Maierhöfen, Allgäu, Deutschland (Weltexpress). Bereits die ersten Ballonfahrer sprachen vom „Ballonfahren“, da sie den Himmel mit dem Meer verglichen. Ein Ballon fährt nach dieser Vorstellung im Himmel, wie das Schiff auf dem Meer – diesmal überquert er dabei die Allgäuer Alpen, das winterliche Oberallgäu.
„Trampelt mir mal bitte den Schnee fest“, so lautet die erste Anweisung des Piloten. Drei Paar Stiefel tun ihr Bestes. Kurz darauf setzt mit lautem Gedröhn das Gebläse ein. Die bis dahin wie ein zerknautschter Schlauch im Schnee liegende Ballonhülle fängt an sich aufzublähen. Den lockeren Pulverschnee hätte es unweigerlich mit hinein geblasen. Am oberen Ende mit einem Seil und an den Seiten mit vielen Händen, wird der sich langsam füllende Ballon fest gehalten. Kurze Feuerstöße aus dem Brenner unterstützen die Luftzufuhr. Schließlich ist der Heißluftballon „gefüllt“ und er will nach oben. Jetzt heißt es den an Stahlseilen befestigten Passagierkorb auf der Erde zu halten, bis alle Mann bzw. Frau an Bord sind. Dann kommt die Aufforderung: „Einsteigen!“ Dick verpackt in Winterausrüstung gestaltet sich der Vorgang etwas umständlich. Zum Glück gibt es Stangen und Schlaufen, die einem das Einsteigen erleichtern. Und die umstehenden Helfer legen auch gerne Hand an, um die Fahrgäste in den Korb zu befördern. Jeder bekommt vom Piloten einen Platz im Korb zugewiesen.
Ein erneuter Feuerstoß lässt uns abheben. Das erhebende Gefühl, das sich einstellt, ist nicht übertrieben. „Wir fliegen“ – nur das nicht! Wir fahren! Diese sprachliche Unkorrektheit wird schwer geahndet. Bei uns Anfängern drückt man noch ein Auge zu. Die flache Wiese am Ortseingang von Oberstdorf eignet sich hervorragend für den Ballonstart. Außer uns sind noch mindestens sieben andere Fahrzeuge unterwegs zum Himmel. Jedes Jahr finden hier und in den umliegenden Ortschaften des Oberallgäus Ballonfahrer – Tage mit einem Festival statt, dessen Höhepunkt das Ballonglühen ist, welches bei hereinbrechender Dunkelheit veranstaltet wird.
Wir haben Glück mit dem Wetter. Nach dem verschneiten gestrigen Tag strahlt heute die Sonne am fast wolkenlosen Himmel. Der Ballon gewinnt rasch an Höhe. Ballonpiloten müssen die wechselnden Luftströmungen in verschiedenen Höhenschichten erkennen und nutzen. Nur so ergibt sich eine Richtungsänderung. Nur so ist es möglich, einen geeigneten Landeplatz zu erreichen.
Unter uns liegt verträumt Oberstdorf auf der vom Licht durchfluteten Ebene. Am südwestlichen Ortsrand erkennen wir unser Hotel Landhaus Freiberg. Vor uns baut sich das 2224 Meter hohe Nebelhorn auf. Da sich der Ballon stets mit dem Wind bewegt, empfindet man keine Kälte. Die gelegentlichen Feuerstöße tragen auch dazu bei, dass es uns nicht friert. Jetzt liegen die zerklüfteten Felsen des Nebelhorns bereits unter uns. Die Gipfelstation ist kaum auszumachen in der Schneewüste.
Wir trauen unseren Ohren nicht, als Jo, unser Pilot den anderen Ballonfahrern unsere Höhe mitteilt: 3200 Meter! Die mit uns gestarteten Ballone haben wir bereits aus den Augen verloren. Das Panorama ist kaum zu beschreiben. Im Südosten sieht man die Gipfel der Ötztaler Alpen. Unter uns breitet sich das Tannheimer Tal aus. Klar erkennbar der schroffe Aggenstein, der mit seinen 1986 Metern herausragt. Das schwarze Band am Boden, auf dem sich Autos bewegen, die wie Spielzeug aussehen, ist eine Straße. Daneben schlängelt sich ein Bach, der hin und wieder unter der Schneedecke verschwindet. Winzig erscheinende Skifahrer wedeln elegant die Hänge hinab. Langsam verlieren wir wieder an Höhe. Im Wald, zwischen den Bäumen, sind Spuren erkennbar. Schneeschuhwanderer waren hier unterwegs. Eine Almhütte verschwindet fast völlig unter dem Schnee, den der Wind an der Breitseite abgelegt hat.
