Madeira zeitgenössisch und kreativ – Zum digitalen Musikfestival nach Punta do Sol

Vollmond über dem Atlantik, Sternenhimmel und milde Luft. Auftakt zur Aftershow-Party ist eine Klangimprovisation des Berliners Dirk Dresselhaus alias Schneider TM. Dazu bewegt sich Tänzerin Tomoko Nakasato aus Japan akrobatisch-meditativ in einem federleichten weißen Kleid, das in der sanften Brise flattert. Ein DJ mischt elektroakustische Popklänge und das bunte Publikum bewegt sich noch bis spät in die Nacht in den surrealen Farben der Lichtanlage. Manch einer nickt auch nur rhythmisch über den Glasrand dem Gesprächspartner zu. Australier, Kanadier, Norwegen, Briten, Franzosen, Deutsche und an avantgardistischem Digitalpop interessierte Madeirer treffen hier zusammen. Musiker, Künstler und Leute, die nach Abwechslung suchen. Das war im vergangenen Jahr auf der Terrasse des Hotels Estalagem Ponta do Sol, hoch oben auf einem Felsplateau über dem Atlantik.

André Diogo, der Direktor des mit kubischen Glasanbauten und minimalistischer Dekoration feinfühlig zu einem Designhotel mit 54 Zimmern umgebauten ehemaligen Herrenhauses Quinta da Rochinha, ist seit acht Jahren Sponsor des Festivals. »Die Quinta liegt einfach an einem Ort, der zur Kreativität inspiriert, und es wäre schade, dieses Potenzial nicht weiterzugeben«, sagt er. Terrasse und Pool schweben geradezu über dem Atlantik und wenn abends die Sonne untergeht, und die Konturen des Drachenbaums im Garten hervorhebt, während im Hintergrund die Passatwolken über den Bergen hängen, ist es zauberhaft.  »Jeden Freitag feiern wir den Sonnenuntergang mit einer Party für Gäste und das ganze Jahr gibt es Events mit Live-Musik und Installationen oder Ausstellungen lokaler Künstler. Dead Combo waren gerade hier und Kimi Djabate aus Guinea- Bissau, aber das viertägige Madeira Dig bleibt ein Highlight.«

Diogo engagiert sich als Kulturmanager und das ins achte Jahr gehende Festival ist inzwischen so erfolgreich, dass zusätzliche Gäste auf das kleine Hotel da Vila unten am Strand und auf weitere Hotels der Umgebung ausweichen müssen. Sie staunen dann am meisten über den Aufzug, der die steile Strecke von der Straße unten bis nach oben auf die Klippe überwindet, auf der das Hotel ein so relaxtes Ambiente bietet.

Madeira Dig 2012

Als komponierende Knöpfchendreher, die zwischen Klubmusik und Klassik nach bizarren Klangerlebnissen forschen, haben sich für 2012 u.a. Biosphere aus Norwegen, der Australier Oren Ambarchi, Jana Winderen und Sculpture aus Großbritannien und Palmer Eldricht sowie das ZNGR Electroacoustic Ensemble aus Portugal für Konzerte angekündigt. Der Berliner Festival-Veranstalter Digital in Berlin hat sich Madeira sozusagen als Escape vom winterlich grauen Alltag für die sonst allzu computergesteuerte internationale Szene der digitalen Musik ausgesucht. Michael Rosen, der Madeira Dig seit sechs Jahren von Berlin aus organisiert, kennt sich inzwischen gut auf der Vulkaninsel aus. »Klar, die Leute tauschen sich aus, erholen sich am Tag, aber ein wenig von der Insel sollen sie auch gemeinsam erleben. Zum Beispiel eine Wanderung durch Madeiras Lorbeerwald.« Das ist nicht zuletzt eine logistische Aufgabe, Bustransfers und Guides inklusive. Die rustikale Wanderhütte muss vorgewarnt werden, damit für um die 50 hungrige Wanderer genügend frisch gegrilltes Fleisch vom Spieß vorhanden ist. Abends geht es mit dem Bus zu den Konzerten. Im Auditorium mit 200 Plätzen des für Madeira sehr großen Kunstzentrums Casa das Mudas in Calheta wird es dann ernst mit der digitalen Musikperformance. Ob es einem gefallen hat oder nicht, auf dem Rückweg im Shuttle gibt es mit Sicherheit etwas zu diskutieren.

