Lorch, Schwerin, Deutschland (Weltexpress). 66 Jahre alt und noch immer aktiv. Das ehemalige Arbeitsschiff LILLI der Wasserstraßen- und Schifffahrts-Verwaltung hat sich am 8. Mai um acht Uhr auf eine denkwürdige 1100 Kilometer-Reise begeben. Vier ehrenamtliche Schweriner des gemeinnützigen Vereins „Miteinander auf Kaninchenwerder e. V.“, darunter auch der Erste Offizier des ZDF-„Traumschiffs“ AMADEA, Marcel Tiekwe (die SVZ berichtete am 12.4.22), und der Ex-Weiße-Flotte-Kapitän Klaus Koppermann, überführen das 15 Meter lange 15 Tonnen-Schiff vom Mittelrhein zum Schweriner See, wo es – nach einigen Verschönerungsarbeiten – als Verbindungsschiff zwischen Mueß und der Insel Kaninchenwerder voraussichtlich ab Juli eingesetzt werden soll.

Die erste Etappe der langen Reise soll am Abfahrtstag nach 240 Kilometern Strecke in Duisburg beendet werden. Das ist nur möglich, weil die Strömung das Tempo bis auf 21 km/h steigert.

Die Spannung an Bord ist natürlich riesengroß.

Abfahrt von Lorch am Mittelrhein. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Lorch, 8.5.2022

Warum ist es am Rhein und auf der „Lilli“ so schön…?

Diese Frage haben sich schon seit vielen Jahrzehnten sangesfreudige und weinselige Besucher des mit 1 232 Kilometern längsten deutschen Stroms gestellt. Indirekt natürlich, denn sie pilgern ja immer noch und immer mehr dorthin. Wo Wein und urige Winzerdörfer locken. Man kann’s an den Wohnmobilplätzen ablesen, die von Jahr zu Jahr größer werden und an Zahl zunehmen. Deren Kutscher haben zwar mehr Auslauf als die Lilli-Fahrer, aber wissen nicht, wie romantisch eine Fahrt im 15.000-Euro-Oldtimer auf dem Fluss sein kann. Sozusagen Camping zu Wasser mit ständig wechselnden Aus- und Einblicken. Dazu Schiffsbegegnungen hautnah. Wie mit dem bunt bemalten Tankerriesen, der an seiner hohen Bordwand für die Sauberhaltung unserer Flüsse wirbt. Eine gute Idee!! Inzwischen kann man auch wieder bedenkenlos im Rhein baden. An den Stränden liegen sie an diesem Sonnensonntag und lassen sich bräunen. Aber sie müssen sich nicht vom 98 PS-Sound des MAN-Diesels bedröhnen lassen. Die Lilli-Fahrer nehmen’s wie Musik. Wenn er zufrieden brummt, geht’s ihm und ihnen gut.

Der historische Raddampfer „Goehte“ bei Sankt Goar. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Goars, 8.5.2022

Im Gegensatz zu den bis zu 135 Meter langen Flusskreuzfahrern mit 25 qm großen Balkonkabinen herrscht hier Holzklasse-Charme: hart für’s Sitzfleisch (12 Std. täglich!!), aber herzlich in der bescheidenen Präsentation. Schlafen an Deck mit Schlafsack à la Camping, Plumpsklo mit Handpumpe, eine Elektroplatte zum Kaffeekochen und Würstchen-Wärmen für den Büchseneintopf, Minikühlschrank – alles untermalt von höllischem Gebrüll der Maschine und dem Rumpeln der Schraubenwelle. Das ist hardcore pur. Von Deck der Großen winken sie nur mitleidig zu uns herab. Nach dem Motto: Um keinen Preis auf so einem Schlorren fahren! Wir jedoch sind stolze Oldtimer-Fahrer und winken nur lässig herauf zu den immer noch maskierten Luxusmenschen auf den Sonnendecks. Hier sind wir von solchen Zwängen gänzlich befreit. Zum Glück!!

