Berlin, Deutschland (Weltexpress). Gestern hat der Herr Bundespräsident eine Rede aus Anlass des Tages der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 gehalten. Der Herr Bundespräsident hätte gut daran getan, diese Rede am 9. Mai 2020 in Übereinstimmung nicht nur mit den historischen Tatsachen zu halten. Seine Rede zum 9. Mai 1945, die er nicht gehalten hat, würde das schreiende Unrecht im heutigen Verhalten des Herrn Bundespräsidenten und der gesamten deutschen Staatsspitze gegenüber Russland und dem russischen Volk deutlich machen.
Es sind zwei Dinge, die dabei ins Auge fallen: das unermessliche Leid, dem das russische Volk und die Völker der damaligen Sowjetunion in dem Krieg des Deutschen Reiches gegen Polen und seine Ausweitung über diesen Krieg hinaus erlitten hatte. Es ist aber auch der einzigartige Beitrag, den gerade die Sowjetunion zur Wiedervereinigung Deutschlands, des ehemaligen Kriegsgegners geleistet hat. Jahrzehntelang haben wir im Westen Deutschlands davon gesprochen, dass der „Schlüssel für die Wiedervereinigung“ in Moskau liegen würde. Moskau hat uns den Schlüssel zu treuen Händen herausgegeben.
Was haben wir daraus gemacht? Wo wird heute daran erinnert, dass die Soldaten der in Deutschland stationierten Westgruppe der Truppen von einem Tag zum anderen mit den Soldaten der deutschen Armee bestens und kollegial in Wahrung des deutschen Rechtes zusammengearbeitet haben? Wo sind die Zusagen zur sicherheitspolitischen Struktur des wiedervereinigten Europa in Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung an die damalige Sowjetunion geblieben. Das US-Manöver „Defender 2020“ in diesem Frühjahr hat doch deutlich gemacht, dass etwas ganz anderes die deutsche und westeuropäische Politik bestimmt, als die zu ziehenden Konsequenzen aus drei Kriegen im vergangenen Jahrhundert in Europa: dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg. Defender 2020 hat doch den Nachweis dafür geliefert, dass wir in Westeuropa auf Druck der Vereinigten Staaten und Großbritannien nichts anderes im Kopf haben, als diesen drei Kriegen den nächsten hinzuzufügen. Dabei haben wir noch nicht einmal Einfluss darauf, ob es ein kalter oder eisenhaltiger Krieg werden wird. Der Herr Bundespräsident wäre mehr als gut beraten, sich und damit Deutschland in die Verantwortung für den Frieden in Deutschland, Europa und der Welt zu stellen, als Legitimationslinien für den nächsten Krieg, wo und gegen wen auch immer, in Reden zu postulieren.
Eigentlich ist es verwunderlich, dass die gestrige Rede in deutscher Sprache gehalten worden ist. Der Herr Bundespräsident bequemt sich neuerdings auch, die englische Sprache zu präferieren. Das ist vielleicht sein subtiler Hinweis auf die Rolle Großbritanniens zur Zerstörung Europas, beginnend mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das müsste doch auch dem Herrn Bundespräsidenten aufgefallen sein, wie er seine Reden mit Erinnerungslücken geradezu vollspickt. Vor wenigen Tagen noch hat sich in einer deutschen Tageszeitung der französische Staatspräsident Macron zu Frankreichs Verantwortung für europäische Kriege und damit auch den Zweiten Weltkrieg bekannt. Wie anders war es zu verstehen, dass er von Frankreichs Fehler in Versailles am Ende des Ersten Weltkrieges sprach. Nach Macron bestand der Fehler darin, Deutschland und andere Staaten mittels Versailles zu bestrafen. Damit habe man den Aufstieg des Nationalsozialismus und von Herrn Hitler bewirkt. Ohne Versailles, so muss man es sehen, habe es keinen Herrn Hitler und ohne Herrn Hitler habe es keinen deutschen Krieg gegen Polen gegeben. Präsident Macron hat mit seinen Zeitungsgespräch einen Gedanken aufgegriffen, den der russische Präsident Putin kurz vor Jahresende in St. Petersburg entwickelt hatte. Präsident Putin hatte auf die verhängnisvolle Bedeutung von „Versailles“ für die Zerstörung Europas hingewiesen.
Die jämmerliche Rolle, die Berlin und zwar das politische Berlin, in der Frage spielt, welche Konsequenzen heute aus der jüngeren Geschichte zu ziehen sind, hat sich im vergangenen Jahr mit seiner Erinnerung an Versailles 1919 doch darin gezeigt, dass „Versailles“ dem politischen Berlin kein Wort der Erinnerung wert gewesen ist. Auch nicht der Umstand, dass die hoffnungsvolle Zusammenarbeit des geschlagenen Deutschland mit der damaligen Sowjetunion vom damaligen diplomatischen Personal der USA in Berlin durch die Rettung von Herrn Hitler vor dem politischen Absturz und die folgende Gedankenwelt des „Mein Kampf“ hintertrieben worden ist.
Es ist aber nicht nur die ausgeblendete Geschichte, die die Reden des politischen Personals in Berlin bestimmt. Wo sind eigentlich die Konsequenzen aus den Nürnberger Prozessen mit der unbedingten Wahrung des Völkerrechts und der daraus folgenden Bestimmungen des deutschen Grundgesetzes, zur Wahrung des Friedens beizutragen und keine Angriffskriege zu führen? Es sind doch diejenigen, die von mehr deutscher Kriegsfreiwilligkeit schwadronieren, die die eigene Verfassung und die Charta der Vereinten Nationen mit Füßen treten. Hinter der Verfassung kann man nicht „mit halbem Herzen“ stehen und Deutschlands Pflicht, zum Frieden in der Welt beizutragen, das sagt einem der klare Verstand. Warum wird das im politischen Berlin soviel anders gesehen? Regieren dort die Landvögte?