So lud die Fachgruppe Bildende Kunst im Landesbezirk Berlin-Brandenburg Abgeordnete der fünf Bundestagsparteien ein, um ihnen auf einem Podium die Prüfungsfrage zu stellen: Kann man von Kunst leben? Die CDU erschien nicht. Aber die Künstler kamen. Der Saal war voll.
Die Vertreter von SPD, FDP, Die LINKE und den Grünen nutzten die Gelegenheit und lobten sich selbst für ihre ertragreiche Arbeit in der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland«, in der sie immerhin in vier Jahren einen Bericht von 774 Seiten mit annähernd 500 (fünfhundert) Handlungsempfehlungen fabriziert hatten. Festgestellt wurde unter anderem, dass die im Jahre 2004 in der Künstlersozialkasse erfassten 49 800 bildenden Künstler ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 10542 Euro – das sind 878,51 Euro im Monat – hatten. Frauen verdienten 24 Prozent weniger. Von den 4705 Künstlern im Rentenalter erhielten die bildenden Künstler eine Monatsrente von 670,56 Euro (bei einem Durchschnitt von 785,12 Euro). Von welchem Kaliber die »Handlungsempfehlungen« sind, offenbart sich in der Schlußfolgerung: Bund und Länder sollten »ein besonderes Augenmerk auf die Verbesserung der Einkommenssituation der Künstler und Publizisten richten, da diese Bemessungsgrundlage für die Höhe der Altersrente ist.« (Seite 465 des Berichts)
Dass die Einkommen seit 2004 gestiegen wären, behauptete der FDP-Abgeordnete Christoph Waitz. Das durchschnittliche Monatseinkommen der Künstler läge bei 1000 Euro. Die reagierten mit Hohngelächter. Waitz parierte: Jeder, der Künstler werden wolle, gehe ein soziales Risiko ein und könne nicht verlangen, dass die Gesellschaft das trage. Es könnten auch nicht alle, die es wollen, in die Künstlersozialkasse aufgenommen werden. Heinrich Bleicher-Nagelsmann von Ver.di konterte: Die Künstlersozialkasse ist eine Pflichtversicherung, da kann man die Aufnahme nicht begrenzen, zumal immer mehr Künstler aus der Festanstellung in die freiberufliche Tätigkeit gedrängt werden. Mit der KSK sei auch keine ausreichende Alterssicherung geschaffen. Da müssen weitere Instrumente her.
Die Lage der Künstler sei prekär, konstatierten die Vertreter der anderen Parteien. Aber, fand Petra Merkel von der SPD, »wir« könnten froh sein, »dass wir in dieser Krise in der BRD gut aufgestellt und nicht von Sponsoren abhängig sind wie in den USA.« Tusch!
Wo ist der Ausweg? Den fand die Enquete-Kommission in dem Vorschlag, verkündet im Dezember 2007, Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Dann könnte man die Kultur nicht als »freiwillige Aufgabe« behandeln, die die Länder und Kommunen finanzieren können oder auch nicht. Und dann könnte man auch einen Mindestanteil am Haushalt von einem Prozent festlegen, wie die UNESCO fordert. Warum aber ist das »Staatsziel« nicht inzwischen im Grundgesetz? Petra Merkel (SPD): Wir hätten in der Fraktion dafür keine Mehrheit gekriegt. Dann wollen andere den Sport oder sonstwas als Staatsziel. Die Grünen verzichteten, weil die CDU es ohnehin ausbremst und die SPD sich ihr unterordnet. »Wir haben keinen Streit in der Sache, aber unterschiedliche Haltungen.« Eiertanz ist Grundübung der Abgeordneten. Annette Mühlberg (DIE LINKE) fordert eine »bedarfsorientierte« Mindestsicherung der Künstler. DIE LINKE sei eigentlich für die Abschaffung von Hartz IV, fordere aber zunächst eine Erhöhung auf 500 Euro. Ateliermieten der Künstler sollten die Jobcenter bezuschussen. Einspruch von Kotowski vom Verband Bildender Künstler: »In Berlin, wo Sie die Regierungsverantwortung haben, machen Sie das nicht!« Mühlberg forsch: »Sie haben uns hier als Bundespolitiker eingeladen, also muss ich für die Bundesebene sprechen.«
Die Veranstaltung folgte dem bekannten Schema: Endlose Tiraden der Politiker, ungeduldiges Warten der Zuhörer auf eine freie Diskussion, Abbruch durch den Versammlungsleiter (Gotthard Krupp, Ver.di), Verärgerung der Künstler. Wo Fragen zugelassen wurden, kamen klare Forderungen: Mehr Geld für die Künstlersozialkasse! Grundgehalt für alle Künstler, weil es ein Beruf ist, den die Gesellschaft braucht (Lorenz Müller-Morenius, Maler). Schluss mit der Demütigung, zu einer miserablen Rente einen Zuschuss des Sozialamts beantragen zu müssen! Keine Ausbeutung der Künstler, indem sie umsonst arbeiten sollen! Anerkennung des Anspruchs auf die Intelligenzrente der DDR! Anerkennung der Rente mit 35 für Tänzer aus der DDR! Zahlung von Ausstellungsvergütungen und -honoraren! Investitionen in die Kultur als Daseinsvorsorge! Ein Kollege im Saal brachte es auf den Punkt: »Im Schnitt können wir Künstler nicht von unserer Kunst leben. Wir leben unter Sozialhilfeniveau. Wir wollen keine Notarbeiter sein! Wo bleibt die Würde des Menschen?«
Nicht zu verstehen ist die Begrenzung des Themas auf die Fachgruppe Bildende Kunst. Nach dieser Berufsgruppe (36 Prozent) sind die Musiker (27 Prozent) die zweitstärkste der 153 000 Versicherten. Auch hier wächst die Anzahl der freiberuflichen Kollegen – Folge des Orchestersterbens. Viele Hochschulabsolventen finden keinen festen Arbeitsplatz. Auf die 10 000 festangestellten Musiker kommen mindestens genau so viele Freiberufler, die kaum von ihrer Arbeit leben können. Die Probleme hätten folglich auch gemeinsam mit den Musikern diskutiert werden können.
Meinung der Ver.di-Funktionäre: Die Orchestermusiker haben ihre eigene Gewerkschaft – die Deutsche Orchestervereinigung. Wir machen was für unsere eigenen Mitglieder.
Da fragt sich, ob die Funktionäre überhaupt einen Druck auf die Politiker aufbauen wollen. Das Forum ging dann auch als Pflichtübung für die Politiker und die Gewerkschaftsfunktionäre glatt über die Bühne. Abgehakt! Nach der Wahl werden die Künstler sich selbst überlassen bleiben. Ein Teilnehmer stellte resigniert fest: »Die Abgeordneten haben ihre 7000 Euro sicher. Die wissen nicht, was los ist.«