Kölner Dom und Eisenbahnbrücke werden passiert. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Köln, 8.5.2022

Zum Grillen nach Düsseldorf

Der Tag endet 20 Kilometer vor dem Etappenziel Duisburg. Aber der dortige Hafenkapitän meldet „kein Liegeplatz frei bei uns“. Bernd Ritter, unser Quartiermeister und Fourier, fährt per Auto nebenher, um die logistischen Fragen zu klären. Dazu gehören Einkauf wie auch Liegeplatz-, Hotel- oder auch Ersatzteilbeschaffung. Seine Tochter Peggy Thiel vom Vereinsvorstand klärt alles mit ihm ab. Abends kommt er an Bord zum Essen und Schlafen auf einer Campingliege neben Günter Kwiatkowski, dem „Mann für alles Technische“. Er liebt auch die Ordnung an Bord und sorgt für Sauberkeit, macht fest und wäscht ab.

Der Yachthafen von Düsseldorf signalisiert einen freien Platz im Medienviertel mit den „schrägen Häusern“. Direkt unter dem Fernsehturm wird angelegt. Für 45 Euro bekommt man hier noch Wasser, Strom und Dusche. Ein günstiges Angebot. „Lilli“ ragt heraus aus den Finanzadel-Hochglanz-Yachten ringsum. Krasser kann der Gegensatz nicht sein!

An Deck darf aber gegrillt werden. Bernd hat für Steaks und Würstchen gesorgt, Günter kümmert sich um den Grillzusammenbau und das Feuer.

Das gemeinsame Essen ist immer ein Ereignis. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: 12.5.2022

Bald liegt ein verführerischer Duft in der Luft. Aber es wird kein langer Abend mit viel Alkohol. Alle sind müde nach zwölf Stunden Fahrt, die sich Klaus und Marcel am Ruder geteilt haben. Ihr Fazit: „Das problemlose Steuern ist Konzentrationsarbeit und gewöhnungsbedürftig, zumal die Kette offenbar klemmt“. Das wird noch vor der Abfahrt ins Hotel überprüft, ebenso wie Getriebe und Welle abgeschmiert werden müssen.

Erst dann klingt der Tag gegen 21 Uhr aus, denn die Nacht ist kurz. Wir wollen die fehlenden 20 Kilometer durch früheres Abfahren ausgleichen.

Um sechs Uhr klingelt am nächsten Morgen gnadenlos der Handy-Wecker. Bernd fährt pünktlich vor und versorgt uns noch mit ofenwarmen Brötchen.

Leinen los um 08.45! Gefrühstückt wird genüsslich auf dem Fluss. Kurs Duisburg heißt es dann. Wieder bei schönstem Reisewetter. Da verliert auch das Ruhrgebiet einiges von seiner Industrie-Tristesse. Ansonsten staunen wir über das viele Grün im einstigen Land der Stahlkochereien , Bergwerke und qualmenden Schlote.

In einer Schleuse der Elde vor Schwerin. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Elde, 15.5.2022

Fünf Schleusen auf einen Streich

Um neun Uhr schon dreht „Lilli“ in den Rhein-Herne-Kanal ein. Der Ruhrpott-Kabarettist Jürgen von Manger fährt hier mit seinem Schwiegermutter-Bollerwagen quasi nebenher…

Doch bald steht eine andere Frage im Raum: Wird es mit der ersten Schleuse Duisburg-Meiderich klappen? Voraus der Tanker „Serenitas“ aus Antwerpen. Die freie Fahrt für ihn bedeutet das Gleiche für uns. Wir rutschen mit ihm in die große Kammer. Und das gilt auch noch für zwei weitere Schleusen. Dann dreht er ab zu einer Ladestelle. Die kleine LILLI ist allein auf weiter Flur. Doch die Schleusenwärter haben mit der alten Dame ein Einsehen. Sportboote, LILLI ist in ihrem zweiten Leben zu einem geworden, sollen normalerweise mit der Berufsschifffahrt gemeinsam geschleust werden. So haben wir Glück und erreichen das angepeilte Tagesziel, die Marina Fuestrup, hinter der vorläufig letzten Schleuse Münster. 120 neue Kilometer stehen um 21 Uhr auf der Uhr. Während der Kanal noch von sonnenhungrigen und bierdurstigen Studenten belagert ist, machen wir uns zu Dritt auf zu unserem Quartier. Das hat Peggy in neun Kilometern Entfernung ausgemacht: eine Ferienwohnung. Mit dem Begleitwagen von Bernd werden wir in the middle of nowhere fündig. Ein zum Ferienhaus umfunktionierter Bauernhof mitten im Grünen in Wald und Flur. Noch ein Absacker in der Küche, dann sacken sie auch schon in den Tiefschlaf. Bis um sechs Uhr dreißig am nächsten Morgen.

