Berlin, Deutschland (Weltexpress). Enis Maci, 1993 in Gelsenkirchen geboren, scheint auf dem besten Wege, Kultstatus an deutschsprachigen Theatern zu erlangen. Maci hat mehrere erfolgreich uraufgeführte und nachgespielte Stücke geschrieben, ist Hausautorin am Nationaltheater Mannheim, erhielt einige Preise, und im Suhrkamp-Verlag ist ein, ebenfalls preisgekrönter, Essayband von ihr erschienen.
Besonders beeindruckt zeigen sich Kritiker*innen von Enis Macis Arbeitsweise. Die Autorin sammelt Textstellen im Internet, ergänzt sie und fügt sie zu authentisch wirkenden Texten zusammen, denen präzise und umfangreiche Quellenverzeichnisse folgen. In Macis Essayband erstreckt sich die Liste der Nachweise über mehr als 15 Seiten und präsentiert eine bunte Mischung von Youtube über private Emails bis zu anspruchsvoller Literatur.
Auch die Stücke von Enis Maci sind derart collagiert, und in „Mitwisser“ spielt die digitale Kommunikation eine anscheinend wesentliche, wenn auch nicht klar erkennbare Rolle.
Regisseur Pedro Martins Beja, der die Uraufführung am Schauspielhaus Wien inszeniert hat, schien es vor allem darum zu gehen, dem Publikum die immense Bedeutung des Stücks einzuhämmern.
Die Texte, vom Ensemble überakzentuiert zerschrien, sind kaum verständlich und werden zudem von dröhnendem Beat zerstampft. Immerhin wird deutlich, dass es um drei Verbrechen geht, die an drei weit voneinander entfernten Orten geschehen sind und die nichts miteinander zu tun haben: In einer Kleinstadt in den USA erschlägt ein junger Psychopath seine Eltern und gibt anschließend eine Party für seine Whats-App-Gruppe. In einem Dorf in der Türkei erschießt eine junge Frau den Mann, der sie vergewaltigt und terrorisiert hat, enthauptet ihn und wirft seinen Kopf auf den Marktplatz, und in Dinslaken entdeckt ein arbeitsloser Kleinkrimineller den Salafismus und zieht in den Dschihad.
Bei jedem dieser Kriminalfälle gibt es Mitwisser, die, anstatt das Verbrechen zu verhindern, den Täter zu seiner Untat angestachelt haben. Das ist nicht ungewöhnlich, und das Phänomen der Mitwisser und Mitschuldigen in der realen wie in der virtuellen Welt ist häufig Thema in den Medien und in der Literatur. Neue Erkenntnisse dazu finden sich in Enis Macis Stück nicht. Hier sind viele Details aneinander gereiht, die keine Geschichte ergeben und zu keiner Aussage führen.
Nora Abdel-Maksoud wurde für ihre groteske Komödie „Café Populaire“ im Rahmen der Autorentheatertage mit dem Hermann-Sudermann-Preis ausgezeichnet. Die Autorin ist auch Schauspielerin und Regisseurin und in Berlin bekannt durch ihre Inszenierungen am Maxim Gorki Theater und am Ballhaus Naunynstraße.
Bei „Café Populaire“, das als Gastspiel vom Theater Neumarkt Zürich in den Kammerspielen zu erleben war, hat Nora Abdel-Maksoud ebenfalls Regie geführt. Die Theaterpraktikerin hat das Stück gemeinsam mit den Schauspieler*innen entwickelt und ihnen zu bühnenwirksamen, klar strukturierten Rollen verholfen.
Bühnenbildnerin Moira Gilléron lässt die Szene ganz in Rosa erstrahlen als Wohlfühlambiente für Svenja (Eva Bay), die den „Humornismus“ publik machen möchte, eine Mischung aus Humor und Humanismus. Svenja will Freude bereiten und niemanden ausgrenzen oder verletzen, ist deshalb immer um korrekte Wortwahl bemüht. Erfolgreich ist sie damit nicht. Sie arbeitet als Clown in einem Hospiz und lacht meistens allein über ihre dürftigen Witze. Dabei ist Eva Bays Lachen sehr ansteckend.
Svenja bewirbt sich um die Übernahme des legendären Gasthauses „Zur Goldenen Möwe“, wo sie ein anspruchsvolles, unterhaltsames Kulturprogramm anbieten möchte. Ihr Internet-Auftritt beschert ihr jedoch nur acht Follower.
Das ändert sich, als der Don (Marie Bonnet) Macht über Svenja gewinnt. Gegen ihren Willen entpuppt sie sich als „Klassistin“ und beschimpft die Armen und sozial Benachteiligten. Sofort steigt die Zahl ihrer Follower erheblich, aber Svenja bringt Püppi gegen sich auf, die älteste Bewohnerin des Hospizes. Simon Brusis stellt die kämpferische Bolschewistin mit Hang zu Saufgelagen wundervoll schnurrbärtig und kraftvoll dar.
