Berlin, Deutschland (Weltexpress). Deutsche Kommunen dürfen Asylbewerber verpflichten, für 80 Cent pro Stunde zu arbeiten. In Thüringen nutzen einige Kreise die Praxis bereits rege und fordern sie auch für Erwerbslose. Reguläre Arbeitsplätze, etwa in der Forstwirtschaft und Parkpflege, könnten dadurch wegbrechen.
Immer lauter klagen Vertreter der Wirtschaft, Politiker und Medien über einen Arbeitskräftemangel in Deutschland. Doch beim Unterwandern regulärer Löhne ist der Staat sehr einfallsreich. Mit sogenannten Ein-Euro-Jobbern bewältigte manche Kommune unterm Deckmantel der „Gemeinnützigkeit“ lange viele ihrer Pflichtaufgaben. Ob Parkpflege oder Sportvereine: Vieles war bald ohne diese Hungerlohn-Jobber nicht denkbar.
Gartenbaubetriebe und diverse Dienstleister kritisierten dies seit Einführung dieser Jobs mit Hartz IV im Jahr 2005. Unlauterer Wettbewerb sei dies, der ihren Unternehmen schade, so hieß es etwa. Der Staat reagierte, schränkte die „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ von bis zu zwei Euro pro Stunde ein.
Doch nun feiert die Praxis ein fröhliches Comeback: Landkreise können Asylbewerber unter Androhung von Leistungskürzungen für sogar nur 80 Cent pro Stunde zu Tätigkeiten verpflichten, die sonst – zumindest großteils – Unternehmen mit regulär bezahlten Arbeitskräften leisten müssten. Ein bundesweites Gesetz ermöglicht dies. Thüringer Kommunen nutzen das rege – und unterwandern so den Mindestlohn.
Billiger Ersatz für bezahlte Beschäftigte
Wie kürzlich die UZ berichtete, macht zum Beispiel der Saale-Orla-Kreis von dieser Arbeitspflicht Gebrauch. Für eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde müssen die Flüchtlinge dort zum Beispiel Aufgaben in der Grünpflege oder auf dem Bauhof übernehmen. Auch der Winterdienst kann bei Bedarf auf die 80-Cent-Jobber zurückgreifen.
Das Asylbewerberleistungsgesetz ermöglicht diese Form der Ausbeutung. Dort regelte Paragraf 5 bis vor kurzem, dass Kommunen solche Flüchtlinge, die noch nicht regulär in Deutschland arbeiten dürfen, für vier Stunden täglich zu Aufgaben verpflichten dürfen, die „zusätzlich“ anfielen.
Diese Einschränkung „zusätzlich“ (die allerdings schon bei Ein-Euro-Jobs nie funktionierte) ließ die Regierung nunmehr sogar streichen. Seit Ende Februar dürfen Landkreise und Städte die Menschen auch zu Arbeiten verpflichten, die sonst regulär bezahlte Angestellte oder Unternehmen leisten oder leisten müssten. So werden die 80-Cent-Jobber zu einem spotbilligen Ersatz für regulär bezahlte Arbeitskräfte.
Zwang durch Sanktionen
Wer zur Arbeit eingeteilt wird und sich dennoch weigert, für 80 Cent pro Stunde zu arbeiten, muss mit einer harten Kürzung rechnen. Von den 460 Euro, die Betroffenen nach dem Gesetz pro Monat zustehen, können die Behörden ihnen bis zu 204 Euro streichen. Das entspricht dem sogenannten „persönlichen Bedarf“. Die restlichen 256 Euro erhalten viele Asylbewerber schon jetzt als reine Sachleistungen.
Wie bei den Ein-Euro-Jobs handelt es sich bei dieser Mehraufwandsentschädigung nicht um einen normalen Arbeitslohn, sondern „nur“ um eine sogenannte Mehraufwandsentschädigung. Diese wird zusätzlich zu den Asylbewerberleistungen gezahlt, die bei Alleinstehenden rund 100 Euro unterhalb des Bürgergeldes liegen, also geringer sind, als das offizielle Existenzminimum.