Marcel holt noch Brötchen im Dorf, damit alle an Bord gemütlich frühstücken können.

Um acht Uhr gibt Klaus das Kommando „Leinen los!“. „Lilli“ braust mit 14 km/h dahin, umweht von landwirtschaftlichen Gerüchen wie Gülle oder frisches Gras.

Bis nach zwei Stunden das „Nasse Dreieck“ erreicht ist. Hier zweigt der Rhein-Herne-Kanal nach Norden ab, der Mittellandkanal nach Osten. Auf dem liegen 320 lange Kilometer vor „Lilli“ bis zur Elbe bei Magdeburg.

Jetzt ist genügend Zeit für allerlei Reparatur- und Wartungsarbeiten, zum Beispiel das gebrochene Antennenkabel. Für Allrounder Günter kein Problem: „Mach ich doch jeden Tag“, zwinkert er und erhitzt das Lötzinn. Peggy schaut ihm abwaschend zu: „Das ist mein Ding, weil’s dann sauberer wird“. „Sauberer“ wird man auch nach jedem Besuch der Mini-U-Boot-Toilette. Die Spülwasserpumpe ist nicht ganz dicht, so dass man auch noch geduscht wird. Kleine Macken, mit denen Günter auch noch fertig wird: „Wer rastet, der rostet“, macht sich der Hobbyklempner ans nasse Werk. Auf der Brücke lösen sich derweil Klaus und Marcel beim Steuern ab. Alles ist im Fluss, besser im Kanal…

Abendliches Grillvergnügen bei Minden. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Minden, 10.5.2022

Sturer Hafenmeister grollt in Minden

Da kannst du ihn finden, den „serviceorientierten“ Hafenmeister.

Weil wir nicht auf Anhieb den Anmeldesteg gefunden haben, spielt er sich auf wie Zampano. Kleine Leute, große Macht!! Peggy möchte am liebsten wieder wegfahren, doch die Crew will nicht mehr. Sie löst die Situation mit weiblichem Charme. Plötzlich ist der Mann wie umgewandelt und dienstbeflissen. Sogar mit lächelndem Gesicht.

Er weist uns einen Wunschliegeplatz zu, nur ein paar Meter vom Grill entfernt. Bernd steht schon da mit seinem Fouragewagen und vollen Einkaufstüten, nachdem Peggy ihren Vater telefonisch instruiert hat. Bald schmurgeln Steaks und Würstchen auf dem Rost. Die Einlaufbierflaschen floppen: „Prost und danke für Eure gute Arbeit bisher“, stößt Kapitän Klaus mit seiner Crew an. Mittlerweile haben sich alle eingespielt, so dass der Bordbetrieb nur so flutscht.

Ein holländisches Skipper-Paar plaudert aus dem Nähkästchen seiner Erfahrungen und freut sich auf seinen drei Monats-Törn über die mecklenburgische Seenplatte.

Gepflegter Ex-DDR-Frachter „Calbe“ kommt vor Wolfsburg entgegen. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Wolfsburg, 11.5.2022

Noch ein paar Absacker und alle haben nur noch einen Wunsch: in die Koje, ob an Bord oder in einem nahen Hotel.

Weil es um 06.30 Uhr schon wieder heißt: reise, reise – aufstehen! Aber das opulente Frühstück bleibt erster täglicher Pflichtpunkt. Auch während der Fahrt, die um 07.15 beginnt.

Und weiter geht’s auf unserer 320-Kilometer-Kanalfahrt, immer zwischen den Deichen mit ihrem Baumspalier entlang. Industrie und Siedlungen unterbrechen das grüne Kanalband. Schließlich die lang erwartete Schleuse Hannover-Anderten. Mit ihren beiden 217 Meter langen und 15 Meter hohen Kammern wirkt sie gewaltig auf Neulinge. Auf dem portugiesischen Douro recken sich die Betonwände in sage und schreibe 32 Meter Höhe.