Inzwischen sind die Baumwipfel zum Greifen nahe. Doch der ideale Landeplatz ist noch nicht in Sicht. Das heißt: nochmals nach oben. Die kalten Temperaturen im Winter sind für eine Ballonfahrt ideal, denn je höher der Temperaturkontrast zwischen der Heißluft in der Hülle und der Umgebung, desto größer der Auftrieb, das spart Gas. Im Frühjahr und Sommer startet man deshalb früh morgens, wenn es noch kühl ist, oder gegen Abend. Dann entfallen auch die durch Thermik verursachten Winde. Noch stärker als im Winter sind die Kontraste im Frühling, wenn im Allgäu die Wiesen voller Löwenzahn gelb leuchten.
„Dort hinter der Kirche; das sieht gut aus“, meint Jo. Er misst die Höhe, heizt nochmals kurz ein. Dann bringt der Wind das Gefährt in die gewünschte Richtung. Das Verfolgerauto hat uns auch schon ausfindig gemacht. Noch müssen wir über einen Zaun. Der Hund vom nahe liegenden Bauernhof verbellt uns. Dann setzt der Korb punkt genau auf einem ruhigen Nebenweg auf. Eine Traumlandung! Schon gehen einige Helfer zur Hand, damit sich der Ballon nicht wieder davon macht. Wir müssen alle als Gewichte den Korb beschweren, bis die heiße Luft entwichen ist. Dann gibt die Hülle den Kampf auf und neigt sich langsam zur Seite. Jetzt heißt es aussteigen. Wir gratulieren uns und natürlich auch dem fachkundigen Piloten zu dieser einmaligen Fahrt. Doch zum Sinnieren bleibt nicht viel Zeit. Der Korb muss ausgehängt und die Ballonhülle zusammen gelegt werden. Zu sechst pressen wir die noch nicht völlig entwichene Luft aus dem Stoff, bevor er verpackt wird. Mit großer Kraftanstrengung hieven wir Tragetasche und Korb in den bereit stehenden Anhänger. Schließlich sind wir nicht nur zum Vergnügen mitgefahren.
„Hiermit taufe ich dich Prinzessin der Lüfte, mutige Schneekönigin der Allgäuer Alpen usw.“ Sekt ersetzt das Taufwasser, mit dem man auch die kurz angezündete Haarsträhne löscht.
Jeder Neuling wird einer Taufe unterzogen. Seinen einmalig erworbenen Adelstitel sollte man bei weiteren Ballonfahrten aufsagen können, was bei der Länge nicht ganz einfach ist.
Beim anschließenden gemütlichen Beisammensein kommt dann doch noch die Frage auf, warum Jo so nahe beim Friedhof gelandet ist? Doch sein Minenspiel verrät uns, dass er am liebsten mit einer Gegenfrage antworten würde. Er und der Wind haben heute ihre Sache gut gemacht.
Informationen:
Jedes Jahr wird in Oberstdorf eine Ballonsportwoche im Hochwinter veranstaltet. Preis für Passagiere zur Teilnahme ab ca. 180 Euro. Auskünfte und Termine unter www.oberstdorf.de. Eine Unterkunft für anspruchsvolle Gäste bietet z. B. das Landhaus Freiberg mit Maximilians Gourmet – Restaurant www.landhaus-freiberg.de ; Freibergstraße 21, 87561 Oberstdorf, Telefon: 083 22 / 96 78-0, Telefax: 083 22 / 96 78-43, E-Mail: kontakt@landhaus-freiberg.de, Ballonfahrten veranstaltet z. B. Skygate, Jo Milbert, Brüder-Zimmermann-Str. 4 in 86989 Steingaden, Telefon: 08862 / 932424; www.SKYGATE-ballonfahrten.de, E-Mail: info@SKYGATE-ballonfahrten.de
Anmerkung:
Siehe auch die Beiträge
- Ein ganz vitales Tal: das Tannheimer Tal in Tirol von Dagmar Krappe
- Mitten in den Tiroler Bergen: das Marent – Christian und Alexander Marent kochen jetzt in ihrem eigenen Hotel von Henno Heintz
im WELTEXPRESS.
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