„Keinen Fußbreit den Faschisten in Kiew“ – Interview mit dem Verleger und Journalisten Stefan Pribnow über die Unruhen in der Ukraine

Stefan Pribnow © Foto: Lena Putbrese, 2013

Ein ukrainisches Sprichwort lautet: „Weht erst die Fahne im Wind, steckt der Verstand in der Trompete.“ Woher kommt der Wind Of Change, der durch die Ukraine weht, über den Maidan und nicht durch den Gorki Park?

Pribnow: Das klingt nach einer deutschen Volksweissheit (lacht), aber nicht nach einer aus Hannover. Der Fisch stinkt vom Kopfe her, die politischen Köpfe Deutschlands blubbern in Berlin. Hier wurde und wird ein Wind weitergereicht, der auf der anderen Seite des Atlantiks entfacht wurde, und der durch die Ukraine stürmt. Nach meinen aktuellen Erkenntnissen waren alle im Reichstag vertretenen Parteien mehr oder minder an der anfangs Euro-Maidan genannten Protestbewegung beteiligt. Nur die Linksfraktion nicht. Ein Fehler.
Vor allem über ihre Stiftungen – wie heißt es so herrlich: sie seien parteinah, also nah an der Partei, doch de facto sind sie parteiabhängig – wie Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne), Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) und Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) – mischten sie beim Maidan mit. Doch als aus Protest Widerstand wurde entpuppten sie sich als nützliche Idioten der Faschisten, denn Swoboda und Rechter Sektor wurden schnell der Hegemon beim Straßenkampf in Kiew.

Das klingt nach Kaltem Krieg.

Pribnow: Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln – und umgekehrt. Immer wird er mit Soldaten geführt. Wenn diese schießen, dann haben die Politniks Pause, dann ist der Krieg heiß. Wenn die Soldaten in den Kasernen sitzen, dann ist er kalt. Immer wird er mit Spionen geführt. Will sagen: Die USA führen gegen Deutschland einen kalten Krieg und das wissen wir nicht erst seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden.

Moment, der Kalte Krieg ist der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion!

Pribnow: Und die hatten ihre Satelliten, besser gesagt: Vasallen, wobei weder der west- noch der ostdeutsche Staat als das, was vom Deutschen Reich übrig blieb, sich freiwillig als Gefolgsgehilfe dem neuen Herrn andiente. Nach dem totalen Krieg folgte die totale Niederlage, die Russifizierung in der DDR und die US-Amerikanisierung in der BRD.

Zurück zur aktuellen Lage in Europa.

Pribnow: Die nicht ohne die Geschichte von Europa zu verstehen ist.

Wir stellen Fragen, dies ist ein Interview, keine Vorlesung.

Pribnow: Deutlicher denn je tritt zutage, dass nicht Russland, nicht Wladimir Putin Öl ins Feuer gegossen hat. Der Brennstoff kam nicht von mächtigen Männer in Moskau. Der Zunder kam aus dem Westen. Die Lunte wurde in den USA gelegt. Der Umsturz in der Ukraine, der Putsch in Kiew wurde vor allem mit westlichem Polit-Personal propagandistisch untermalt und massiv mit Euro und Dollar finanziert. Die Proteste der Belogenen und Betrogenen, die von den Faschisten ins Abseits gedrängt wurde, damit aus Protest Widerstand werden konnte, wurden unter organisatorischem Beistand des Westen vorbereitet und durchgeführt. Und als deren Fahnen im Westwind wehten, blieb der Verstand in der Trompete.

Im Osten und Süden der Ukraine war man wenig angetan von den russophoben, nationalistischen und faschistischen Kräften in Kiew.

Pribnow: Richtig, spätestens als alle die Bilder vom Fackelzug der Faschisten sahen, kamen Erinnerungen an böse, alte Zeiten hoch und die Erkenntnis reifte, dass wie bei einer Matrjoschka aus der bunten Protestbewegung der braune Bub kommt. Der faschistische Fackelzug in Kiew erinnerte an den der Nazis am 30. Januar 1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde.

Wir sind wieder beim Damals, zurück zum Heute!

Pribnow: Männer und Frauen wie Michail Chodorkowski in Russland oder Julia Timoschenko in der Ukraine, die sich am Volkseigentum mit Milliarden bereicherten, Timoschenko ging als Gas-Prinzessin in die Geschichtsbücher ein, und die als Oligarchin und korrupte Politikerin zu Recht im Gefängnis gesessen hat, viel zu kurz übrigens, weil sie aus dem Knast illegal befreit wurde… gegen diese Oligarchen, gegen diese Kapitalisten und ihre korrupten Politiker in den Parlamenten und die korrupten Beamten in den Behörden, darüber zu berichten, dagegen zu protestieren, sich zu wehren, mindestens Nein zu sagen war und ist richtig.
Aber diese Bösewichter wie Chodorkowski und Timoschenko mutierten unter der Merkel-Regierung und den meisten Bundestagsabgeordneten in Berlin und bei deren Lohnschreibern in den CDU-CSU-SPD-Grüne-Medien zu Kreml-Kritkern und wurden zu Bürgerrechtler verklärt.
Ekelhaft die Ergüsse in in den bürgerlichen Blättern von FAZ bis taz.