Es geht zügig voran mit 15 km/h. Gleich hinter Minden wird sogar die Weser in einem Trog überfahren.

In Wolfsburg zeigt der Tages- Kilometerzähler 150 an. Schluss für heute bei brandenburgischem Nationalgericht Kartoffeln mit Mehlstippe.

Eine Kuhherde beim Bad in der Elbe. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Elbe, 14.5.2022

Auf Elbniveau zu früh frohlockt

Als die Hotel-Crew wieder an Bord kommt – nicht ohne frische Brötchen natürlich -, startet Klaus die Maschine. Und schon dreht „Lilli“ rückwaerts in den Kanal. Mit 15 km/h stiebt sie aus der Autostadt raus und der ehemaligen innerdeutschen Grenze bei Oebisfelde entgegen. Die frühere DDR-Sperrzone hat sich inzwischen die Natur zurück erobert. Rehe blicken beim Äsen nur kurz auf, als Lillis „Pferde“ lautstark vorüber galoppieren.

In fünf Stunden ist die lang ersehnte Elbüberquerung Rothensee erreicht. Nach der obligatorischen Anmeldung beim Schleusenwärter von Hohenwarthe und kurzer Wartezeit dürfen wir hinter einem Frachter in die linke Kammer einlaufen. Vom Trog bietet sich das eindrucksvolle Elbpanorama links und rechts an. Alle sind bei der Passage ein bisschen aufgeregt, da sie so etwas noch nicht erlebt haben.

Im Wasserfahrstuhl schwebt „Lilli“ 20 Meter abwärts auf Elbniveau. Das ist der größte Hub auf dem 320 Kilometern langen Mittellandkanal. Der endet hier, auf der anderen Seite beginnt die Elbe-Havel-Wasserstraße Richtung Berlin. Ein paar hundert Meter weiter biegen wir links ab in die Schleuse Niegripp. Es läuft alles wie geschmiert. Irgendwie „verdächtig“, denn Freitag der 13. steht vor der Tür.

Die Elbe reißt uns mit, so dass wir berechtigte Hoffnung haben, unser noch 70 Kilometer talwärts liegendes Etappenziel Arneburg noch erreichen zu können.

Aber dann… querab Kehnert signalisiert die Temperaturanzeige  überhitztes Kühlwasser. Günter kriecht in den kochenden Motorraum und schüttelt den Kopf: „Scheiße, Keilriemen gerissen!“ Klaus stoppt sofort die Maschine. „Lilli“ treibt jetzt still dahin. Das Jubel-Konzert der Spötter an beiden Ufern ist augenblicklich das Lauteste weit und breit. Eigentlich schön, sich treiben zu lassen, wäre da nicht die Sorge um „Lillis“ Herz. Jetzt beginnt die Suche nach Ersatzkeilriemen. Währenddessen driftet das antriebslose Boot dem Ufer entgegen. An einem flachen Strandabschnitt schiebt es seine spitze Nase in den Sand. Glück gehabt, dass hier keine Steine liegen! Inzwischen ist ein Riemen aufgetaucht, wird eingebaut und getestet. Peng! knallt auch der weg, weil zu klein. Die beiden Schrauber halten jetzt wie Ärzte vor einer schwierigen OP ein Brainstorming für notwendig. Günter schlägt vor, einen Spanngurt zu zerschneiden: „Der ist reißfest“. Gesagt, getan. Probestart. Na, wird er halten? Nein, auch der gibt schon nach ein paar Minuten den Geist auf. „Vielleicht klappt’s mit einem gezwirbelten Draht“, sinniert Klaus und macht sich an die Arbeit. Derweil springt Marcel an Land und gräbt den Anker in den goldgelben Sand. „Wie in der Karibik!“, jubelt der Jung-Robinson und legt sich telefonierend in die Sonne. „Suchst du deinen Freitag?“, frotzelt Günter und legt letzte Hand an die Draht-Konstruktion, die die „russische Methode nennt. „Alles einsteigen!“, kommandiert Klaus, als die Maschine anspringt – und läuft. Bis in Flussmitte, dann ist auch diese letzte Hoffnung gestorben. Mit 6 km/h Stromgeschwindigkeit gleitet „Lilli“ träge dahin. Zwei Kilometer weiter entdecken wir die Zufahrt in eine kleine Bucht. Maschine kurz an und ran an den Steg. Feierabend! Wir telefonieren alle Fachhändler durch. Kein Erfolg. Außerdem ist abends alles dicht. Keine Chance mehr heute!

