Langzeitqualität von Reifen im Test – Michelin: Autofahrer tauschen Reifen oftmals zu schnell

Während der Wagen mit dem neuen Michelin-Reifen (Typ A) einen Bremsweg von 34,2 Metern benötigt, sind es für den ebenfalls neuen Wettbewerber (Typ B) aus gleicher Geschwindigkeit 46,8 Meter. Der gebrauchte Michelin-Reifen kommt mit 42,8 Metern sogar deutlich eher zum Stehen als dieser. Der gebrauchte Wettbewerber steht erst nach 56,3 Metern. © Michelin

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wohlgemerkt: Hier geht es jetzt nicht um den Tausch von Sommer- auf Winterreifen. Den sollte wohl jeder sicherheitsbewusste Fahrer schon vollzogen haben oder zumindest gerade dabei sein. Es geht darum: Michelin, einer der führenden Player auf dem internationalen Reifenmarkt, plädiert dafür, die Reifen tatsächlich bis zur geforderten Profiltiefe zu fahren.

Während der Wagen mit dem neuen Michelin-Reifen (Typ A) einen Bremsweg von 34,2 Metern benötigt, sind es für den ebenfalls neuen Wettbewerber (Typ B) aus gleicher Geschwindigkeit 46,8 Meter. Der gebrauchte Michelin-Reifen kommt mit 42,8 Metern sogar deutlich eher zum Stehen als dieser. Der gebrauchte Wettbewerber steht erst nach 56,3 Metern. © Michelin

Was ist das denn, wird sich jetzt mancher fragen. Wollen die weniger Reifen verkaufen, als sie könnten? Welches Unternehmen, dessen Profit enorm wichtig ist, macht denn so was? Der französische Reifenhersteller Michelin mit weltweit 70 Werken in 17 Ländern auf fünf Kontinenten und 114 000 Mitarbeitern fordert bei Mitbewerbern und Kunden ein Umdenken, wenn es um den Austausch gefahrener Reifen geht. Viele Autofahrer würden ihre Reifen bereits bei einer Profiltiefe von mehreren Millimetern tauschen, dabei liege die gültige Norm dafür erst bei 1,6 Millimetern. Durch solch überflüssige Tauschaktionen, so Berechnungen von Michelin-Experten, würden in Europa rund 6,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid unnötigerweise freigesetzt und 6,9 Milliarden Euro für 126 Millionen Reifen vorzeitig ausgegeben.

Diesem Problem hat sich Michelin gestellt und eine Kampagne für Sicherheit und Leistung gefahrener Reifen ins Leben gerufen. Das Ergebnis wurde Motorjournalisten unlängst präsentiert. Nach Michelins neuer „Long Lasting Performance Strategie“ werden Reifen entwickelt, die bis zum Erreichen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe alle Anforderungen an Leistung und Sicherheit voll erfüllen. In diesem Zusammenhang fordert Michelin nicht nur Tests und Vergleichtests von Neureifen, sondern auch von Gebrauchten. Für diese Entwicklungsarbeiter hielt Michelin bereits im Sommer den renommierten „German Innovation Award“.

Bis zur Mindestprofiltiefe

Die Fotos stellen unter Beweis: Auch ein gebrauchter Reifen (Bild 4) leitet zuverlässig Fahrbahn-Wasser ab. © Michelin

Während sich Teile der Branche derzeit für eine höhere Mindest-Profiltiefe einsetzen und manche Reifenhersteller, Prüforganisationen und Automobilclubs sogar empfehlen, Winterreifen mit weniger als vier Millimetern und Sommerreifen mit weniger als drei Millimetern Restprofil zu ersetzen, tritt Michelin dafür ein, die Reifen tatsächlich bis zum Erreichen der Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern zu fahren. Dafür, so der französische Hersteller, müssten künftig Reifen nicht nur im Neuzustand, sondern auch gefahrene Reifen auf ihre Langzeitqualitäten bis zur Nutzungsgrenze getestet werden, denn die Qualität und die Eigenschaften der Reifen würden sich im Laufe ihres „Lebens“ verändern.

