Mein Block – Drei Geschwister erzählen von ihrem Leben zwischen Heimat und drohender Abschiebung in „Neukölln Unlimited“ bei Berlinale Generations

„Neukölln Unlimited“ unterstreicht besonders in seinen Anfangsszenen die Stereotypen, welche er kritisieren will. Es tönen Kommentare von der Leinwand wie„Missgeburt, Alter!“, „Wie arm bist du?“, „Nerv ´ nicht, Mann!“, „Warum redest du?“ Die letzte Frage stellt sich auch ein Teil der Zuschauer und verlassen das Kino. Sie sehen nicht, dass Lial, Hassan und Maradona das negative Klischee des ungebildeten, aggressiven Emigrantenkindes widerlegen. Seit ihrer frühesten Jugend leben sie mit ihrer Mutter in Berlin-Neukölln. Wie lange sie noch bleiben dürfen, wissen sie nicht. Vor Jahren wurde die Familie Akkouch schon einmal in den Libanon abgeschoben. Heute leben die Kinder und ihre Mutter mit der Angst, dass die Beamten wieder in der Nacht vor der Tür stehen könnten. „Neukölln Unlimited“ begleitet die Geschwister bei den Breakdance-Wettbewerben und Konzerten, an denen sie teilnehmen. Mit ihrem Gewinn und dem Einkommen der älteren Geschwister Lial und Hassan wollen sie den Aufenthalt ihrer Familie in Deutschland finanzieren und ihr so das Bleiberecht erkämpfen. Ungeachtet der misslungen die Aufmachung der Dokumentation überzeugen die Jugendlichen mit ihrer Persönlichkeit und der Intelligenz, mit welcher sie soziale und persönliche Aspekte der Themen Integration, Einwanderer und soziale Konflikte ansprechen. „Wenn man groß ist, muss man erst einmal selber verstehen, dass man kein Ausländer ist, sondern ein Deutscher.“, sagt Hassan: „Dann wird die Integration ganz einfach, weil du sagst.: Das ist mein Land.“

In einer öffentlichen Diskussionsrunde steht Hassan dem Innenminister Eberhard Körting gegenüber. Der Kommentar des Politikers, man müsse Menschen, von deren Aufenthalt das Land Berlin und Deutschland nicht profitieren, ihr Aufenthaltsrecht entziehen, ließe sich ebenso auf deutsche Staatsbürger beziehen. Hassan erklärt, dass es Unrecht ist, eine Familie in ein Krisengebiet abzuschieben und dass seiner Familie die Abschiebung droht, obwohl sie unbescholten und offensichtlich „integriert“ – wie auch immer man den Begriff auslegen mag – sind. Gegen die stichhaltige Argumentation des Jugendlichen können die polemischen Kommentar des Ministers nicht bestehen. Womöglich zählt Herr Körting zu jenen Berlinern, die Neukölln privat aus Prinzip meiden und angesichts von Jugendlichen wie Lial, Hassan und Maradona furchtsam ihr Handy umklammern („11 ist schon gewählt. Falls die herkommen, muss ich nur noch die 0 drücken.“). Gegenüber seinem 15-jährigen Bruder nennt Hassan diese voreingenommenen Menschen als Grund, zu Schule zu gehen und straffrei zu bleiben:“Die denken: der ist Ausländer, der baut nur Scheiße, der ist kriminell. Solchen Idioten gibst du dann mit deinem Verhalten Recht.“ Die Jugendlichen und ihre durchdachten Aussagen verdienen einen anspruchsvolleren Rahmen, als „Neukölln Unlimited“ ihn bietet. Die Toleranzbotschaft könnte dennoch ankommen: Ausdrucksschwierigkeiten hat Hassan nicht: „Ich komme ja nicht aus Prenzlauer Berg.“, sagt der 18-jährige, bevor er auf der Bühne vor seinem Publikum einen Rap beginnt: „Ich komme aus Neukölln.“

Titel: Neukölln Unlimited

Berlinale Generations

Land/Jahr: Deutschland 2010

Genre: Dokumentarfilm

Regie und Buch: Agostino Imondi, Dietmar Ratsch

Mit: Hassan Akkouch, Lial Akkouch, Maradona Akkouch,

Laufzeit: 96 Minuten

Verleih: GMfilms

Internet: www.neukoelln-unlimited.de

Bewertung: **

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