Als Ausgleich für den Stress gibt’s eine Nacht im geschichtsträchtigen, aber preiswerten Gutshof derer von Schulenburg. Ihr barockes Elbschloss Kehnert, gebaut 1809 vom berühmten Architekten Langhans, liegt nur zehn Autominuten entfernt. Man gönnt sich ja sonst nichts… Vielleicht noch ein Spargelessen in der für das edle weisse Gemüse, das überall günstig feilgeboten wird, bekannten Magdeburger Börde.

Der befreundete Kapitän Johann Magner im nahen Bittkau weiß noch einen Spezialhändler im 40 km entfernten Barleben: „Den ruf ich morgen früh gleich an“, verspricht er. Tatsächlich, es klappt! Nur hat einer der Riemen nicht das passende Maß für die Auspuffkühlung. Also erneute regionale Suche. Wir werden fündig in Stendal. Wie gut, dass wir einen PKW dabeihaben! Eins ist schon mal klar: Wir bleiben auch die zweite Nacht in der kleinen, gerade eröffneten Marina Sandfurth. Deren Vereinsmitglieder aus dem Dorf uns Gestrandete mit offenen Armen aufgenommen haben. Im Gegensatz zu einer namhaften Firma, die selbst die Frage nach Vorrätigkeit fuer datengeschützt hält. Obwohl wir unsere Notlage mehrfach wiederholt haben. 

Wir genießen eine üppige Bratkartoffelpfanne mit Spiegeleiern und lassen den holprigen 13. bei Wein und Seemannsgarn gemütlich ausklingen. 

Gestrandet am linken Elbufer bei Sandfurth, Sachsen-Anhalt. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Sandfurth, 12.5.2022

Die Elbe mit Mauseloch und Bösem Ort

Hart war sie die Nacht für Klaus, Bernd und Günther. Dick vermummt haben sie zusammengekrümmt auf ihrer Backskiste im Schlafsack gelegen, denn es war an Oberdeck saukalt. „Mein Rücken“!, hoert man sie morgens unisono jammern. Der Berichterstatter kommt derweil frisch und ausgeruht aus dem Gutshotel. Während Marcel, der „Traumschifffahrer“, auf einer Campingliege unter freiem Himmel naechtigte. „Diese Stille, der Sternenhimmel!“, schwaermt er, “ einmalig, das mach ich noch mal!“

Peggy, der gute Geist von LILLI, geisterte schon um fünf Uhr früh in der Marina herum, um den Sonnenaufgang zu fotografieren. Per WhatsApp-Gruppenchat lässt sie alle an dem Erlebnis teilhaben: „Himmel und Fluss waren wie vergoldet“, jubelt sie, „das erlebt man nicht so oft!“ 

Klaus bläst kurz nach Sieben zum Aufbruch, startet die Maschine und gibt das Kommando: „Leinen los, auf geht’s!“ LILLI laesst sich nicht lange bitte und dreht ihre spitze Nase aus der versteckten Bucht in die Elbe. Mit ihrer Fließgeschwindigkeit von 5 km/h unterstützt sie die von 120 auf 98 gedrosselten Pferde unter der LILLI-Haube. Das spart Sprit. Bei einem Literpreis von 2,50 Euro auch nur konsequent.

Zwischen tiefen Prall- und flachen Gleithaengen wedelt das Schiff zu Tal. Klaus beobachtet die Tonnen und Landmarkierungen, während Seeadler auf einer Sandbank ganz anderes ins Visier ihrer scharfen Augen nehmen: fette Fisch-Beute aus dem Fluss.

Hinter einer Biegung recken sich rote Türme in den knackblauen Morgenhimmel. Die an diesem Samstagmorgen noch schlafende Kaiserstadt Tangermünde grüßt über die Baumwipfel hinweg. Die Gierfähre Arneburg, absolut umweltfreundlich nur vom Fluss bewegt, wird mit langsamer, wellenfreien Fahrt passiert. Auch ihre Schwester von Sandau, auf die sich gemessenes Schrittes eine Menschentraube zubewegt. Wie es per Fernglas aussieht, wird hier nicht gegen etwas demonstriert, sondern gefeiert. Vielleicht das über 750 Jahre währende Fährjubiläum, seitdem sie von den askanischen Fürsten das Recht bekam, hier zu verkehren.

