Wie bei dem sportlichen Unterhaltungsspektakel üblich, hatte eine nicht erkennbare Regie dafür gesorgt, dass vor dem Schlusstag fünf Paare rundengleich lagen und durchaus noch Siegchancen vermittelten.
„Wenn das Rennen nur fünf Tage gedauert hätte, wären wir nicht die Sieger gewesen“, so der spontane Kommentar von Kluge. Der gebürtige Eisenhüttenstädter, einer der vielseitigsten Rennfahrer Europas – Olympiasilber 2008 in Peking im Punktefahren, Olympiavierter im Omnium (jeweils Bahn) 2012 – war schwer in Tritt gekommen bei seinem zweiten Six-Days-Triumph nach 2011 (damals mit Bartko). Weil er wie sein routinierter Partner Schep (35) vorher für die Saison auf der Straße im Süden Kondition gebolzt hatte. Am letzten Tag hatten beide endlich die „schnellen Beine“ gefunden für einen unwiderstehlichen Endspurt!
Vor der letzten Hatz im Velodrom an der Landsberger Allee hatten die Veranstalter auf einer Pressekonferenz ihre allgemeine Zufriedenheit verkündet: Organisatorisch und sportlich alles bestens, rund insgesamt 75 000 Zuschauer, sogar gesteigertes Interesse bei Sponsoren.
Was angesichts der medialen Hysterie um das Dopinggeständnis des Rekord-Tour de France-Siegers Lance Armstrong schon verwunderte. Wenn beispielsweise Sprinter Robert Förstemann, olympischer Medaillengewinner im Teamsprint, wegen seiner eindrucksvollen Oberschenkel von Zuschauern als „Doper“ beschimpft wird. Oder der Verkäufer von originellen Fahrrad-Klingeln aus Bremen berichtet, dass der zwölfjährige Sohn eines Bekannten beim Training von Autofahrern ähnlich angemotzt wird, dann zeigt sich das aktuelle Negativ-Image des Radsports. Berliner Printmedien bewiesen ihre moralische Verachtung, indem sie das wichtigste Sport-Geschehen dieser Woche ignorierten…
Dem Bremer Gesamtleiter und Geschäftsführer der Berliner 6-Tage-GmbH, Heinz Seesing, war es zu verdanken, dass eine der traditionsreichsten deutschen Sportveranstaltungen 1997 wiederbelebt wurden. Nach der Premiere 1909 in einer Ausstellungshalle am Zoo, dann dem Umzug in den legendären Sportpalast, später in die Deutschlandhalle. Ausgerechnet nach dem Mauerfall 1990 aber fand sich kein Betreiber für das Spektakel, das in den USA erfunden wurde, aber dort längst in Vergessenheit geraten ist. Sieben Jahre später wagte Seesing dann die Renaissance mit dem Schritt in den Ostteil der Stadt. An die Stelle, wo einst in der abgerissenen Werner Seelenbinder-Halle die sportliche Version der Sechs Tage, die Winterbahnrennen der Amateure, ein absoluter Publikumsrenner für Radsportfans aus der ganzen DDR war.
Seesing und sein jüngerer Kompagnon Reiner Schnorfeil haben einen Mix aus sportlicher Attitüde des DDR-Radsports und dem Unterhaltungscharakter der bundesdeutschen Sechs Tage-Traditionen gefunden. Raucher sind konsequent aus der Halle und den Rundgängen in externe Raucherinseln verbannt. Das Rahmenprogramm verzichtet auf halbnackte Reeperbahn-Adaptionen. In den Gängen natürlich jede Menge für Leib und Magen. Werbung für Autos der Sponsoren, Verkaufsstände rund ums Fahrrad. Auch die Rennen gehen nicht mehr bis früh um vier wie einst (Seesing: „Zuschauer haben gesagt, wir müssen an unseren Job denken und früh raus“), sondern bis kurz nach 0 Uhr.
Wirtschaftlich ist das Risiko geschickterweise weitgehend zu den Sponsoren verlagert. Die übernehmen die Patenschaft über alle Teams und erwerben mehr als die Hälfte aller Eintrittskarten. Aber irgendwie gibt es Kanäle, dass übers Internet oder Schwarzhändler diese schon veräußerten Tickets noch einmal vertickt werden…das habe man im Blick und werde versuchen dagegen anzugehen!
Seesing ist 75 und will wie Königin Beatrix der Niederlande die Nachfolge regeln. Dafür gibt es mehrere Optionen: Vorkaufsrecht soll der Mitgeschäftsführer Schnorfeil (56) haben, wie Seesing mit ca. 100 000 Euro an der GmbH beteiligt. Interesse sollen auch die Topsport Marketing GmbH (u.a. Ausrichter des ISTAF der Leichtathleten) sowie Gerhard Janetzky, sportlicher Leiter des ISTAF und vorher dessen Geschäftsführer, bekundet haben.
Begehrt ist das Rennen – trotz des bundesweiten Sechs Tage-Sterbens -, weil die Verträge u.a. mit dem Velodrom-Verwalter Velomax-GmbH die Fortführung bis 2018 gewährleisten, mit Optionen bis 2022. Seesing verspricht, die Unternehmensleitung in Hände zu geben, „die die Zukunft der Six Days in Berlin garantieren.“