Der hatte am Sonntag zum zehnten Male zu einem Mitsingkonzert geladen. Schon in den ersten Tagen der Ausschreibung meldeten sich – wie erwartet und gewohnt – Sänger und Chöre aus vielen deutschen Städten sowie aus Dänemark, England, Frankreich, Italien und Polen. 1275 Teilnehmer wurden zugelassen. 1000 Plätze blieben für Besucher reserviert. Denn was wäre eine Konzert ohne Zuhörer? Anreisen musste jeder Teilnehmer auf eigene Kosten, und auch für den »Platz« in der Philharmonie waren 25 Euro zu zahlen. Für alle, die dabei waren, waren das offensichtlich keine Hürden.
Die begeisterten Laiensänger probten einen ganzen Tag mit Simon Halsey und den Profi-Kollegen, um der »Nelsonmesse« von Joseph Haydn – mit der sie sich schon lange zuhause beschäftigt hatten – den letzten Schliff zu geben. Für alle zudem ein großes Erlebnis, mit bekannten Solisten zu arbeiten. Auch Iwona Sobotka (Sopran), Anke Vondung (Alt), Dominik Wortig (Tenor) und Michael Kupfer (Bariton) hatten sichtlich Spaß an der Freude. Das Ergebnis war gewaltig. Die Berliner Philharmonie schien fast zu bersten unter der Stimmgewalt. Der Beifall war dementsprechend.
Da auch die meisten der Besucher nicht zum ersten Mal ein Mitsingkonzert besuchten, sind wahrscheinlich nur wenige über den Begriff »Mitsingen« gestolpert. Ein »Neuer« hat vielleicht damit gerechnet, einmal mit einstimmen zu können in ein Volkslied oder einen Choral. Aber angesprochen waren allein routinierte Chorsänger. Die vom Blatt singen können. Für sie ist es ein Gewinn, denn große Werke wie die Haydn-Messe oder das für 2013 geplante Oratorium »Der Messias« von Georg Friedrich Händel kann ihr eigener Chor nicht aufführen. Sie fühlen sich bereichert durch das Lernen an großen Werken. Sie dürfen mit dem berühmten Rundfunkchor singen, in der Philharmonie – ein Erlebnis, das ihr Selbstvertrauen hebt. Ihr Erfolg zieht neue Chormitglieder an. Das Mitmachendürfen ist ihnen die Ausgabe wert, für die Sänger aus Kiel zum Beispiel 150 Euro für Reise und Hotel. Über eventuelle Interessenten, die sich das Spaßvergnügen nicht leisten können, kann niemand etwas sagen. Auch wissen die Organisatoren nicht, wie die Nachfrage in Ost und West ist.
Wie das »Mitsingkonzert« auf die Chorbewegung im Lande ausstrahlt, läßt sich nicht sagen. Offensichtlich fühlen sich aber nicht einmal alle Berliner angesprochen. Bekanntlich wohnen in der Stadt längst Migranten aus vieler Herren Ländern, in denen die Sangeskultur einen hohen Stellenwert besitzt und die auch in der neuen Heimat gerne singen. Aber ein türkischer oder arabischer Chor war leider nicht dabei.
Gibt es eine elitäre Volkskultur? Die Kulturen der Welt sind auch hier noch fremde Welten. Das könnte sich ändern bei der »Liederbörse – das Mitsingkonzert für Berliner Schüler« am kommenden Sonnabend im Rundfunkhaus Masurenallee. 700 Berliner Schüler, Schulchöre aus Grund- und Oberschulen wollen Berliner Lieder, Songs und Gassenhauer singen. Jede Schule soll ihren Kiez zeigen. Hier treffen sich alle Nationalitäten. Laßt hören. Beginn 14 Uhr.