Deine Kritik richtete sich gegen die Menschen der Massenmedien, gegen die Presse, die Propaganda betreibt, weil die Journalisten es entweder nicht besser wissen oder weil der Betrieb sie bezahlt. Was verklären die denn?

Pribnow: Daß die Deutschen die Dummen in diesem in den USA eingefädelten Deal sind, bei dem es nicht um Menschen- sondern um Gasrechte geht.

Ohne Grund und Boden, auf dem gearbeitet wird, der ausgebeutet wird, kein Kapital.

Pribnow: Nicht nur die Erde wird ausgebeutet, auch die Arbeiter, aber das ist jetzt nicht Thema. Thema ist, dass die Versorgung der Deutschen mit Gas gefährdet wird und das ist dumm. Sich vor den Karren des Dollars, der Wall Street, der US-Amerikaner mit ihren geopolitischen und weltwirtschaftlichen Interessen spannen zu lassen, das ist dreist, denn die Bundesregierung hat deutsche Interessen zu vertreten und nicht die der USA. Merkel hat geschworen, den Deutschen zu dienen, nicht den US-Amerikanern. Doch sie nutzt den Dollarmillionären in den USA und schadet der breiten Bevölkerung in Deutschland.

Das ist eine, Deine Interpretation.

Pribnow: Berlin hat sich von Washington in eine ernsthafte, blutige Auseinandersetzung mitten in Europa hinschieben lassen, aus die wir die USA raushalten müssten. Das Mittel zum Zweck eines Europas in Frieden und Freiheit ist nicht die NATO, die geschaffen wurde, die USA in Europa, die Deutschen unten und die Russen raus zu halten., es ist die OSZE. Denn zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gehören Franzosen, Deutsche und Russen. Nicht Berlin, nicht Paris, Moskau ist die größte Stadt des europäischen Kontinents. Wie meschugge muss man sein, den Menschen dieser sich rasant wandelnden Metropole an der Moskwa die Tür vor der Nase zuzuknallen und sie ins Abseits zu stellen und ihnen mit einer Sanktion nach der anderen zu drohen und dem russischen Bären auf den Pelz zu rücken?

Moskau erklärt, dass die Krim mit Russland wiedervereinigt worden sei und Putin erklärte, dass das die Deutschen verstehen müssten.

Pribnow: Das gerade die Regierung des seit 1990 wiedervereinigten Deutschlands gegen die Wiedervereinigung der Russen der autonomen Krim mit der Russischen Föderation wettern, ist der blanke Zynismus. Die Ukraine ist ein gespaltenes Land mit mehr als einem Volk. Im Westen Millionen Ukrainer, von denen viele aus Lemberg nach Kiew kamen, und den Maidan majorisierten, im Süden und Osten Millionen Russen. Kein Wunder, dass die Bilder vom blutigen Maidan an die Bilder der Wehrmacht erinnern, die vor allem in Süden und Osten der Ukraine wütete, und die Russen heute wieder weg wollen, weit weg von den Faschisten in Lemberg und Kiew.

Womit wir wieder im vergangenen Jahrhundert wären, das nicht vergehen will.

Pribnow: Wer das nicht versteht, der hat den Vernichtungsfeldzug der Deutschen Wehrmacht samt ihrer Vasallen und faschistischen Wasserträger nicht verstanden und die Schuld, die nicht vergehen will, weil Vernichtung im totalen Krieg, weil Völkermord nicht verjährt. Der hat nicht verstanden, dass Schuld und Sühne zwei Seiten einer Medaille sind, der hat nicht verstanden, dass zur Aussöhnung mit dem Erzfeind im Westen, vor allem mit Frankreich, die Aussöhnung mit dem Erzfeind im Osten, vor allem mit Russland gehört. Doch die Hand an der Basis wurde nur den Balten, den Polen, den Tschechen und Ungarn gereicht, nicht den Russen. Der gigantische Kinder- und Jugend-, Schüler- und Studentenaustausch mit Frankreich, die Städtepartnerschaften von der Nordsee bis zum Mittelmeer, das gesamte Programm in den Bereichen des kulturellen Überbaus, das Franzosen und Deutsche einander näher brachte als Ergänzung zum Programm, das Frankreich und Deutschland an der wirtschaftlichen Basis miteinander verband – Stichwort: Montanunion -, das alles fehlt im Osten. Wenn in Deutschland ein Politiker von Verständigung faselt, dann meint er Migranten, Türken ”¦ Schuld und Sühne hat es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Osten nur bei Bankettreden gegeben. Alles andere war ein Fliegenschiss.