Nicht nur zum Negativen: In mancher Hinsicht gibt es sogar Verbesserungen gegenüber Neureifen. So weist ein gefahrener Reifen auf trockener Fahrbahn mehr Grip und einen kürzeren Bremsweg als ein Neureifen auf. Das ist besonders bemerkenswert, da die europäischen Straßen über das Jahr betrachtet im Durchschnitt zu 70 Prozent der Zeit trocken sind. Außerdem verbessern sich die Geräuschentwicklung sowie der Rollwiderstand und damit der Kraftstoffverbrauch. Die Nachteile verhehlt Michelin natürlich nicht: Der wunde Punkt ist, dass das Bremsvermögen auf nasser Fahrbahn mit zunehmender Laufleistung nachlässt. Dieses Leistungskriterium ist es, das sich im Laufe eines Reifenlebens am meisten verschlechtert. Es ist jedoch ausschlaggebend für die Sicherheit des Reifens.

Um das Bremsvermögen gebrauchter Reifen einheitlich beurteilen zu können, fordert Michelin zu deren Tests nahe der Verschleißgrenze nach der von der europäischen Reifen- und Felgensachverständigenorganisation definierten Testmethode R117 bei einer Wasserfilmhöhe von einem Millimeter. Ein solcher Wasserfilm entsteht nur nach starkem Niederschlag mit einer Intensität von 100 Litern pro Quadratmeter in der Stunde. Das Bremsverhalten eines Reifens bei Nässe, so Michelin, ist dabei nicht allein vom Profil abhängig, sondern auch von der Reifenaufstandsfläche und der Gummimischung.

Gravierende Unterschiede

Die Fotos stellen unter Beweis: Auch ein gebrauchter Reifen (Bild 4) leitet zuverlässig Fahrbahn-Wasser ab. © Michelin

Und diese drei Faktoren sind es auch, die über Leistung und Sicherheit eines Reifens bis zur Nutzungsgrenze entscheiden – das gilt für alle Reifen aller Hersteller. Dennoch gibt es gravierende Unterschiede, die sich auf die Verkehrssicherheit auswirken. Das wurde bei einschlägigen Demonstrationen auf einem abgesperrten Testgelände deutlich. So wird für einen gebrauchten Premium-Reifen beim Bremsen aus 80 km/h auf nasser Fahrbahn ein Bremsweg von 44,7 Metern ermittelt. Ein gleich alter Billigreifen benötigte bei diesem Test rund 20 Meter mehr.

Wie ist das möglich, fragt sich der Laie. Die Ingenieure von Michelin erläutern ihre Strategie, nach der unter anderem auch der neue Winterreifen Alpin 6 entwickelt wurde.  Dabei ist eine mehrlagige Gummimischung mit einem selbsterneuernden Profil kombiniert worden – das sorgt auch bei geringer Restprofiltiefe für ein hohes Beschleu­nigungs- und Brems­vermögen sowie gute Traktion auf Schnee.

Die Long Lasting Performance Strategie wurde auch bei der Entwicklung des neuen Premium-Sommerreifen Michelin Primacy 4 konsequent umgesetzt. Zum Einsatz kommen Gummimischungen der neuesten Generation, und die Lauffläche ist auf maximalen Grip ausgelegt. Die rechtwinklig gestalteten und sich kaum verjüngenden Profilrillen verbessern die Wasserableitung selbst nahe der Nutzungsgrenze. Dadurch erreicht der Reifen im neuen wie auch im gefahrenen Zustand bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern hervorragende Bremswerte auf nasser Straße. Im Vergleich zu seinen Wettbewerbern bietet er durchschnittlich 18 000 Kilometer mehr Laufleistung.

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