Wenn wir uns bei der Rubrizierung „Präraffaeliten` gerne bedeckt halten, hat das damit zu tun, daß die hohe Zeit der englischen Jünger schon vor 1850 begann, diese dem Mittelalter auch im Brauch der Bruderschaft anverwandelte Gruppe, die ihr künstlerisches und seelisches Heil in der Zeit vor Raffael sahen – ihre Werke allerdings haben dann gerade mir Raffael und besonders Botticelli viel zu tun – und deshalb, auch motiviert durch die Aufbruchsbewegung der deutschen Künstler in Rom und Wien, – die Nazarener, diese religiös gestimmten Romantiker vom Beginn des 19. Jahrhunderts, – zu einer neuen Lebensform strebten, einem natürlichen Leben, das auf jeden Fall vorindustriell sein und wie aus einem Guß gestaltet sein sollte: sprich das Leben ein Kunstwerk und alles einem einheitlichen Ästhetizismus unterworfen, also ein Gesamtkunstwerk. Wobei wir bei James Morris sind (Arts and Crafts Bewegung), der auch als Freund und Förderer Burne-Jones in Stuttgart eine große Rolle spielt.
Die wichtigsten Präraffaeliten sind Dante Gabriel Rossetti und John Everett Millais, zu denen William Holman Hunt stieß und die erst durch das öffentliche Eintreten des arrivierten Kunsttheoretikers John Ruskin öffentliche Anerkennung für ihre Darstellungen der Natur erhielten. In Deutschland hatte die Ausstellung „Prüderie und Leidenschaft“ über den“ Akt in der viktorianischen Zeit“ in München 2001/2002 diese Maler und ihre Epigonen prächtig gezeigt und in Berlin waren dann im Jahr 2004 die Präraffaeliten selbst zu Gastselbst; jüngst war in Amsterdam eine monographische Ausstellung zu John Everett Millais zu sehen, die ebenfalls die erste auf dem Kontinent war und sensationell für die, die den Maler überhaupt nicht kannten. Das alles muß man wissen, will man den spätgeborenen Burne-Jones künstlerisch einschätzen, und sich dann auch noch eingestehen, daß sich Symbolismus und Jugendstil auch daraus speisen, aber man kann es auch gleich wieder alles vergessen, denn die Stuttgarter Ausstellung ist eine, die die Absichten des Malers, was ihn bewegte und wem sein Werk diente, in aller Deutlichkeit von alleine zeigt.
Das beginnt schon beim dramatischen Auftakt im Eingangssaal. Das Gegenüber erschlägt einen fast und irritiert einen dann länger, denn die Form des fast die gesamte Rückwand einnehmenden Gemäldes – 279.4 x 650.24 cm – ist gewaltig, auf der Darstellung gibt’s ein Gewusel, wobei die Personen vereinzelt sind, aber auch Gruppen bilden und auf den verschiedenen Ebenen, im Hocken, sitzen oder Stehen die Köpfe isokephal ausgerichtet sind. Das Gemälde ist mit dem, in der Mitte unter einem güldenen Baldachin Liegenden streng symmetrisch ausgerichtet ist, was dem Bild etwas Starres, besser Erstarrtes gibt, als ob gerade jemand Puppen den Strom ausgeschaltet habe. Eine Totenklage, denken wir zuerst, von der Stimmung her und den auf dunklem Hintergrund in Grün- und Rottönen Gekleideten, von denen einige Musikinstrumente spielen, vor allem aber von der auffällig ihre Hände dramatisch über dem Kopf spreizenden Dame in weißen Schleier auf der Linken, in deren Schoß das Haupt des einzige Mann auf dem Bild ruht, ihr gegenüber eine gekrönte Dame in Grün, die in antikem Trauergestus beide Hände an die Wangen gelegt hat und auf deren Schoß des Mannes Füße liegen, von all diesem zu solcher Assoziation der Totenklage verführt. Mitnichten. Hier schläft König Artus in Avalon, einer der Haupthelden der das Mittelalter verehrenden Künstler.
Und vor diesem Bild, das übrigens aus Puerto Rico über den Teich nach Stuttgart kam, kann man gleich eines für die ganze Ausstellung lernen. Aus der einheitlichen Sicht auf das Leben und bedingt durch die Orientierung ins Mittelalter wurde der Zyklus das wesentliche methodische Instrument, vergangene, aber ewig gültige Geschichten zu erzählen. Die englische Mythologie wird dabei bevorzugt, aber auch die Antike, das Christentum, alles steht zur Verfügung, eine sittsame, das Gute siegen lassende, romantisch-dramatische Schilderung niederzumalen, wo meist ein Mann eine hilflose Maid rettet, erlöst oder liebt. Einzelbilder gibt es also kaum – das gilt für die Stuttgarter Ausstellung, denn ansonsten war Burne-Jones ein beliebter Porträtist – und das Malen von Zyklen zeichnet Burne-Jones aus wie keinen anderen. Es fußt auf der Leidenschaft zur Literatur, die das 19. Jahrhundert nicht nur in England erfaßt hatte, über Erzählungen aus der nationalen Geschichte sich seines eigenen Standortes in der Welt zu versichern. Das was Rossetti William Blake war, wurde ihm und Freund William Morris die Artus-Sage mit den Motiven des Grals, des Freundeskreises, des tiefen Schlafes, aus dem er erst wieder erwacht, wenn das Volk aus England und Wales ihn ruft, so wie Friedrich Barbarossa ja auch noch im Kyffhäuser am Rande des Harz sitzt und wartet.
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Katalog: Edward Burne-Jones, Das Irdische Paradies, Hatje Cantz 2009
Der Katalog besticht beim Aufschlagen erst einmal mit den inneren Umschlagseiten, weil Sie dort herrliche weiße Lilien vor einem Holzzaun erblicken, der dem Grün im Vordergrund ein Gesicht gibt, aufgelockert mit roten Schönheiten. Sie sehen das und denken an all die mittelalterlichen Gobelins, in denen Ritter um die Schönen kämpfen oder Sänger auf ihrer Klampfe von Minne singen. Und tatsächlich ist dies ein Entwurf für einen Teppich, denn der Katalog führt alle die Kunstproduktionen auf, die Burne-Jones auch noch erledigte, wie die Einrichtung von Häusern, ganz im Stil der Idee vom Gesamtkunst. Der Katalog gliedert sich nach den ausgestellten Zyklen und die Texte bringen auch dem noch Neues, der die Szene ganz gut zu kennen glaubt. Die Gemälde sind gut sichtbar und die Zeichnungen berückend schön. Nur den Schlaf des Königs Artus hat man auf eine Drittel Seite zusammengequetscht. Wahrscheinlich ist das Format daran ’schuld`, aber dies hätte man durch den Abdruck auf zwei Seiten gut lösen können.
Ausstellung: bis 7. Februar 2010 in Stuttgart, anschließend vom 19. März bis 25. Juli 2010 im Kunstmuseum Bern
Internet: www.staatsgalerie.de