Am „Mauseloch“ bei Kilometer 427 muss Klaus scharf aufpassen. Die Flusskarte zeigt starke Versandung an, ebenso am „Bösen Ort“ bei Kilometer 477. „Es gibt Stellen“, erklärt Profi Klaus, „da sieht der Grund täglich anders aus!“ Früher strandete so mancher Schleppzug in dieser scharfen, flachen Kurve.

Rechts gehört das Land jetzt zu Brandenburg. Hinter Wittenberge wird es niedersächsisch, vor Dömitz mecklenburg-vorpommersch. Eins bleibt: die totale Naturydille der Elbauen, nur von wenigen Siedlungen unterbrochen. Radwanderer lieben es, auf den Deichen zu radeln.

Lilli hat in ihrem neuen Heimathafen Schwerin-Muess festgemacht. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Schwerin, 20.5.2022

Unfreiwiller Abschied aus Schlafplatzmangel

15.30 Uhr: Bei Kilometer 504 dreht LILLI nach achteinhalb Stunden und 141 Kilometern Strecke in den Hafen der Fritz-Reuter-Festungsstadt Dömitz ein. Hinter der Schleuse, dessen Wärter unseren Abfahrtshafen und unseren „Traumschifffahrer“ mit Florian-Silbereisen-Bekanntschaft für Seemannsgarn hält, beginnt die Elde-Müritz-Wasserstraße.

In der Marina saugt „Lilli“ noch mal eben 250 Liter Diesel in ihren Tank, um die letzten beiden Etappen von insgesamt 85 Kilometern mit elf Schleusen ohne Durst bewältigen zu können. Peggy und Marcel steuern indes den nächsten Supermarkt an, damit auch ihre Crew bei Laune bleibt. Der Rest gönnt sich je einen großen Eisbecher mit dickem Sahnehäubchen.

Wie sich zeigt, kann der Berichterstatter nicht mehr an Bord bleiben, weil kein es keinen weiteren Schlafplatz an Bord gibt. Auch sind alle Hotels an diesem Schönwetter-Wochenende komplett ausgebucht. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Reise in Dömitz zu beenden und mit Bernd nach Schwerin zu fahren, wo „Lilli“ in eineinhalb Tagen ankommen soll. Pünktlich um 11.30 Uhr nach neuneinhalb Tagen taucht LILLI vor der Störbrücke in Müß auf. Die SVZ war beim Empfang dabei. Ein überglücklicher Karsten Scheibe, der rührige Vereinsvorsitzende, hat seine Crew erleichtert in Empfang genommen.

Die Überführungs-Crew. Günter ist der neue Kapitän. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Schwerin, 20.5.2022

Per WhatsApp – Peggy nennt sie „Abenteuer ‚Lilli'“ – und Telefon ist der Berichterstatter weiterhin auf dem Laufenden gehalten worden. Der Abschied fällt schwer, aber wir haben uns für 2023 verabredet: Wenn „Lilli“ von ihrer Schönheitskur aus der Werft kommt, wollen wir eine große Schweriner See-Rundfahrt mit Picknick und Fahrt nach Kaninchenwerder unternehmen. Darauf freuen sich alle schon jetzt. „Tschüüüüß!“ hört man vielstimmig in der Marina, als wir die Elde-Brücke ansteuern und dann im Wald verschwinden.

Informationen:

MS Lilli Baujahr 1956; Ex-Name: WANNE-EICKEL; Typ: WSA-Arbeitsschiff; Bauwerft: K. Siebert, Berlin (West); Verdrängungs-Tonnage: 15 t; Länge: 15 m; Breite: 3 m; Tiefgang: 0,85 cm – 1 m; Maschine: MAN DO226ME, 98 PS (120 PS, gedrosselt); Eigner: Miteinander auf Kaninchenwerder e.V., E-Brief: kaninchenwerder@t-online.de, Telefon: 0172-9321897

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