Große Ansprüche also und daß so etwas nicht geht, das ist die erste Voraussetzung zur Akzeptanz, wenn man sich das Hörspiel anhören möchte. Wir behaupten, das will man um so eher, je mehr man vom Umfeld des Romans, seiner Geschichte, seinen Verfilmungen weiß, weil man dann aus seinem Wissen heraus viel mehr aus dem Hörspiel heraushören kann, als die reine Schallübertragung ausmacht. Und im übrigen, vielleicht kann der Kondensierungsprozeß dann auch umgekehrt verlaufen. Wenn man durch das Hören die geraffte Geschichte verinnerlicht hat – und das gelingt auf jeden Fall, die Handlungsstränge sind übersichtlich angeordnet und die Geschichte der einzelnen Familienmitglieder läßt sich verfolgen – , dann kann man ja auch zum Original greifen, das allerdings nach Erscheinen zu allererst einmal kein Erfolg war.
Im Ernst. Manche glauben nämlich, es habe Thomas Mann für seinen Roman, den ersten deutschen, international bekannten Gesellschaftsroman schon 1902 den Nobelpreis bekommen. Das war aber das Jahr, in dem der Geschichtswissenschaftler Theodor Mommsen für seine „Römische Geschichte“ den Literaturnobelpreis bekam, die – das sollte man sich merken – wirklich glänzend geschrieben ist. Thomas Mann war erst 28 Jahre nach dem Erscheinen der Buddenbrooks mit dem Nobelpreis dran, also im Jahr 1929. Da war der Roman einer hanseatischen Familie aus dem Großbürgertum schon längst ein Erfolg geworden, aber als er am 26. Februar 1901 mit gerade mal 1000 Exemplaren erschien, wurde kein Aufhebens davon gemacht. Bis 1918 waren dann 100 000 Exemplare verkauft, wobei die 1903 gestaltete einbändige Ausgabe die erfolgreichere war. Unsere ist die zweibändige in der 79.-88. Auflage von 1917 und natürlich aus dem S. Fischer Verlag, Berlin.
Mit dem Nobelpreis gab es die Volksausgabe für 2, 85 Reichsmark mit der Auflage von einer Million und seither gehören die Buddenbrooks zum Inventar jeder besseren Bibliothek und heute geht man von einer Gesamtauflage allein in Deutschland von etwas sechs Millionen Exemplaren aus. Gerade in der Nachkriegszeit bestand am Thema Familie und am Thema Verfall ein großes Interesse, weil Thomas Mann propädeutisch den Niedergang einer blühenden Kaufmannsfamilie auch an ihrer eigenen Unfähigkeit, sich auf die sich ändernden Zeiten einzustellen, aufgezeigt hatte, wenn man Worte wie Schicksal nicht so gerne in den Mund nehmen möchte und Dekadenz auch nicht.
In der Zeit von 1835 bis 1877 entfaltet sich das Familienpanorama über vier Generationen, das wir hier nicht in den elf Teilen der zweibändigen Fassung vorstellen, sondern uns gleich auf das Hörspiel und das heißt den Film stützen. Anders als der Film, der neben den gerade sprechenden Figuren oder dem Erzähler, auch die übrigen Personen auf der Filmleinwand optisch uns präsentiert, ihr Mienenspiel, ihre Körpersprache, ihre Aktionen, erfahren wir all dies bei der Hörspielfassung nicht und müssen tatsächlich über die gehörten Worte den Inhalt erfassen. Da ist der Konsul Jean Buddenbrock, dem Armin Mueller-Stahl seine sonore Stimme gibt, das ist die Konsulin Bethsy Buddenbrooks, die Iris Berben leicht affektiert spricht. Allerdings sind wir uns da schon nicht mehr ganz sicher, ob wir beim Hören nicht die Filmerfahrung automatisch mithören. Denn ob die Tony, die sich immer mit dämlichen oder verbrecherischen Männern verheiratende Tochter des Hauses, wirklich so gut spricht, wie es Jessica Schwarz hier tut, können wir auch nicht mit Bestimmtheit sagen, denn hier übertragen wir ebenfalls ihre Filmrolle, in der sie wirklich glänzte.
Sie spielt zusammen mit Bruder Thomas (Mark Waschke) die Hauptrolle auch im Hörspiel, weil ihre Geschichten den Abstieg der Familie signalisieren, wobei natürlich Christian (August Diehl) der eigentliche Versager ist, denn er ist ein labiler, künstlerisch veranlagter Charakter, dem Kaufmannszeug fremd ist und der in dieser erfolgsorientierten Familie sich fehl am Platz fühlt. Leider kommt er im Hörspiel, d.h. also im Film zu kurz, denn er hat nicht nur negativ konnotierte Seiten, sondern dient im Roman auch als Seismograph für die brüchig gewordene hochedle Gesellschaft, wie sie sich selber sieht.
Vielleicht ist dies das größte Manko einer Hörspielfassung, daß sie sich nur noch auf den Inhalt konzentrieren kann, aber die Frage, warum wir das überhaupt hören oder sehen oder lesen, weshalb also Thomas Mann gerade diesen Roman geschrieben hat, nicht mehr stellt. Denn für ihn ging es um Selbstvergewisserung einer absterbenden Gesellschaftsschicht, die sich noch einmal im Patriziertum aufbäumte, aber den Nivellierungen der Zeit nicht mehr gewachsen war. Das gilt in gleicher Weise für die falschen Ehepartner der Tony, wie für die Selbstverständlichkeit, mit der die holländische Ehefrau Gerda des noch hanseatisch denkenden Thomas für ihr gemeinsames Kind Hanno eher die Künstlerlaufbahn sieht, denn eine kaufmännische.
Dies aber, die Linie und das Haus der Buddenbrooks als ehrenwerte Kaufleute hochzuhalten, war das Credo aller vorherigen Generationen, so daß mit dem Niedergang der Familie eben auch der Niedergang eines gesellschaftlichen Prinzips verbunden war. Wir wissen heute, daß solche Vorgänge noch weitaus differenzierter verlaufen, daß persönliche Freiheit noch nicht Selbstverwirklichung und berufliche Überidentifizierung noch nicht Entpersonalisierung bedeuten muß. Den Handlungsfaden vermag das Hörspiel allemal zu transportieren. Für mehr, muß man schon den Roman von Thomas Mann lesen oder auch den alten Film von 1959 in zwei Teilen anschauen, der unserer Meinung nach die Zerbrechlichkeit der damaligen Welt deutlicher herausarbeitete, als es der Film von Heinrich Breloer konnte.