Arbeitsrecht gilt nicht
Folglich gilt für Verpflichtete nicht das Arbeitsrecht. Werden sie krank, entfällt das bisschen Geld komplett. Urlaub im rechtlichen Sinne gibt es auch nicht. Für vier Stunden täglichen Arbeitseinsatz gibt es 3,20 Euro – bei 21 Tagen Arbeit im Monat ergibt das ein Plus von rund 67 Euro zu den 460 Euro für Alleinstehende.
Einem MDR-Bericht zufolge hatte der thüringische Saale-Orla-Kreis Ende März etwa 50 der 300 Flüchtlinge, die dort derzeit leben, zu dieser irregulären Arbeit verpflichtet. Sie erhalten das Geld auf ihre Bezahlkarte überwiesen. Geplant sei ihr Einsatz unter anderem „beim Bauhof, in Vereinen oder im Wald beim Aufforsten“. Ähnlich läuft es in den Kreisen Schmalkalden-Meiningen und Nordhausen.
80-Cent-Jobs bald auch für Arbeitslose?
Geführt wird die Debatte gerne mit dem altbekannten Vorwurf angeblicher „Faulheit“. Das ist blanker Populismus: Tatsächlich gelten die Maßnahmen für Menschen, die aus asylrechtlichen Gründen (noch) nicht regulär in Deutschland arbeiten dürfen. Anstatt ihnen die Integration in den Arbeitsmarkt zu angemessenem Lohn zu ermöglichen, benutzt der Staat die Asylbewerber nun, um reguläre Stellen zu ersetzen.
Im Saale-Orla-Kreis will der Landrat Christian Herrgott (CDU) dem UZ-Bericht zufolge sogar noch weiter gehen: Auch Arbeitslose im Bürgergeldbezug will er künftig zu solchem Dienst verpflichten – diesmal eben nicht wie früher für ein bis zwei Euro sondern nur noch für 80 Cent pro Stunde. Es geht eben immer noch eine Nummer tiefer.
Mit dieser Forderung steht der Landrat Herrgott politisch nicht alleine da. An seiner Seite wähnt er beispielsweise den Bundesminister der Finanzen Christian Lindner (FDP). Seit Monaten wirbt auch Lindner für eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Bezieher. Sein jüngster Vorschlag: Die Neuauflage der Ein-Euro-Jobs in großem Rahmen. Vermutlich müssten dann viele Garten-Landschaftsbau-Betriebe wegen fehlender Aufträge dicht machen.
Ausgebeutet, erpresst und überwacht
Die wahrscheinlichen Folgen kann man sich ausmalen: Das Arbeitslosenheer, das für 80-Cent-Jobs bereitsteht, würde weiter wachsen, wenn Betriebe schließen. Immer mehr reguläre Stellen könnten klamme Kommunen mit solchen Billigkräften ersetzen. Perspektivisch könnte das sogar Sporttrainer, Sozialarbeiter, Bauhelfer und vielleicht gar Dolmetscher, Wachbedienstete und viele mehr betreffen.
Die für Asylbewerber bereits eingeführte „Bezahlkarte“ könnte dann als weiterer Schritt auf Arbeitslose (und wer weiß, für wen noch) ausgeweitet werden. Unter anderem in der CDU werden die Rufe danach lauter.
Solche Karten ermöglichen dem Staat eine Rundumüberwachung. Bei jedem Ungehorsam, unliebsamem Verhalten oder wegen unerwünschter politischer Meinung könnte der Staat die Karten sperren oder einschränken. Eine Teilnahme an Demonstrationen könnte dann genauso zum Entzug der Existenzgrundlage führen wie das Ausschlagen von Arbeitsaufträgen. Was möglich ist, wird häufig irgendwann real.
Es geht also voran: in Richtung totaler Überwachung und rabiat verschärfter Ausbeutung. Der Staat schafft eine Gruppe nahezu rechtloser Billigjobber weit unterhalb des Mindestlohnsektors. Weil niemand dort landen will, ist dies zugleich ein wohlkalkulierter Maulkorb für Beschäftigte.
Dass einmal eingeführte Repressionen ausgeweitet werden, ist meist nur eine Frage der Zeit. Vor allem, wenn sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) so bedenklich still verhält, wie er es hier wieder einmal tut – anstatt seiner Aufgabe nachzukommen, die Arbeitsrechte für alle Lohnabhängigen zu schützen.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Susan Bonath wurde am 16.4.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
Siehe auch die Beiträge
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im WELTEXPRESS.
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