Andrea Levy, 1956 als Kind jamaikanischer Einwanderer in London geboren, spinnt sich in diesem kernigen und frechen Roman die Geschichte ihrer Vorfahren aus. Das Ganze spielt im Jamaika des 19. Jahrhunderts und beginnt mit der oben zitierten Zeugung von July, einer Haussklavin auf der Zuckerplantage Amity. Alles Weitere scheint vorprogrammiert: ein entbehrungsreiches Leben unter weißer Willkür-Herrschaft. Aber die junge July, durch ihre Stellung als Dienstmädchen bereits ein wenig privilegiert, gerät mitten in die Wirren der Aufstände und erlebt das Ende der dreihundert Jahre währenden Sklaverei hautnah mit. Das Besondere an dieser äußeren wie inneren Befreiung aus der Sklaverei ist die humorvolle und tiefgründige, ja bisweilen abgründige Erzählweise Levys. Hier wird getrickst und geneckt, gerülpst und gesoffen, dass sich die Farmhausbalken biegen. Die Autorin springt dermaßen phantasievoll in eine ferne Zeit, dass der Leser sich einen Film versetzt fühlt und obendrein zu riechen glaubt, die Blüten, den Regen, den Staub. Liebe und Schläge, das Blut der Sklaven und den Ruß verbrannter Hütten. Das ist großartig! Andrea Levy zählt in England zu den bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart, sie schreibt Beginn der neunziger Jahre.
Was Andrea Levy mit leiser Ironie lakonisch herunterschnurrt, ist nicht nur ausgiebig recherchiert, sondern auch noch so kunstvoll in Sprache und Takt versetzt, dass selbst ihre July-Erklärung der Hautfarben-Abstufungen zu einer gänsehauterzeugenden Anti-Apartheid- Deklaration gerät; lesen Sie selbst:
„Der Teerpinsel, geneigter Leser, schlägt schnell zu. Denn eine Mulattin und ein Neger, oder eine Terzerone und ein Zambo haben das Unglück, ein rückläufiges Kind hervorzubringen. Und ein dunkelhäutiger Abkömmling wird nirgends hingeschickt als auf die Felder, wo er mit den Negern essen muss. Eine Mulattin mit einem Mulatten oder eine Terzerone mit einem Terzerone, und schon stillst du ein „tente en el aire“ – ein Kind in der Schwebe. Diese Kinder steigen weder zu den Weißen auf, noch sinken sie zu den Negern ab. Nur bei einem weißen Mann gibt es die Gewähr, dass die Hautfarbe deines Wurms sich aufhellt”¦“
Ein Dank gebührt der feinfühligen Übersetzung von Hans-Christian Oeser, der dieses ungewöhnliche Roman-Juwel erst richtig strahlen lässt!
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Andrea Levy, Das lange Lied eines Lebens, Roman, Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser, 368 S., Deutsche Verlags Anstalt, München, März 2011, 19,99 €