Katrin Schmidt hat es mit der Sprache, sie zaubert scheinbar leichtfüßig. Baut aus kleinsten Situatiönchen Romane in Kurzform. Ihre Erzählungen haben Wucht und Knall. Das Buch muss immer wieder beiseitegelegt werden, zu stark sind hier Satz und Bild. Es geht um den heißen Brei, den roten Faden, die Bitte nach Leber, Königsberger Klopse oder den Weg nach Molauken. Manche Texte sind nur einige Seiten lang, wenige mehr als zehn. Es genügt ihr, die auch die lange Romanform beherrscht, einen Gedanken wie eine Seifenblase davon zu pusten, tanzen zu lassen.
Erst mit ihrem vierten Roman "Du stirbst nicht", einem fiktionalisierten Bericht über die Rückkehr ins Leben nach einer Hirnblutung, erhielt Kathrin Schmidt die Resonanz eines großes Lesepublikums und des Feuilletons, die ihr schon lange gebührten. Begonnen hat die studierte Psychologin mit Gedichten. Ihre Erzählungen, die zum Teil viele Jahre auf diese Veröffentlichung warteten, sind ein Schritt des Heraustretens. Ihre Autorin verblüfft durch eine überbordende Phantasie, eine stets überraschende Auflösung und viel Humor. Da gibt es eine Frau Ypsi, die über eine Annonce an ihren Zukünftigen gerät, beide wunderbar vereint ergeben den Namen Ypsi-Lon. Kathrin Schmidt arbeitete unter anderen eine Weile bei gleichnamiger Zeitschrift, was ihr vielleicht den Gedanken für dieses Wortspiel gab. In ihren Geschichten kommt einiges vor, was unser reales Leben ausmacht, Einsamkeit, Armut, Angst vor der Vergangenheit, das Mitschleppen von Vorurteilen, die jüngste deutsche Geschichte. Ergreifend zum Beispiel ist die Geschichte „Laubers Lachen“, in der ein einsamer Mann einen Bericht über die Kinder aus Namibia sieht, die in der DDR aufwachsen durften und gleich nach dem Fall der Mauer zurückgeschickt wurden in ein Land, das ihnen nicht mehr heimisch war. Der Mann beschließt, eines dieser ehemaligen DDR-Kinder zu suchen”¦
Es schwelt etwas unerfüllt weibliches, dräuendes in diesen Texten, das an Urinstinkte gemahnt und an ein Erwachen. Die Frauen in Kathrin Schmidts Erzählungen wachsen und entfalten sich, nehmen sich, was sie wollen, oder zerstören, was sie stört. In der fünfseitigen Geschichte „Hinter A.“ ahnt der Leser böses, wenn er folgendes präsentiert bekommt: „Die Landschaft habe ich immer bewundert, weil sie so flach war, wie ich nie hätte werden können. Als mein Mann mir die Haare aus der Stirn strich, bekam ich Lust, unseren kleinen Hund aus dem Fenster zu werfen, der mir auf den Knien hockte und treuherzig zu mir aufschaute.“
Fazit: Ein betörendes und verstörendes Sinnes-Feuerwerk – unbedingt lesen und weiterempfehlen!
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Kathrin Schmidt, Finito. Schwamm drüber. Erzählungen, 237 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln, März 2011, 17,95 €