offensichtlich die Tochter, die ihre Eltern am besten kannte und durchschaute. Die sich ihrem Vater näher fühlte, als dieser ahnte und achtete. Beklemmend ist es, hier deutlich nachzulesen, wie weit die Ablehnung „Mönles“ innerhalb der Familie ging, mit herabwürdigenden Adjektiven wird ihr Äußeres und Inneres belegt, ihre (meist fehlenden) Ambitionen kritisiert, ihre Anwesenheit mokiert. Dennoch führte Monika Mann ein autarkes und über weite Strecken glückliches Leben. Nach dem dramatischen Tod ihres ersten Mannes, der bei der gemeinsam nach Amerika angetretenen Schiffsfahrt ertrank, findet sie ein spätes Liebesglück bei einem Fischerssohn auf Capri. Sie schreibt Feuilletons und versucht sich an Prosa, hört Schallplatten und korrespondiert. Und sucht immer den Kontakt zum Elternhaus. Skurril muten die Versuche der gealterten Geschwister Golo und Monika an, sich nahe zu kommen bzw. aus dem Weg zu gehen. Das Fehlen des Geborgenheitsgefühls in der Kindheit trägt bis ins Greisenalter. Es bleibt zu hoffen, dass Monika Mann wenigstens einige Momente lang das Gefühl hatte, ihr eigenes Lebensmaxim erreicht zu haben, wie sie es im New Yorker Tagebuch beschreibt:
„Ich bin nicht hinter etwas her, das zu hoch für mich ist, sondern ich strecke die Hand nach etwas aus, das mich innerlich befriedigt – und ich weiß, dass es existiert.“
Zeitgleich macht sich eine andere Autorin daran, das Paar Thomas und Katja Mann auf ihre Elternschaft hin zu betrachten, Focus – die Mädchen. Schon der Titel deutet auf Gram; „Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam“. Das soll eine Mutter, eine Frau und Enkelin einer Frauenrechtlerin gesagt und auch noch aufgeschrieben haben? Ja, hat sie. Katja Mann war schreiend ungerecht, egoistisch und sadistisch. Nein, das steht nicht wortwörtlich in Andrea Wüstners Studie, aber wir sind noch nie so deutlich darauf gestoßen worden, selbst diese Schlüsse zu ziehen. Wie kann eine junge Mutter derart gehässig über die Hässlichkeit ihrer Kinder (hier ist Golo gemeint) spotten, oder ein junger Vater vergessen, die Geburt seiner zweiten Tochter, des vierten Kindes, mitzuteilen? Späßchen mit den Kleinkindern treiben, bis diese verzweifelt in Tränen ausbrechen – und das auch noch dokumentieren? Und wie kann eine Mutter von vier kleinen Kindern zweimal für mehrere Monate am Stück in ein Sanatorium entfleuchen, ohne wirklich krank zu sein? Sie ließ ihren hochsensiblen Mann mit dem Problem alleine, einige Generationen von Dienstmädchen, Köchinnen und Kindermädchen verwalteten die verwahrlosten Kinderseelen. Von Sehnsucht oder Schuldgefühl ist bei Katja Mann auch später nie die Rede, amüsiert stellt sie fest, dass die zweijährige Monika sie nicht wiedererkennt und der dreijährige Golo wie ein Hündchen an ihrem Bein hochspringt, als sie doch einmal wieder nach Hause zurückkehrt! Die Einlassungen der Autorin zur damaligen Auffassung von Kindererziehung und Kinderpsyche (eigentlich gab es weder die eine noch die andere) helfen zum Verständnis, die Verflechtungen der Heranwachsenden werden auf genaueste betrachtet und beleuchtet. Die ältesten Geschwister Erika und Klaus rücken in Wüstners Studie ein wenig aus ihrer Heiligenstellung und vor allem Erika wird endlich als die drogensüchtige Tyrannin beschrieben, die sie am Ende ihres Lebens war. Dass gerade Monika dem Teufelskreis der bösen Mann-Weiber entkam, nicht durch verbale Zynismen (Katja und Erika) und handgreifliche Korrekturen im schriftstellerischen Erbe der Manns (Erika bei Heinrich, Thomas und Klaus) glänzte, ist hier mehr herausgearbeitet als in der Monika Mann Biografie Karin Anderts.
Wüstner schreibt spannender, mitreißender, für den „Mann-Fan“ sind jedoch beide Bücher Pflichtlektüre, da sich neben den Neudeutungen einiges Altbekannten viele Neben – und Seitenstränge öffnen, in die er nunmehr streunen mag.
Karin Andert, Monika Mann, Eine Biografie, 326 S., mare Verlag, Hamburg, 2010, 24,- €
Andrea Wüstner, Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam, Die Eltern Katia und Thomas Mann, 379 S., Piper Verlag München 2010, 19,95 €