Überraschend bewirbt sich Aram, das von allen herumgescheuchte Faktotum des Hospizes, ebenfalls um die Goldene Möwe. Aram (Maximilian Kraus) hat einen indischen Namen, kauderwelscht mit russischem Akzent und kocht stinkenden Borschtsch. Er scheut sich nicht, mit Svenja zu konkurrieren, obwohl die ihm doch immer Trinkgelder gibt, und er will das Gasthaus nicht, um die Menschheit zu beglücken, sondern ist nur scharf auf die Einliegerwohnung. Die Armen denken eben immer nur an sich. Aber dann stellt sich heraus, dass Aram gar nicht zur Unterschicht gehört.
Pointiert und einfallsreich demonstriert Nora Abdel-Maksoud, dass die Klassengesellschaft in unseren Breiten durchaus nicht der Vergangenheit angehört.
Rebekka Kricheldorf war schon mehrfach zu Gast bei den Autorentheatertagen. Sie schreibt Komödien mit Widerhaken, in denen sie aktuelle Themen aufgreift. Ihr neues Stück erarbeitete sie als „writer in residence“ am Hanse- Wissenschaftskolleg in Delmenhorst. „Das Haus auf Monkey Island“ wurde am Staatstheater Oldenburg uraufgeführt und konnte bei den Autorentheatertagen besichtigt werden.
Ein bisschen überfrachtet mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ist dieses Stück schon, aber Rebekka Kricheldorf hat es verstanden, den Lehrstoff geschickt in eine spannende Handlung einfließen zu lassen, sodass keine Langeweile aufkommt. Manchmal lassen „Die Physiker“ von Dürrenmatt grüßen, aber dann ist Kristina (Caroline Nagel) doch keine machtbesessene Irre, sondern die einzig Stinknormale im Team der vier Wissenschaftler*innen.
Das Quartett wurde engagiert, um Methoden zu entwickeln, die Konsument*innen dazu bringen können, künstlich hergestelltes Fleisch zu kaufen. Das In-Vitro-Fleisch wäre eine Alternative zur massenhaften Abschlachtung von Tieren und könnte einen segensreichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch Argumente reichen nicht aus. Verführung ist nötig, damit das sehr kostspielige Kunstprodukt gekauft wird. Das Belohnungszentrum in den Hirnen der Konsument*innen muss stimuliert werden.
Darüber sind sich die Wissenschaftler*innen schnell einig. Schließlich haben sie selbst gerade einen Job angenommen, der ihnen unwiderstehlich erschien: Sie sind auserwählt, hoch bezahlt und arbeiten auf Monkey Island in einem luxuriösen Haus, dem einzigen Gebäude auf der Trauminsel.
Doch schon bald wird ihnen dieses Haus unheimlich. Zuerst berichtet Kristina belustigt, ihre Dusche habe ihre Lieblingsballade rezitiert, aber Hannes (Thomas Birklein) ist beunruhigt, weil sein Fernseher dauernd seine Lieblingspornos ausstrahlt. Als schließlich Ann (Helen Wendt), die ihre Bulimie mühevoll überwunden hat, ihre Lieblingschips im Küchenschrank entdeckt und André, der mit seiner Drogensucht sein Leben ruiniert hat, ein Päckchen Kokain vorfindet, gerät das Team in Panik.
Das Haus kennt ihre Geheimnisse. Vielleicht sollen Menschenversuche mit ihnen gemacht werden. Kristina jedoch hat keine Geheimnisse. Sie war niemals suchtgefährdet und hat ihr Leben im Griff. Ein glückliches Naturell. Genetisch bestimmt, oder hat sie immer die richtigen Entscheidungen getroffen, und ihre Kolleg*innen sind selbst schuld an ihren verkorksten Biografien?
Rebekka Kricheldorf stellt die uralte Frage, ob menschliches Leben determiniert ist oder einen Spielraum für den freien Willen beinhaltet und lässt Hannes von Freiheit in einer fernen Zukunft nur träumen.
Mathias Kaschig hat die hintersinnige Komödie flott inszeniert, und die Schauspiele*innen erfüllen die knappen Dialoge mit Leben und lassen auch das zwischen den Zeilen Verborgene erkennen.
Thea Hoffmann-Axthelm hat ein beeindruckendes Haus auf die Bühne gestellt, in dem allerdings ein bisschen Interieur wünschenswert wäre. Dass die Wissenschaftler*innen auf dem Boden sitzen müssen, kann nicht im Sinne ihres Auftraggebers sein, der doch, um beste Arbeitsergebnisse zu erreichen, die Belohnungszentren seiner Auserwählten stimulieren wollte.