Deutschland verbindet viel mit Frankreich und trennt viel von Russland ”¦ und die Ukraine?

Pribnow: Statt eine friedliche Trennung der Ukraine in eine West-Ukraine (federführend vor allem Galizien) und Ost-Ukraine bzw. Süd-Ost-Ukraine so wie in der Tschechoslowakei in die Wege zu leiten, an dessen Ende zwei souveräne Staaten, wie Beispielsweise Tschechien und Slowakei, mit größtmöglicher Souveränität stehen, wozu nicht nur eine eigene Sprache sondern auch eine eigene Währung gehört, wählten die Beteiligten in der Ukraine und die Interessierten an der Ukraine den blutigen Weg, den Weg der Unterdrückung, aus der es nur einen Ausweg gibt: die einseitige Sezession.

Was wiegt schwerer: Das Völkerrecht oder ein Recht auf Sezession?

Pribnow: Die Sezession des Kosovo war aller Rechtsprechung in Den Haag zum Trotz völkerrechtswidrig – staatenrechtswidrig wäre wohl der passendere Ausdruck -, die Sezession der Krim ist es heute. Doch ich bin der Meinung, dass die Unterdrückten als eine quantitative Minderheit im Staatsvolk das Recht haben, mit dem Staatsgebiet, in dem sie leben und eine Hauptgruppe der Bevölkerung darstellen, auszutreten. Die Russen als quantitative Mehrheit der Krim haben ein Recht auf Sezession, vor allem dann, wenn sie es auch qualitativ erkämpfen. Dieses Recht auf Sezession haben die Schotten, die Basken, die Katalanen. Und dieses Recht billige ich den Franzosen in Quebec oder den Korsen in Frankreich, den Kurden im Irak und Iran, in Syrien und in der Türkei aber auch den Russen auf der Krim zu oder den Tschetschenen oder Unguschen in Russland. Gleiches Recht für alle. Wenn die einen Deutschen als Österreicher nicht zu Deutschland gehören wollen, bitte, dann haben wir die kleindeutsche Lösung. Das gleiche gilt für Bayern oder Sachsen in Deutschland, die ihren Freistaat loben, oder Tiroler in Österreich und Italien. Die Freiheit des Einzelnen, die darin besteht, Nein sagen zu können, die gilt auch für eine Mehrheit von Menschen in dem Land, auf dem sie leben. Das mag einseitig sein, keine Frage, aber ist der Mensch nicht einfach, dann nimm ihn eben zweifach. Will sagen: Können Massen von Menschen nicht in einem Staat leben, weil die einen die anderen unterdrücken, dann müssen aus einem Staat zwei Staaten werden. In einer Gesellschaft als Ort konfligierender Interessen muss das politisch ausgekämpft werden – im Parlament und auf der Straße. Ist eine Interessengemeinschaft dabei so stark wie in der Slowakei und die Gesellschaft so zivilisiert wie in Prag und Bratislava, dann gewährt auch der Starke dem Schwachen, in dem Fall die Tschechen den Slowaken, die Sezession. Kurzum: Im Zweifel für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und gegen territoriale Unversehrtheit von Vielvölkerstaaten. Anders gesagt und zum konkreten Fall: Ich bin für die Sezession der Krim.

Aber vor Wochen argumentiertest Du noch gegen den Zerfall der Ukraine?

Pribnow: Solange der gewählte Präsident Janukowitsch, dessen Leistung darin bestand, den Zerfall der Ukraine in seiner Amtszeit nicht zugelassen zu haben, dem Volk vorstand (was soll er auch dahinter), ja. Doch Janukowitsch wurde aus Brüssel vor die Wahl entweder Westeuropa oder Eurasien und aus Moskau vor die Wahl entweder Eurasien oder Westeuropa gestellt und kam aus dieser Zwickmühle nicht mehr raus. Eingeklemmt zwischen diesen Blöcken, die als Entweder-Oder-Alternative keine Option waren, lief das Janukowitsch-Regime Leck und wurde versenkt. Das Sowohl-als-auch, der Tingeltangel-Tanz der letzten Jahre war scheinbar nicht mehr möglich. Doch seit die Faschisten in Kiew am Ruder sind, seit ungezählte Denkmäler für den Sieg der Roten Armee gegen Wehrmacht und Hitlerfaschismus und Dutzende Lenin-Statuen vom Sockel gestoßen, viele Büros linker, sozialistischer und kommunistischer Parteien verwüstet wurden und in Flammen aufgingen, Tausende von den Faschisten verprügelt, verletzt und Dutzende getötet wurden – nein – nicht mehr. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Das gilt auch für die Faschisten in Kiew. Keinen Fußbreit den Faschisten in Kiew!

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