Berlin, Deutschland (Weltexpress). Ein grüner Lichtblick machte kürzlich im Frankenhafen fest, um Stahlarbeiten in der Ladeluke durch die Firma Ostseestaal vornehmen zu lassen. Grün ist der Küstenfrachter „Annika Braren“ im doppelten Sinne. Der Schiffskörper ist nicht nur grün angestrichen, sondern sein Vorwärtskommen auch umweltfreundlich, wie ein Kenner an dem hohen Turm auf dem Vorschiff ausmachen konnte. Gegner von herkömmlichen Schiffsantrieben würden hier ins Leere laufen. Davon abgesehen, dass die Umstellung nicht von heute auf morgen möglich ist, wie fachfremde Technikstürmer es laienhaft gern hätten, denn es braucht auch Entwicklungsideen und viel Zeit, bis eine Innovation erprobt und marktreif ist. Ideen gibt es viele, aber deren Umsetzung will auch finanziert sein.
Rörd Braren, Reeder der „Annika Braren“ aus Kollmar an der Unterelbe, ist dafür bekannt, sich neuen Techniken zu öffnen. Als einer der ersten sorgte er 2010 für Katalysatoren in den Dieseln seiner Forstprodukten-Frachter und bekam prompt dafür den Preis „Clean Marine Award“ sowie einen riesigen blauen Umweltengel an die Brückenhäuser geklebt.
Mit Ungeduld geht nichts
Dank dieser heute schon vielfach angewendeten Technik konnte der NO2-Ausstoß um 90, der von Schwefel-Immissionen um 30 Prozent reduziert werden. Für Um- und Einbauten musste Braren aber erst mal 350.000 Euro hinblättern. Und er weiß, dass sich das über die Jahre rentiert, denn sein schwedischer Befrachter, um ein sauberes Image bemüht, zahlt ihm „zur Belohnung“ höhere Frachtraten und sichert ihm Langfristverträge zu. „Das läuft bis jetzt hervorragend“, resümiert der Schiffseigner mit Blick in eine saubere Schifffahrtszukunft, „aber so mal eben von heut auf morgen, wie sich das die ungeduldigen Fridays-Protestler vorstellen, geht das eben nicht“. Die rund 55.000 Schiffe über 500 BRZ der Welthandelsflotte lassen sich nicht „fix“ umrüsten. Dazu reichen weder die Kapazitäten der Werften noch Anlagenhersteller. Auch nicht alle Schiffsgrößen und -typen wie z. B. Großtanker oder Bulkcarrier eignen sich dazu. „Annika Braren“ hat mir ihren Abmessungen von 86 Metern Länge, 15 Metern Breite und 6,50 Metern Tiefgang bei 5023 tdw genau die richtige Größe wie etwa die historischen beiden Rotorschiff-Erstlinge.
Dabei fing alles schon vor rund hundert Jahren an, als der Lehrer, Tüftler und Ingenieur Anton Flettner (1885 – 1961) mit seiner Frau am Strand lag. Als er Sand über seine rotierende Hand rieseln ließ, um ihr den „Magnus-Effekt“ zu beschreiben, wurde seine Idee geboren: ein Segelschiff ohne Segel. Sein Patent ließ er auf den Motorfrachtern „Buckau“ (1924) und „Barbara“ (1927) von der Kieler Krupp-Germaniawerft realisieren.
Auf „Annika Braren“ wurde dieses Aha-Erlebnis bis April 2021 erneut auf einer Werft im ostfriesischen Leer in die Praxis umgesetzt, nachdem schon einige Neubauten anderer Reedereien damit seit 2008 Furore gemacht hatten.
WASP ermittelt Kosten-Nutzen-Wert
Mit der ausgereiftesten Windantriebstechnik ECO FLETTNER, die der Berufsschifffahrt heute zur Verfügung steht. Eigentlich ganz einfach: Ein Rotorsegel nutzt mit seinem rotierenden Zylinder den sogenannten Magnus-Effekt bei Seitenwind, um dadurch zusätzlichen Schub nach vorne zu erzeugen. Flettners Erfindung wurde als Rotorlüfter auch auf den Dächern von Bussen, Eisenbahnwaggons und Booten installiert und sorgte auf diese Weise statt einer Klimaanlage für frische Luft.
Wie sollen aber belastbare Aussagen über den Nutzen des Rotor-Segelsystems nun gewonnen werden? Die Kollmarer Reederei nimmt jetzt an dem von der EU geförderten „WASP“ (Wind Assisted Ship Propulsion)-Projekt teil. Über einen Zeitraum von zwölf Monaten werden an Bord Leistungsdaten des Windantriebs, Wetter- und Windbedingungen, Schiffsgeschwindigkeit und Treibstoffverbräuche aufgezeichnet und an die schwedische Universität Göteborg übertragen. So lässt sich der tatsächliche Kosten-Nutzen-Wert ermitteln, den der Reeder für weitere Investitionen braucht.
Die „Annika Braren“ glänzt außerdem mit weiteren Umweltschutzeinrichtungen. So erhielt sie unter anderem eine Ballastwasser-Aufbereitungsanlage sowie eine wassergeschmierte Propellerwelle, die bei Beschädigungen der Abdichtung See- und Flusswasserverschmutzungen vermeidet. Der Sechszylinder Caterpillar-MaK-Hauptmotor mit einer max. Leistung von 1.850 kW wird nur mit schwefelarmem Gasöl betrieben und ist zudem mit einem Abgaskatalysator zur 90-prozentigen Reduzierung von Stickoxiden ausgestattet. Weiterer Vorteil: Mit einem grünen Pass im Klassezeichen versehen, zahlt das Schiff in den Häfen die niedrigsten Hafenabgaben.
Beispielgebend für die Seeschifffahrt
Je nach Geschwindigkeit des Schiffes und Leistung der Hauptmaschine sind Einsparungen im Bereich von ca. 10-25% zu erwarten. Der aus GFK gebaute Rotorzylinder misst 18 Meter in der Höhe und drei Meter im Durchmesser. Der Rotor wird an die herrschende Windgeschwindigkeit angepasst und elektrisch gedreht. Ein alleiniger Windantrieb ist nicht möglich, da bei fehlendem Wind die Manövrierfähigkeit ausfallen würde.
Dieser ECO FLETTNER hat eine projizierte Segelfläche von 54 Quadratmetern. Das Schiff spart so auf See im Jahresdurchschnitt 108 kW über die Leistung der Hauptmaschine hinaus ein. Je nach Geschwindigkeit des Schiffes und Leistung der Hauptmaschine werden Kraftstoff- und CO2-Einsparungen im Bereich von rund zehn bis 20 Prozent erwartet. Kapitän Julian Plaisant muss das neue Antriebssystem jetzt auf Herz und Nieren prüfen: „Wir als Crew sind sehr gespannt, wie sich das Schiff mit dem installierten Rotor verhält“.
„Annika Braren“ fährt unter deutscher Flagge und sorgt für den seemännischen Nachwuchs. 2017 wurde die Reederei als „exzellenter Ausbildungsbetrieb” gelobt und bildet auf ihren neun Schiffen, die überwiegend in der Nord- und Ostsee, dem Mittelmeer und in Westafrika eingesetzt sind, turnusmäßig 39 junge Seeleute in den verschiedenen Bordsparten aus.
„Auch damit ist die renommierte Traditions-Reederei beispielgebend für die deutsche Seeschifffahrt“, findet der Stralsunder Seelotse Jens Mauksch, der das Schiff auf die Ostsee hinaus begleitete.