Madeira punktet mit Szene-Events

Der deutsche Architekt Paulo David der massiven Steinquader, die an der Steilküste hier weniger überdimensioniert wirken als sie sind, war auch im Konzert: »Gut, wenn hier etwas stattfindet», freut er sich, denn der 2004 eröffnete Kunst- und Eventtempel wird weniger genutzt, als die Inselregierung sich das ausgemalt hatte. So ist die Ausstellung für zeitgenössische Kunst, die man sich tagsüber ansehen könnte, immer noch dieselbe wie im ersten Jahr.

Von wechselnden politischen Winden oder Krisenstimmungen ist das private Engagement des aufgeweckten Madeirers André Diogo offensichtlich nicht abhängig. Er setzt auf ein Nischenpublikum und hat zwei Tage im Anschluss an das Madeira Dig hat er schon wieder das nächste Festival initiiert. Madeira Micro International Film Festival, bis zum 8. Dezember 2012, in dem 100 Jahre alten Art-déco Kino Cinema Paradiso von Ponta do Sol. »Surreale Filme, Fantasy, mit Blickblick vom Kino«, schwärmt er. Neben Gesprächen mit ebenfalls begeisterten lokalen Szenegängern bliebe noch Zeit, in Funchal Madeiras Degenfisch zu probieren, Fado zu hören oder Strelitzien in der Markthalle zu kaufen. Aber ein Klischeeurlaub auf der Blumeninsel Madeira, wie sonst in Reisekatalogen angepriesen, wird das nicht. Besser! Und wer wollte da nicht Sylvester wiederkommen und das berühmte Feuerwerk vor Funchal erleben, das im Guinessbuch der Rekorde steht? Ja, doch? Passt schon eher ins Madeira-Klischee und kann deshalb vielleicht erst 2013/14 gebucht werden. Dann aber rechtzeitig  …

Informationen

Tourismusinfo Madeira, Avenida Arriaga 16, 9004-519 Funchal, Tel. 00 351/291 21 19 02, Mo–Fr von 9–19, Sa, So und Fei 9–15 Uhr am Flughafen: tägl. 9.30–21.30 Uhr. Website: www.visitmadeira.pt
Übernachten in einer Qinta: www.quintas-madeira.com
Infos zu den Quintas von Madeira: Pura Comm, Lina Leite, Nibelungenstr. 68,”¨80639 München,”¨Tel. 089 15 79 13 13, Website: www.puracomm.eu
Nicht versäumen: Madeira Dig 2012, 30.11.–3.12. 2012, Tagesticket 15 €, alle vier Tage 50 €. Infos: http://madeiradig.com

Konzerte: Casa das Mudas, Centro das Artes, Vale dos Amores, 9370-111 Calheta, Tel. 0035/1 291 82 09 00.

APCA-Madeira,”¨Rua Pimenta Aguiar, 2e,”¨9000-026 Funchal, Tel. 0035/1 291 09 81 32, Berlin Office,”¨ Digital in Berlin, ”¨Schwedter Straße 52,”¨ 10435 Berlin, Tel. 030/74 92 11 95, Email: ”¨michael@digitalinberlin.de, Website: www.digitalinberlin.de

Festival-Hotel: Estalagem da Ponta do Sol, Quinta da Rochinha, Caminho do Passo 6, 9360-121 Ponta do Sol, Tel. 00 351/291 97 02 00, Website: www.pontadosol.com, Email: info@pontadosol.com
Hotel da Vila, Rua Dr João Augusto Teixeira, 9360 – 215 Ponta do Sol,
Tel. 00351/ 291 97 33 56, 16 Zimmer mit Meerblick.

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