Berlin, Deutschland (Weltexpress). Seit den Neunzigern hat sich der Schiffbauerdamm in Berlin-Mitte in eine kulinarische Flaniermeile verwandelt. Ein Lokal grenzt ans nächste, wobei die Bandbreite von der bodenständigen Bierkneipe bis zur gehobenen französischen Küche reicht. Stoisch marschieren die Kellner durch den laufenden Verkehr, um ihre Gäste am Spreeufer, auf der anderen Straßenseite, zu bewirten.
Seit ein paar Monaten jedoch sitzt man hier jedoch vom Straßenlärm ganz ungestört, verhindert doch eine Baustelle den Durchgangsverkehr. Das poröse gewordene Ufer wurde zwei Jahre lang saniert. Nun ist man fast fertig. Entstanden ist eine neue Befestigung der Spree; mitsamt einem durchgängigen Geländer, dessen Finanzierung die ortsansässigen Gastronomen übernommen haben. Dafür haben sich die Wirte an dieser Straße, allesamt Herren, als „Die Fünf vom Schiffbauerdamm“ zusammen getan.
Sie vertreten die Lokale am östlichen Ende des Schiffbauerdamms: 226 Meter zwischen „Murphy‘s Irish Pub“ an der Ecke zur Friedrichstraße bis hin zum Italiener „Vaporetto“ unter der S-Bahn-Brücke.
Die Lage könnte besser nicht sein: Hierher gelangt man nicht nur mit sämtlichen öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern sogar mit dem Ausflugsdampfer. Ganz in der Nähe befinden sich Berliner Ensemble und Deutsches Theater, die Friedrichstraße und die Museumsinsel.
In normalen Zeiten lebt die Gastronomie am Schiffbauerdamm von Touristen, die es sich hier gut gehen lassen. Die einen bei Austern und Kerzenschein, die anderen bei Guiness und Live-Musik. Doch da die Touristen nun corona-bedingt ausbleiben, werben „Die fünf vom Schiffbauerdamm“ um einheimische Besucher. „Wir freuen uns sehr darauf, unseren Berliner Nachbarn mit der neuen Terrasse wieder eine zentrale und schöne Anlaufstelle zur Erholung bieten zu können“, sagt Jörn Brinkmann von der „Ständigen Vertretung“.
Im „Ganymed“ kann man sich vom Kellner die wechselhafte Geschichte dieses Kiezes erzählen lassen: Der Schiffbauerdamm trägt seinen Namen seit 1738, als sich hier zwei Bootsbauer niederließen. Werften prägten die Gegend, bis im 19. Jahrhundert vornehme Gesellschaftsschichten in die sogenannte Friedrich-Wilhelm-Stadt uogen. Mehrere Theater und der Circus Renz öffneten in der Nähe ihre Pforten, so dass sich hier in den „Goldenen Zwanzigern“ Theatergänger und Amüsierwillige, Künstler und Intellektuelle tummelten.
Das „Ganymed“, das seinen Namen seit 1931 trägt, ist das älteste Lokal am Platze. Zu DDR-Zeiten trafen sich hier Künstler wie Bertolt Brecht, Kurt Weill und Helene Weigel, aber auch Ost-Berliner Politiker und Mitarbeiter der Alliierten.
Nach der Wende, als der Hauptstadt-Umzug nach Berlin beschlossen wurde, zog die „Ständige Vertretung“ vom Rhein an die Spree. Deren Inhaber eröffneten nebenan ein italienisches Restaurant, das heutige „Vaporetto“. Und auch das „Ganymed“ expandierte kräftig und betreibt nun das benachbarte „Brechts“, die Piano Bar „Vincent“ und das Weinlokal „Bar á Vin“.
Das Ergebnis ist eine große kulinarische Bandbreite am Schiffbauerdamm. Die „Ständige Vertretung“ bietet Deftiges wie das Rheinische Nationalgericht „Himmel un Ääd“ oder Eisbein mit Erbspürree. Die „Berliner Republik“ und „Murphy‘s Irish Pub“ halten solide Grundlagen für ihre zig Biersorten bereit. Das „Brechts“, das als Steakhaus firmiert, überzeugt durch exzellente Spare Ribs und Lamm-Carrees. Im „Ganymed“ serviert man Raffinessen wie einen Salat mit Oktopus und Fenchel, im „Vaporetto“ wiederum köstliches hausgemachtes Tiramisu.
Die Fünf vom Schiffbauerdamm wollen ihre Zusammenarbeit jedenfalls fortsetzen. Als nächstes planen sie ein gastronomisches Flanier-Festival am Spreeufer.