„`Cause You all look the same, Everyone knows Your name, And that ´s Your whole claim to fame.“ (Amy Winehouse)
„Die gängige Vorstellung, dass internationale Marken und Popkultur unsere Welt in eine gesichtslose Gesellschaft voller Klone verwandelt haben, entstammt einer Science-fiction-Vision alter Schule, die in Wahrheit nichts mit der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts zu tun hat.“, behauptet Facehunter in seinem Vorwort. Leider scheint es, als habe der Fotograf und Blogger bei seiner Beweisführung geschummelt. Trotz seiner Theorie musste er um die Welt reisen, um seine Motive zu finden. 33 Metropolen in über zwanzig Ländern. Gefunden hat er rund 300 Persönlichkeiten, deren Stil und Aussehen ihm interessant genug für sein Buch erschienen. 300 unter Millionen – eine magere Ausbeute. Natürlich ist es möglich, dass Ivan Rodic Kisten voller ungenutzter Fotografien hat, welche aus Platzgründen nicht in den Bildband aufgenommen wurden, doch angesichts der verwendeten Motive scheint es unwahrscheinlich. Ist die Kombination weißes Top und Jeans so bemerkenswert? Banker in Weste und Anzug sieht man jeden Tag in der U-Bahn und zum Minikleid umfunktionierte Oberteile in Übergröße trägt auch Misch Barton. Nicht das einzige Kleidungsstück, welches die Frage aufwirft, wie innovativ die zur Schau getragenen Kleidungskombinationen tatsächlich sind. Eine besser geschneiderte Variation des weißen Kapuzengewands auf Seite 65 trug Kylie Minogue im Video zu ihrem Hit „Can ´t get You out of my head“. Die in Wolle gehüllte Frau in den Straßen Stockholms (Seite 246) erinnert an Björk. Einen grauen Pullover mit Anker drauf, trug schon der große Bruder (in der Grundschule). Etwa zur selben Zeit lief man selbst in bunten Leggins (mehrfach abgebildet) rum. Sämtliche Beweisfotos wurden mittlerweile sorgfältig vernichtet.
Vielleicht wird auch Facehunter seine Aufnahmen gegen Modelle verteidigen müssen, die zu Mode-Opfern wurden beim Versuch, keine Fashion Victims zu sein. Und dann schnell eine Kette aus Lego um den Hals gehängt oder einen Game Boy. Ist das jetzt Retro, weil letztes der alte graue Game Boy ist? Schnappschüsse wie dieser sind witzig – zu witzig, um als Symbol einer neuen Individualität standzuhalten. Sie erinnern mehr an Herumalbern im Kostümladen: Guck mal, ich hab ´ne Federboa um. Die meisten der abgebildeten Menschen wirken weder besonders originell noch extravagant gekleidet. Sie sehen normal aus, sympathische Typen, denen man auf der Straße begegnen könnte. Genau wie Facehunter es tat. Diesen Aspekt kann man dem Buch zum Vorteil auslegen. In unserer scheinbar so eintönigen Welt liegt das modische Glück auf der Straße. Das Außergewöhnliche läuft uns jeden Tag vor der Nase herum, wir müssen nur richtig hinsehen. Aus dieser Perspektive wird Facehunter zu einem stilistischen Missionar, dessen Ziel es ist, den durch die ausdruckslose Maske, welche die Modewelt in der Werbung repräsentiert, abgestumpften Menschen die Augen zu öffnen.
„Sie werden assimiliert.“ (Star Trek)
Man kann es auch anders sehen. Die alltägliche Mode ist so uniform geworden, dass selbst ein Blümchenkleid extravagant erscheint, wenn es nicht von Topshop ist. Die Anpassung an das von der gesellschaftlichen Mehrheit in stummem Einvernehmen geforderte Ideal ist längst zum Zwang geworden. Erdrückend, omnipräsent. Ein hellblauer Petticoat ist Rebellion dagegen. Nur Helden tragen Bowlerhüte. Den bewussten Bruch mit der Norm begleiten im Alltag zumindest scheele Blicke: „Guck dir die an!“ Doch darüber redet in „Facehunter“ niemand, der Autor schon gar nicht. Facehunters als Gegenargument zum Einheitsregime der Modebranche gedachter Kommentar bestätigt unterschwellig dessen Gültigkeit: „Die große Mehrheit der Leute kann sich viel besser mit schönen normalen Menschen als mit großen dürren Models identifizieren, die Outfits im Wert von 30.000 Dollar tragen.“ Normal. Schön. Ohne Trennungszeichen verschmelzen die Worte zum Konstrukt des „schönen Normalen“. Bizarr, kurios, außergewöhnlich, individuell – sie alle sind Gegensätze des Normalen, somit im Kontext des Zitats indirekt des Schönen. Hässlich darf keiner der Abgebildeten sein. Rodic will keine zweite Diane Arbus sein. Fast ausnahmslos sind seine Modelle jung, schlank, hübsch. Seinem Untertitel wird Facehunter gerecht. Die Straße wird zum Catwalk. Nicht zufällig liegt der nahe der Modemessen und Fashion-Veranstaltungen, wo Facehunter viele seiner Modelle aufspürte. Facehunters eigene Originalität wird dadurch in Frage gestellt. Letztendlich erfasst seine Kamera die gleiche Konformität, welche sie widerlegen will, dort wo sie sich am besten tarnt: am Laufsteg. Tom Ford, Valentino und Marc Jacobs lassen regelmäßig Models in grotesken Weltraumkostümen und untragbaren Tiergewändern auftreten. Der Affront gehört zur Show. In dem sicheren Rahmen, den er nie verlässt, wo man ihn erwartet und einordnen kann.
„Jeder entwickelt sich zu seinem eigenen Stilberater und findet damit letztendlich zu sich selbst.“, verkündet Rodic in seinem Vorwort. Aber warum befinden sich die Modeinteressierten dann angeblich „auf der Suche nach einer Webseite (sic!) wie der meinen“? Ist ein Stilberater, der rät, keinem Stil zu folgen, nicht auch ein Stilberater? Wäre die „Kreolisierung“ der Mode Realität, würde Ivan Rodic kein Aufsehen erregen. Indirekt triumphiert die Modediktatur in seinem Schaffen, auch wenn man wünschte, dass er Recht hätte. Ähnlich erging es schon dem von Rodic zitierten Nietzsche. Der ist heute genauso tot wie Gott.
Yvan Rodic: Facehunter – Die Straße als Catwalk, Prestel, 2010, 320 Seiten